Tichys Einblick
Vor und nach Corona

Gibt es nach der Corona-Krise ein Deutschland oder mehrere?

Erst muss sich fast ganz Europa zum Besseren wenden, bevor das auch nach Deutschland durchdringt. Ob das dann noch ein Land bleibt oder sich das heutige Deutschland in mehrere Staaten trennt - nein nicht Ost-West - halte ich für umso wahrscheinlicher, je länger es dauert.

© Getty Images

Wolfgang Herles formulierte für seine gestrige Kolumne „Anmerkungen zu einer Welt im Ausnahmezustand” schwerwiegend: „Es gibt in Sachen Corona keine alternativen Medien mehr, nur unterschiedliche Grade von Scharfmacherei. Das Volk sehnt sich nach autoritärer Führung. Gehorsam wird zur ersten Bürgerpflicht erklärt. Ich will nicht verhehlen, dass mir das Angst macht. Deutlich mehr Angst als das Virus.”

Seinen Vorwurf, dass es „in Sachen Corona keine alternativen Medien mehr” gebe, muss jeder Freund der Freiheit Ernst nehmen. Dass dies nicht die ganze Wirklichkeit abbildet, ändert nichts am Gewicht des Vorwurfs. Dass Herles die Sehnsucht nach autoritärer Führung und der Gehorsam als erste Bürgerpflicht mehr Angst macht als das Virus, dem stimme ich uneingeschränkt zu. Gründe zu dieser Sorge allerdings lagen bereits lange vor dem neuen Corona-Virus in großer Zahl vor.

Dass es erst eine breite Zustimmung zur abwiegelnden Haltung der in Deutschland Herrschenden in Politik und Medien zum Corona-Virus gab und nun eine nicht weniger breite zu der von Herles genannten Scharfmacherei durch dieselben Herrschenden in Politik und Medien, also die eben noch unbesorgten Kreise, überrascht mich nicht, liegt aber am allerwenigsten an „alternativen Medien”. Gäbe es diese nicht, hätten wir nicht einmal „unterschiedliche Grade von Scharfmacherei”. Ich bevorzuge statt „alternative Medien” die von Raymond Unger gewählte Bezeichung „freie Internetmedien”.

Raymond Unger konstatiert zu Beginn seiner Darstellung der Auseinandersetzung über die Meinungen zum neuen Corona-Virus und den Umgang mit ihm in „Corona: Horror oder Hoax?”, dass in den freien Internetmedien ein Meinungskampf bezüglich der Wahrheit über das Virus tobt. So erlebe ich das täglich auch. Unger hat bei seinen Recherchen drei Typen von Virologen ausgemacht: die „Verharmloser“, die „Offiziellen“ und die „Dramatiker“. So weit ich sehe, taugt diese Einteilung nicht nur für öffentlich hörbare Virologen, sondern auch Politiker und Jornalisten.

Was ich beobachte, ist, dass zwischen den unterschiedlichen Standpunkten so gut wie nie diskutiert wird. Auch im Forum von TE bestehen die meisten Anhänger verschiedener Meinungen auf ihrer eigenen als der einzig richtigen. Überzeugungsversuche sind selten, Beschimpfung der anderen als uneinsichtig bis dumm viel häufiger. Das Gleiche war bei den Themen Euro, Migration und Klima schon der Fall und setzt sich beim Corona-Virus fort.

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Ich weiß nicht, welche Virologen recht haben und welche nicht. Also halte ich mich an das, was ist, soweit ich das an den Tatsachen ablesen kann. Dass die Ansteckungszahlen in Ostasien nicht mehr steigen, ist evident, auch wenn das spätere neue Infektionswellen nicht ausschließt. Daher kann die Quarantäne-Strategie nicht falsch sein, allerdings nur, wenn sie nahezu lückenlos verfolgt wird. Die Durchseuchungs-Strategie hat durch Laufenlassen wegen einer Mischung aus  politischer Unentschlossenheit und chronischer Verantwortungsfurcht in Europa nicht strategisch, sondern de facto zu Beginn stattgefunden, in Deutschland noch bis vor kurzem. Mehr wird sich im April erweisen – durch die dann gegebenen Fakten. Den Zustand des planlosen Herumwurstelns haben die in Deutschlands Politik Herrschenden nach wie vor nicht überwunden.

Unger sagt am Ende seines Beitrags:

„Historiker werden von einer Zeit vor und einer Zeit nach Corona sprechen und dies zu recht. Vieles wird sich neu sortieren – und nicht alles zum Schlechten.” Und:

„Insbesondere die großen Topoi Klima, Gender und Zuwanderung werden völlig neu gedacht werden müssen. Zudem zeigt sich immer mehr, dass die viel beschworene Solidarität innerhalb der EU kaum das Papier wert ist, auf dem sie steht. Deutschland allein verschiebt wichtige Entscheidungen und heischt nach EU-Konsens, während alle anderen Staaten souverän und schnell festlegen, was gut für sie ist. Deshalb kann man nur hoffen, dass die EU in ihrer jetzigen Form die Corona-Krise nicht überleben wird.”

Jochen Heistermann schließt seinen Beitrag „Corona als Test der Systeme” so:

„Der Umgang mit dem Virus deckt auch auf, wie handlungsunfähig die EU ist. Nur nationale Maßnahmen bringen Erfolg, diese sind in jedem Land anders und die Länder schotten sich derzeit bereits gegenseitig voneinander ab. Politisch ist das eine Bankrotterklärung der EU. China wird diese Schwächen gnadenlos nutzen und in den internationalen Märkten Anteile erobern.”

Aus dem vom Corona-Virus entfachten Systemwettbewerb werden Ostasien und die USA als Sieger hervorgehen, die EU als Verlierer. Welche Länder Europas sich vom EU-Trend abkoppeln können, zeichnet sich ab. Es mag sie überraschen, aber ich bin sicher: Italien wird dazugehören, Deutschland nicht.

Weil die Italiener in der Corona-Krise nicht nur eine bittere Lektion lernen, sondern zusammenrücken. Italien geht aus der Krise einiger hervor, als es seine historisch sehr eigenständigen, ja gegensätzlichen Teile je waren.

In Deutschland vertieft sich die mehrfache Spaltung des Landes, politisch-kulturell, sozial und landsmannschaftlich. Ändern kann sich das nur, wenn sich jemand findet, der das angeblich föderale, in Wahrheit aber unprofessionell zentralistische Land, vom Wasserkopf der Funktionäre des Parteienstaats auf dezentrale Füße stellt. Dieser Jemand ist nicht in Sicht. Suchen Sie ihn bitte weder bei den Parteien noch in diesen.

Daher muss sich erst fast ganz Europa zum Besseren wenden, bevor das dann auch nach Deutschland durchdringt. Ob das dann noch ein Land bleibt oder sich das heutige Deutschland in mehrere Staaten trennt – nein nicht Ost-West – halte ich für umso wahrscheinlicher, je länger es dauert.

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