Wiederholte Umfrageergebnisse für das BSW um die sieben Prozent sind für eine neue Partei viel. Im Wochenend-Wecker von Holger Douglas diskutierten Roland Tichy und Klaus-Rüdiger Mai über den schnellen Anfangserfolg der Wagenknecht-Partei und ihre Perspektiven. Mit ihren üblichen Mustern des Parteienstaats kommen die üblichen Medien nicht weiter. Bücher lesen nicht alle. Im Falle Wagenknecht gibt es eines von Autor Mai: Die Kommunistin. Für mich leuchtet es weit hinaus über die Person Wagenknecht den politisch-philosophischen deutschen Ideenhaushalt von Goethe bis Marx Erkenntnis gewinnend neu aus.
Ideologisch ist der Jungstalinistin Weg von der maßlosen Enttäuschung über den Sieg der Konterrevolution in der DDR durch die osmotische Verwandlung SED-PDS-Die Linke hindurch zur eigenen sozialistischen Partei BSW eine geradlinige. Die Linie von Ulbrichts Vorstellungen einer sozialistischen Marktwirtschaft bis zu ihren eigenen hat Wagenknecht nie verlassen. Die grenzenlose Machtausübung des sozialistischen Staates trennt Wagenknecht nicht von der rotgünroten woken Einheitsfront. Aber anders als diese ist sie dem „moralisierenden Trick“ der Globalen Klasse nicht auf den Leim gegangen, „die Vision einer ‚One World‘ (unter Führung des Westens) mit der Diskreditierung jeglichen westlichen Nationalismus als ‚rechts‘ zu verbinden“ (Heinz Theisen).
Wagenknecht ist eine konservative Sozialistin. Sie will einen geradezu bürgerlichen Sozialismus im nationalen Maßstab. Das ist für viele Spießbürger der alten Art sehr attraktiv – also weit hinein ins konservative Milieu, das immer staatsgläubig war. Aber es ist zugleich für schon länger und etwas länger hier Lebende gleichermaßen ein sympathisches Angebot. Ich kenne genug Türken, Syrer und Perser, um zu wissen, dass sie das BSW der SPD vorziehen und den Grünen sowieso mit den für diese nach Europa gekommenen Zeitgenossen höchst unappetitlichen gesellschaftlichen Ansichten und Sitten. Für jene, die von den ins Wohlfahrtsparadies gelockten jungen Abenteurern langfristig hier bleiben werden, gilt das genauso. In all den hier genannten Milieus hat die AfD potentielle Wähler, nun konkurrierend auch das BSW. Beide sind eine Garantie dafür, dass die Staatsparteien des Parteienstaats von Einbürgerungen keine neuen Wähler erwarten können.
Roland Tichy brachte das meist ausgeklammerte Motiv ins Spiel, die Sehnsucht Vieler nach Politikern, die nicht auch noch äußerlich so ungepflegt daher kommen wie ihre wirren Ansichten. Er wies beispielhaft zurecht darauf hin, wie Baerbocks seit Amtsantritt sorgsam betreuter äußerer Auftritt mit dem im Laufe der Jahre immer schäbiger gewordenen von Merkel kontrastiert. Von noch schlimmeren will ich schweigen, jeder kann sich täglich von ihnen in der Netzwelt mit Grausen wenden. Tichy nennt den Auftritt, mit dem Wagenknecht punktet, elegant. Was den Widerspruch meines anderen Zweisiedlers hervorrufen muss. Barbara Goergens Urteil ist bei Farben, Formen, Tönen, Düften und Geschmack besonders gnadenlos – Motto: no ethics without aesthetics. Elegant ist Wagenknechts Auftritt nicht, sagt Barbara, aber gepflegt.
Was an der Richtigkeit des von Roland Tichy ausgemachten Breitenwunsches nach anderen Politiker-Personen nichts ändert, ihn eher noch unterstreicht. Wo Form und Inhalt so zueinander passen wie woke Beliebigkeit und Schlabberlook, wirkt ein gepflegtes Äußeres schon elegant.
Der polit-mediale Komplex weiß noch nicht, wie er mit der konservativen Sozialistin Wagenknecht umgehen soll. Noch hofft er, dass sie der AfD schadet. Wenn er merkt, dass dies nicht die Hauptwirkung ist, bin ich neugiering, wie er dann umschaltet.