Mit der wahrscheinlichen Zustimmung der nationalen Parlamente zum Kompromiss von EU und Griechenland wird die strukturelle Krise der Eurozone nicht aufgehoben, sondern aufgeschoben. Was die Abstimmung in den Parlamenten wert ist, zeigt die 29-seitige Bundestagsdrucksache 18/4093. So muss etwas aussehen, wenn es 95 Prozent der Abgeordneten nicht lesen sollen. Ein Lehrbeispiel für einen Parlamentarismus mit riesigem Transparenzdefizit, der den gegenteiligen Eindruck erwecken will.
Der internationale Ökonom George Magnus deutet den Deal zwischen Brüssel und Athen als politisch und nicht ökonomisch motiviert. Angela Merkel und Francois Hollande müssten „zurzeit mit Russland und Ukraine viel größeren Fisch braten und die Probleme vor der eigenen Haustür zwischen Religion, Ethnien und Migration seien ihnen weit wichtiger“ als das Griechenland-Paket. „Die Perspektive einer Krise der Eurozone mit unvorhersehbaren potentiellen Dominoeffekten von griechischen Kapitalkontrollen, Zahlungsunfähigkeit und Austritt hätte unter diesen Umständen bedeutet, sich zu weit vorzuwagen. Daher sticht Geopolitik jedenfalls für den Moment alles.“
Blickt man allerdings auf die letzten vier Wochen zurück und auf die vier Monate vor uns, so George Magnus, „hat sich am Narrativ der Eurozone, dem Misstrauen zwischen Nord und Süd, nichts wirklich geändert. Es wurde nur ein neues Kapitel europäischer Instabilität aufgeschlagen.“
Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis haben richtig kalkuliert, als sie nicht zuletzt auf die Chance des politischen Moments in ihrem Verhandlungspoker setzten. Dieser Trumpf steht den anderen Ländern des EU-Südens nicht in gleicher Weise zur Verfügung. Das wissen die Regierungen in Rom, Madrid und Lissabon. Mit einer Südachse gegen den Rest der EU ist deshalb nicht zu rechnen. Ob das aber nach den nächsten Wahlen in diesen Ländern so bleibt, ist trotz des momentanen Kompromisses mit Griechenland ungewiss. Was Merkel und Hollande vermeiden wollen, kann trotzdem eintreten.
Berlin, Paris, Warschau und die anderen wären gut beraten, sich für die nächste Runde im Juni mehr einfallen zu lassen als eine Wiederholung der letzten vier Wochen. Nicht nur im Süden wird gewählt. Und danach steht mehr auf dem Spiel. Europa kann sich ein „Weiter so“ nicht unbegrenzt leisten. Das Projekt Europa braucht Perspektive.