Er war unabhängig, deshalb mochten sie ihn nicht, andere Politiker und vor allem Journalisten. Genau das schätzte ich an ihm. Vor allem aber mochte ich seine Lebensfreude.
Jemand mit meiner Restlaufzeit-Perspektive hat schon etliche vorausgehen sehen.
Bei Martin Bangemann bin ich sicher, er sorgt für alle, die er mochte, dort drüben für einen perfekten Platz und einen guten, vorzugsweise roten Tropfen zu einem vorzüglichen Essen.
Martin Bangemann konnte leben und er hat gelebt. Um das materiell zu können, musste er nie Politiker werden. Auch das unterscheidet ihn von denen, die ihn nicht mochten. Sie sind Berufspolitiker, die nie genug kriegen können, und in aller Regel am Ende doch nichts davon haben.
Bangemann wurde Politiker, weil er ein politischer Mensch war und Politik mitgestalten wollte. Sein Anteil an den Freiburger Thesen der FDP wird regelmäßig unterschlagen, er war weit größer als der aller anderen Beteiligten.
Sankt Martin, wie ich ihn immer nannte, war ein Freigeist. Insofern passte er nie zu den Sozialliberalen, zu denen ihn in den späten 1960ern alle zählten. In dieser kurzen Zeit „mochten“ ihn bestimmte Journalisten. Als Kommissar und Vizepräsident in Brüssel zeigte er mit dem Cassis-de-Dijon-Prinzip dem Kommissionsapparat listenreich, wie sich Marktwirtschaft unter dem Titel Industriepolitik machen ließ.
In seiner Zeit als Bundesvorsitzender (1985 bis 1988) und als Bundeswirtschaftsminister (1984 bis 1988) agierten seine Vorgänger Genscher und Lambsdorff in den Medien, als wären sie immer noch im Amt. Genscher hatte ihn selbst gebeten, den Vorsitz zu übernehmen. Lambsdorff war nicht von sich aus gegangen. Aber beide ließen Bangemann keine Chance.
Als ich das im Präsidium der FDP, das wieder einmal im Margarethenhof der Naumann-Stiftung im Siebengebirge tagte, offen kritisierte, musste Genscher eilig zum Telefonieren nach draußen und Lambsdorff schwieg wie Buddha. Sankt Martin lächelte still in sich hinein.
Streit mit beiden statt Politik zu gestalten, war nicht nach Sankt Martins Geschmack. Brüssel und die Welt machten dem Mehrsprachigen sowieso mehr Spaß als Parteipolitik in Bonn oder Berlin. In seinen zehn Jahren als Kommissar und Vizepräsident der Europäischen Kommission habe ich ihn oft besucht, wenn mir das politische Bonn wieder einmal zum Halse raushing.
Einmal saß ich mit Sankt Martin, seiner liebenswerten Frau und meiner späteren in seinem französischen Lieblingsrestaurant in Brüssel. Was für ein Hochgenuss. Das Essen, das Trinken, das wunderbar entspannte Gespräch über Leben und leben lassen und alles ohne Blick auf die Terminuhr. Die Frage, warum sie beide sich das antäten mit der Politik, beantwortete Frau Bangemann lächelnd mit: ich ja nur passiv. Danach bestellte Martin noch eine Flasche Roten.
Die Bangemanns ließen sich früh in Frankreich nieder bei Menschen, deren Lebensart die von Martin ist, mit der Sprache, in der Sankt Martin gern und fließend parlierte. Am 28. Juni ist er dort gestorben. Au revoir.