Ein Gespenst geistert durch den Medienwald: die Jamaika genannte Schwampel. Gespenstisch ist nicht nur, wie politische Personen überhaupt auf die Idee kommen können, eine „Koalition“ aus Parteien zu bilden, die an der Koalitionsgarderobe alles abgeben müssten, was sie sich als Parteien und Personen an politischen Grundsätzen und Zielen selbst nachsagen. Die CDU und ihre handelnden Personen müssen an dieser Garderobe nichts mehr abgeben, sie haben das längst getan.
Fast noch gespenstischer ist, dass praktisch alle Journalisten und Medien die sogenannten Sondierungen und demnächst Verhandlungen mit einer Selbstverständlichkeit berichtend begleiten wie ein Fußballspiel, das eben ausgetragen werden, oder die Papstwahl, die in der katholischen Kirche unabweislich stattfinden muss. Die Frage der Sinnhaftigkeit der Kombination von Unvereinbarem wird gar nicht erst gestellt. Für alle scheint unabwendbar und zwangsläufig zu sein, dass eine Parlamentsmehrheit für die nächste Amtszeit von Frau Merkel gebildet werden muss. Wolfgang Michal konstatiert, «die Aussicht auf eine Jamaika-Koalition versetzt viele Politik-Journalisten in Euphorie „Warum Jamaika ein Erfolg werden muss“ heißt es dann, oder „Jamaika darf nicht scheitern“.» Merkels Büchsenspanner wissen diese Medien-Erregung, die sich als Meinungs-Automatismus verselbständigt hat, für die Frau ohne Identität zu nutzen.
Dass dabei sämtliche begründeten Urteile und gefühlten Vorurteile über den deutschen Parteienstaat und seine Staatsparteien nebst dazu gehörenden Mainstream-Medien (MSM) bestätigt werden, kümmert offensichtlich keine Kraft in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Dass genau hier der strukturelle Grund für das Entstehen der AfD liegt, bleibt den Büchsenspannern in den Apparaten der Genannten verborgen oder ist ihnen egal.
Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass ernsthafte Zeitgenossen darüber brüten, welche NGO-artigen Aktionsformen sich jenseits und in großer Distanz zur Parteienlandschaft bilden lassen, um der gleichförmigen Öffentlichkeit etwas entgegen zu setzen, was sich der modernen Medien gekonnt bedient, ohne sich den systemisch vereinnahmenden Strukturen des Parteienstaates auszusetzen. Sobald sich da Konkretes berichten lässt, wird TE das tun.
Innerhalb der alten Medien rumort es nicht weniger als in anderen Teilen der Gesellschaft. Dort ist das Gespräch unter Kollegen noch gefährlicher als in Betrieben, Behörden und Organisationen. Erst dieser Tage fragte mich einer zum wiederholten Mal, der nach wie vor sein Geld bei einem der herkömmlichen Blätter verdient, weil er ohne Umschweife begründet, dass er die wenigen Jahre Dienst nach Vorschrift macht weitab vom Ressort Politik, um seine gute Altersversorgung in die Scheune zu fahren: Wie haltet ihr das bei TE mit den Lesern aus, die etwas anderes als ihre Meinung bei Euch nicht lesen wollen und den anderen, denen Lesen zu wenig wird? Meine Antwort: Erstens sind Eingleisige eine kleine Minderheit, die Ungeduldigen akzeptieren unsere Erklärung, und zweitens lerne ich oft von Lesern, was uns Autoren durchgeht, was wir beim nächsten mal nicht übersehen und welche Fragestellung wir neu aufgreifen sollten.
In der Notwendigkeit des Eintritts von Angela Merkel in den politischenRuhestand gibt es zwischen (fast) allen Autoren und Lesern von TE große Übereinstimmung. Auf die besten Wege zur fälligen Runderneuerung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Infrastruktur der Republik und ihrer Rolle in Europa und der Welt sollte der Streit sich regelmäßig konzentrieren.
Wie schön dann einen Artikel – in diesem Fall der WELT – zu finden, der in anderen Worten ausspricht, was ich von Frau Merkel und der Schwampel behaupte: Jamaika soll Merkel vor dem Parlament schützen, sonst soll Jamaika nichts – weil in einer Koalition ohne Identität nicht auffällt, dass die Kanzlerin vor ihrer eigenen flieht. Frau Merkel läuft ihrer Identität davon, Jamaika soll folgen.