FPÖ-Bundesobmann Heinz-Christian Strache nutzte vorgestern abend die ORF-Sendung „Im Zentrum“, um sich vom Front National abzugrenzen. Ich ordne das als einen Teil seiner Bemühungen ein, die „Braut“ FPÖ für die politisch offensichtlich mögliche Trauung mit dem Hochzeiter SPÖ herauszuputzen. Wirtschaftspolitisch teile seine Partei den „sozialistischen Weg“ von Le Pen nicht. Zum Kurs der FPÖ insgesamt formulierte Strache: „Wir sind heute viel stärker in der Mitte der Gesellschaft angekommen als Marine Le Pen“. Europapolitisch sagte er: „Wir wollen nicht austreten, sondern das EU-Projekt in die richtige Richtung entwickeln.“
Die FPÖ zählt anders als alle anderen Parteien, die von den Meinungsführer-Medien im von ihnen so genannten „rechten“, „rechtspopulistischen“ oder „rechtsextremen“ Spektrum eingeordnet werden, insofern zu den „alten“ Parteien, weil es sie bereits seit der unmittelbaren Nachkriegszeit gibt (ihren Vorläufer „Verband der Unabhängigen“ eingeschlossen) – seit 1955 unter dem Namen FPÖ: Freiheitliche Partei Österreichs. Mir geht es hier bei der FPÖ nur um die Europapolitik.
Lange Zeit waren die „Freiheitlichen“ die einzige Partei für die Teilnahme Österreichs am europäischen Einigungsprojekt. Alle anderen, von den Kommunisten bis Christsozialen waren wegen der „immerwährenden Neutralität“ Österreichs dagegen. Ich erinnere mich gut, dass an Bauzäunen und Hauswänden – damals noch gemalt, nicht gesprayt – stand: „EWG – neuer Nazi-Schmäh“ (Schmäh für Nichtösterreicher: Trick, Schwindel).
Erst mit Jörg Haider, der selbst lange zur Pro-Europa-Fraktion gehörte, begann die Absetzbewegung zur „Europa-kritischen“ Haltung zu Beginn der 1990er – zeitlich ziemlich parallel zur Umbenennung von EWG in EG (zur Erinnerung: Österreich wurde 1995 Mitglied der EU nach einer Volksabstimmung 1994 mit 66,6 Prozent Ja). Am Ende ordneten sich alle anderen österreichen Parteien außer der Splitterpartei KPÖ eindeutig pro-EU ein und die FPÖ setzte sich immer mehr ab.
Diesen Zeit-und-Meinungs-Verlauf finde ich interessant, weil er mit zeitlicher Verzögerung auch in den neuen Mitgliedsländern der EU aus dem ehemaligen Ostblock stattfand. Der anfänglichen Begeisterung für das Europäische Unionsprojekt folgte recht abrupt der Wechsel zur „Europa-kritischen“ Haltung. Auch in den westlichen EU-Ländern etablierten sich „Europa-Kritische“ bis hin zu denen, die aus der EU austreten wollen. Vorläufiger Höhepunkt: Ukip und der Brexit. Da Ukip ausdrücklich kein anderes Ziel verfocht, verlor die Partei aktuell in den britischen Kommunalwahlen 114 von 115 Sitzen.
Wenn FPÖ-Vormann Strache jetzt einen EU-Reform-Kurs setzt, kann das sehr gut ein Indikator für alle bisherigen EU-Gegner und EU-Kritischen sein, so wie der Richtungswechsel der FPÖ Anfang der 1990er ein indirektes Signal in die andere Richtung war. Als Fieberthermometer der EU-Kritischen scheint die FPÖ kein schlechter Anhaltspunkt. Noch allerdings ist das Gerät in Brüssel nicht im Einsatz.
Aus Frankreich verlautet, Marine Le Pen wolle den Front National zu einer neuen Bewegung umbauen und umbenennen. Manche ihrer Anhänger setzen dabei schon gar nicht mehr auf sie, sondern die nächste Generation Le Pen, Marines Nichte Marion Maréchal-Le Pen; übernimmt diese tatsächlich das Ruder, steuert sie wohl den entgegengesetzten Kurs der Strache-FPÖ.
Was in der Bewegung En Marche ! von Emmanuel Macron steckt, die sich in „La République en Marche“ umbenennt, weiß noch keiner, Kenner Frankreichs sagen, Macron selbst auch nicht. Aber von Merkel über Gabriel bis Gysi einschließlich praktisch aller Medien wissen es alle, reklamieren alle Parlamentsparteien den Mann als ihren. Was Najib Karim, der in Hamburg der FDP abhanden kam, auf Facebook sehr schön auf den Punkt bringt:
In Griechenland und Spanien scheint der Hype um die neuen Parteien Syriza und Podemos, die als „linkspopulistisch“ klassifiziert werden, schon wieder vorbei – bei den „neuliberalen“ Ciudadanos wohl auch: ähnlich wie bei den NEOS in Österreich. Bei der Partei Die Linke neigt sich ihre Existenz im Westen wohl dem Ende zu, im Osten wird es sie geben, solange noch genug SED-Traditionalisten leben. Wogegen die erst 2009 in Anwesenheit von Oskar Lafontaine gegründete Parti de Gauche von Jean-Luc Mélenchon geschlagen, aber keineswegs entmutigt aus der Präsidentenwahl hervorgeht.
Womit ich sagen will, an vielen Stellen in der EU ist politisch Bewegung. Insgesamt kommt die tektonische Verschiebung der politisch gesäßgeografischen Kontinentalplatte nach „Links“ in den letzten 50 Jahren nun zum Erliegen und setzt zur Verschiebung in die Gegenrichtung an. Das sozialdemokratische Zeitalter begann 1918 und 1968 starteten die Epigonen von 1967 – beide Perioden gehen 2018 zu Ende. Die Nachhutgefechte sind im Gange. Ihre Träger wissen es nur noch nicht oder wollen es nicht wahrhaben. Dass die Wortführer des abtretenden Zeitgeistes alle ihre Hoffungen in Emmanuel Macron bündeln, den sie gar nicht kennen können, zeigt ihre Verzweiflung.