Das gängige Narrativ lautet: Die EU, gerne schönrednerisch „europäische Idee“ genannt, habe erneute Kriege in Europa verhindert. Boris Kálnoky lässt aus diesem Luftballon von politischer Europaprosa die Luft, wenn er ebenso nüchtern wie wahr sagt:
„Gegründet wurde das europäische Projekt, um ein konkretes Problem zu lösen. Die Grundidee kam aus Frankreich. Sie lautete: Wie kann man erreichen, dass die Deutschen damit aufhören, andauernd Kriege anzufangen?“
Werte Leser, bevor Sie schreiben, dass „die Deutschen“ nicht „andauernd Kriege angefangen“ haben, darum geht es hier nicht, sondern darum, dass in diesem Geist das „europäische Projekt“ von den politischen Eliten in Paris, London, Washington usw. begonnen und das Ziel, Deutschland von politischem Einfluss möglichst weit fern zu halten, nie geändert wurde.
Das neue Europanarrativ von der „Großreform der EU“, das nach Emmanuel Macron nun Olaf Scholz in Prag intonierte, ist nichts anderes als die alte Erzählung, die im Juncker’schen Leitmotiv von immer mehr Zentralmacht der EU seine zynische Fassung fand:
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“
Scholz und die anderen des Politkartells Parteienstaat verstehen nicht, dass ein Supranationalstaat EU nicht zur Großmacht EU führen würde, sondern zur EU-Herrschaft Frankreichs ohne jede Welt-Bedeutung der EU. Die englische Elite weiß, dass das Empire 1918 an Washington verloren ging. Frankreichs Classe Politique träumt immer noch von einem Europa als Großmacht auf Augenhöhe mit USA, China und Russland – unter französischer Führung. Die deutsche Politklasse hat nichts gegen die Rolle als Zahlmeister der EU, ist mit der „Klimarettung“ selbstgefällig voll beschäftigt und fühlt sich dem Rest der Welt damit uneinholbar moralisch überlegen.
Dass die oft beschworenen „nationalistischen“ Sünden des Nationalstaats in einer „übernationalen“ EU überwunden oder vermieden werden könnten, ist auch politische Europaprosa, eine Erzählungsreihe, die davon lebt, nie hinterfragt zu werden. Warum sollte ein EU-europäischer Zentralstaat nicht alle Sünden der Nationalstaaten bloß im größeren Maßstab wiederholen? Und wie soll „Nationalistisches” im Supranationalstaat EU weniger werden, wenn mit der ungesteuerten Einwanderung die Tribalismen nur noch zunehmen?
Versuchen diese Politfunktionäre in den kommenden Monaten tatsächlich, die Einstimmigkeit zu Fall zu bringen, könnten sie damit ganz gegen ihre eigenen Interessen die Axt an die EU legen. Fällt Deutschland als Zahlmeister der EU aus, gibt es niemanden, der an seine Stelle treten könnte oder das auch nur wollte. Ohne den Geldsegen aus Brüssel ist die Liste der Länder lang, die ihr Interesse an der EU schnell verlören.
Nein zu Scholz’ „Großreform der EU“ sagte die tschechische Regierung ihm gleich in Prag, die polnische kurz darauf indirekt mit Forderungen nach ein oder zwei Billionen Reparationen für den Zweiten Weltkrieg (oder die polnischen Teilungen davor gleich mit?).
Nun wird es darauf ankommen, wer dieses Mal aus ihr heraus führt. Jedenfalls findet dazu kein Krieg militärisch gegen Deutschland statt, sondern ein Kulturkrieg innerhalb der Länder des Westens selbst. Entschieden wird er in den USA, nirgendwo sonst – in Deutschland und Westeuropa finden die Ausläufer dieses Kulturkriegs statt. Sein Ausgang ist ungewiss. Aber die EU von heute wird es danach nicht mehr geben, denn die Länder Osteuropas und Nordeuropas zuerst (England ging voraus), später alle anderen, werden neue Wege gehen, Wege der Kooperation statt Unterordnung.
Die von den USA gewünschte westeuropäische Armee als „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ scheiterte 1954 am französischen Parlament. Mit der Gründung der Nato hatten die USA, was sie gegen die Sowjetunion wollten. Mit der von Putin unbeabsichtigten Wiederbelebung der Nato brauchen die USA die EU nicht mehr. Was Washington an seinem Nebenkriegsschauplatz Europa neben seinem Hauptkriegsschauplatz Ostasien braucht, kann es mit dieser belebten Nato erreichen.
Eine EU, die die USA nicht brauchen, eine EU, welche die nun verlässlichsten Nato-Mitglieder in Ost- und Nordeuropa ihres Vetorechts in der EU berauben will, eine EU, die bald auf kein großes Geld aus Deutschland mehr zählen kann, eine solche EU wird überflüssig. Dass sie die Einsicht finden, zu einer Wirtschaftsgemeinschaft ohne eigene Währung zurückzufinden, ist bei der Beschaffenheit ihrer Politfunktionäre nicht zu erwarten. Die EU ist angezählt.