Dass die militärischen Verlierer zweier Weltkriege für ein eigenes Militär unter ihren Bürgern in Wahrheit nie eine breite Unterstützung hatten, gehört zur versteckten Wirklichkeit der zweiten Republiken in Westdeutschland und Österreich. In der alten Bundesrepublik wurde das durch die offiziellen Gesänge von der Transatlantischen Freundschaft in der veröffentlichten Meinung lange verdeckt.
Ich erinnere mich an den staunenden US-Militärattaché in Bonn, als ich ihm erklärte, dass die demoskopische und parteipolitische Mehrheit für die Bundeswehr nur noch am Zivildienst hänge, bei dem die Politik aus Kostengründen des Gesundheitssystems bleiben wollte.
Die Bundesbürger wollten in ihrer Mehrheit nach 1945 von Anfang an lieber eine Bundesrepublik wie die Schweiz. Die Österreicher hatten ihre Schweiz gekriegt, weil die Bedingung der Sowjets für den Abzug der Roten Armee 1955 die sogenannte immerwährende Neutralität in einem Staatsvertrag der Besatzungsmächte mit Österreichs zweiter Republik war.
Österreich gehörte zu den Gründungsmitgliedern der European Free Trade Association (EFTA) zusammen mit Dänemark, Norwegen, Portugal, Schweden, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich. Finnland, Island und Liechtenstein kamen später dazu. (Die EFTA gibt es nach wie vor, Mitglieder sind Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweiz – was, wenn EU-Mitglieder eines Tages dorthin wechseln wollen?)
Nach einem Volksentscheid über das Bundesverfassungsgesetz zum Beitritt Österreichs zur EU mit 66,58 Prozent Ja stimmt der österreichische Nationalrat dem EU-Beitrittsvertrag mit 141 zu 40 Stimmen zu, der Bundesrat am 17. November 1994 ebenfalls. Am 1. Januar 1995 tritt der EU-Beitrittsvertrag in Kraft. Österreich wurde – gemeinsam mit Schweden und Finnland – Mitglied der Europäischen Union – in Norwegen hatte das Volk Nein gesagt. Damit wuchs die EU von 12 auf 15 Staaten.
Wer es vergessen hat: Die ursprünglich von den USA gewollte Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) scheiterte 1954 an der französischen Nationalversammlung. Danach erfüllten EWG, EG und EU für viele neue Mitgliedsländer vor und vor allem nach der Implosion des Ostblocks die Aufgabe, die neuen Mitglieder über die EU in die NATO zu holen. Das war auch bis noch vor Kurzem das Interesse der USA. Mit dem neuen Militärbündnis USA, UK und Australien (AUKUS), das jederzeit im Pazifik, aber auch an der russischen Westgrenze um Bündniswillige erweitert werden kann, ist die NATO ein Papiertiger – und ist vor allem kein Raum mehr für ein Frankreich, das sich immer noch für eine Weltmacht halten möchte. Nicht nur im Pazifik spielt niemand aus Europa mehr mit (UK und Russland gehören sowieso nur geografisch zur östlichsten Halbinsel Asiens).
In Westeuropa und Europa insgesamt wäre nun höchste Zeit für eine nüchterne Debatte über die Frage, welche Stärken seine Gesellschaften ausbauen und entwickeln können, um im Welthandel die Rolle zu festigen und zu finden, die in der zivilisatorischen DNA Europas nach wie vor steckt. Aber davor hat die wirkliche Welt zwei große Hindernisse gesetzt: Die Hülle des Nationalstaates (die des noch größeren namens EU eingeschlossen), die nicht nur hier, aber hier besonders ein Hindernis und keine Hilfe ist – und die aus den USA importierte Wokeness, die das Zeug dazu hat, jede Zivilisation zu lähmen, wenn nicht zu zerstören.
Seit 1917 haben die USA das Schicksal Europas bestimmt, indem sie sich von Europa abwenden, tun sie es wieder. Und bis auf weiteres hat Europa niemanden, der daran etwas ändern kann.