Tichys Einblick
Ein Blick zurück nach vorn

Bundestagswahl: „Bürgerliche Koalition“ – wer bitte soll das heutzutage sein?

Das deutsche System des Parteienstaats, der von allem und jedem Besitz ergriffen hat, ist aus sich heraus nicht reformierbar. In Deutschland wird sich erst dann und vieles ähnlich ändern, wenn der Zeitgeist anderswo dreht.

Helmut Kohl und Angela Merkel auf dem CDU-Bundesparteitag in Dresden am 15.12.1991

IMAGO / photothek

Etliche TE-Autoren sind wie ich politische Kinder der Bonner Republik. Unser Blick auf Bonn unterscheidet sich bei der Bewertung der APO und ihrer grünen Epigonen. Das vielleicht deshalb, weil ich 1966 bis 1968 beim Verband Deutscher Studentenschaften (VDS), dem Zusammenschluss der Allgemeinen Studentenausschüsse (AStAs) arbeitete. Bei dieser Arbeit lernte ich die meisten Anführer des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) kennen, den die SPD 1961 ausgeschlossen hatte. Der SDS übernahm die Macht im VDS, als ich diesen schon verlassen hatte, gab die ansehnlichen finanziellen Rücklagen des Verbandes (im Millionenbereich) für APO-Aktivitäten aus, um sich anschließend 1970 selbst aufzulösen. Verbal waren viele SDS-Leute von Anfang an auf dem Weg in die spätere RAF und noch mehr ihrer Anhänger zählten zu deren Sympathisanten.

Während einige TE-Autoren wie viele andere aus der Bonner Republik den sogenannten Achtundsechzigern das Verdienst zuordnen, Verkrustungen der Bonner Republik aufgelöst zu haben, tue ich das nach meinen Erfahrungen mit dem SDS nicht. Reformanstrengungen, insbesondere im Bildungsbereich waren vor der APO da und interessierten diese nicht. Die sogenannte Ostpolitik der Regierung Brandt-Scheel hätte 1969 auch eine Unions-FDP-Regierung eingeschlagen (diese kam übrigens nur deshalb nicht zustande, weil die Union nicht bereit war, Scheel Außenminister werden zu lassen).

Die Mär von den erfrischenden Grünen

Kurz: Ich teile den verklärten Blick vieler auf eine zu Beginn erfreulich erfrischende grüne Bewegung nicht. Bei den frühen Grünen zogen von Anfang an die Leute der sogenannten K(ommunistischen)-Gruppen die Strippen, die völlig unromantische Machtinteressen zielstrebig verfolgten. Wer sich den Weg von Jürgen Trittin anschaut, versteht, wovon ich spreche. Die tatsächlichen Romantiker unter den frühen Grünen blieben alle auf der Strecke, einige auf tragische Weise. Bei den heutigen Grünen ist nur der nackte Griff nach der unkontrollierten Macht übrig geblieben, nun romantisch kindisch bei den Galionsfiguren verklärt. Hinter dem medialen Theatervorhang agieren die alten und neuen Trittins. Unter den Anhängern und Aktiven der Grünen sehe ich nach wie vor eine Generation treuer Leute mit den besten Absichten, aber blind für alles, was inzwischen geschehen ist. Nicht wenige von ihnen sind 1982 am Ende der sozialliberalen Koalition von der FDP zu den Grünen gegangen.

Kunst- und Hoffnungsfigur „Bürgerlich“

Nun zu meinem Problem mit einigen TE-Autoren. Etliche von ihnen haben oft über den Zustand der Bonner Parteien geschrieben und analysiert, dass CDU, SPD und FDP zwar immer noch so heißen, aber mit ihrer früheren Identität wenig bis nichts mehr gemeinsam haben. Für keine Partei gilt das mehr als die Union. Diese und die FDP bezeichnen aber dieselben Autoren unverdrossen mit dem alten Begriff der bürgerlichen Parteien oder des bürgerlichen Lagers. Wie das? Die Union ist nicht mehr christdemokratisch, konservativ und liberal, soll aber „bürgerlich“ sein? Die FDP erinnert nur noch an ihre Tradition als Partei des gleichen Rechts aller vor dem Gesetz, wenn Kubicki oder Baum nostalgische Statements abgeben. Aber was an der FDP ist bitte liberal oder „bürgerlich“?

Anders ausgedrückt: Diesselben TE-Autoren, die CDU und FDP viel öfter und viel schärfer als ich als Parteien analysiert haben, die mit ihrem früheren Zustand nichts mehr gemein haben, sprechen auch nun vor der Bundestagswahl davon, dass eine „bürgerliche Koalition“ besser wäre als eine Rotgrünrote. Wobei „bürgerliche Koalition“ verschämt verbirgt, dass da ja die Grünen dabei wären. Also jene Partei, die eines jedenfalls bewiesen hat, nämlich, dass sie sich mit Hilfe steuerfínanzierter NGOs, Haltungsmedien und anderen Teilen eines umfassenden Netzwerks von Aktivisten unter den Augen unkritischer und obrigkeitsgläubiger Bürger in allen Teilen von Staat und organisierter Gesellschaft breit gemacht haben.

Tut mir leid, liebe Kollegen Autoren, es gibt kein bürgerliches Lager und keine bürgerliche Koalition im real existierenden deutschen Parteienstaat. Und das führt zu meinem Problem mit einigen Lesern, die auf TE regelmäßig kluge Kommentare in der Sache schreiben, nicht wenige so gute, dass sie selbst als Beiträge auf TE stehen könnten und manchmal auch tun. Diese Leser plädieren nicht selten dafür, dass CDU, FDP und AfD eine „bürgerliche Koalition“ bilden sollten. Angesichts der Tatsache, dass viele Mitglieder und Anhänger der AfD früher Mitglieder und Anhänger von Union, FDP und SPD waren, ist meine Frage an diese Leser wie vorher an die Autorenkollegen: Wieso sollte sich aus den radikal gewandelten Parteien CDU und FDP zusammen mit der AfD eine „bürgerliche Koalition“ bilden lassen? Es handelt sich doch um dieselbe nicht mehr Union und dieselbe nicht mehr FDP, sollen die durch die Zutat AfD plötzlich wieder die alten werden? Und käme die AfD dazu, wie viel von dieser Partei ist – anders als die ursprüngliche Gründung – weder pro Markt noch prowestlich noch liberal noch konservativ?

Der deutsche Parteienstaat ist nicht reformierbar

Verstehen kann ich die Autorenkollegen und so kommentierende Leser nur zu gut. Wer wünschte sich nicht zurück, was noch bis in die Mitte der 1980er Jahre war, wenn auch schon damals nur mehr teilweise. Ich erinnere daran, die Union hätte eine Bundestagswahl 1991 ohne die „Wiedervereinigung“, die ein Anschluss der DDR war, verloren, die FDP wäre aus dem Bundestag geflogen. Das Hinzukommen des „Beitrittsgebiets“ vor dem normalen Wahltermin und die folgende erste gesamtdeutsche Wahl Ende 1990 rettete nicht nur Helmut Kohl vor der Abwahl und bescherte der FDP ein unverdient hohes Ergebnis, sondern kleisterte für ein Jahrzehnt die ganzen Defizite des Zustands der deutschen Gesellschaft zu, die damals bereits alle da waren, inzwischen nur noch größer geworden sind und zu denen die Krisen des Euro und die unkontrollierte Massenzuwanderung hinzukamen.

Aus diesem Zustand befreit uns keine „bürgerliche Koalition“. Das deutsche System des Parteienstaats, der von allem und jedem Besitz ergriffen hat, ist aus sich heraus nicht reformierbar. In Deutschland wird sich erst dann und vieles ähnlich verändern, wenn der Zeitgeist sich anderswo rund um Deutschland herum ändert – gründlich dann, wenn er in seinem Ursprungsland dreht: in den USA. Einen Präsidentenwechsel braucht es dort dafür nicht, die Veränderungen kommen schon immer aus den Bundesstaaten. Washington ist stets nur Wirkung, nicht Ursache.

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