Tichys Einblick
Die Wahlwiederholung in Berlin als Farce

Der Parteienstaat entblößt sich selbst

Mit der Begrenzung von Neuwahlen auf 300 von 2.300 Stimmbezirken wie auf Zweitstimmen ohne Erststimmen stellt sich der Parteienstaat in all seiner Macht-Arroganz unübersehbar selbst bloß.

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Welchen Stellenwert die veröffentlichte Meinung welchen Fragen zuordnet, kann jeder daran ablesen, wo sich das Thema auf der Startseite von Google News findet. In der neunten Reihe steht heute früh: Die Ampel-Koalition halte eine Wiederholung der Bundestagswahl in 300 von 2.300 Berliner Stimmbezirken für nötig, allerdings nur bei den Zweitstimmen.

Wem kommt da nicht sofort der berüchtigte Satz Walter Ulbrichts in den Sinn, den das jüngste Mitglied der Gruppe Ulbricht, Wolfgang Leonhard, in seinem Buch der Zeitgeschichte – Die Revolution entläßt ihre Kinder – verewigt hat:

„Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“

Marco Gallina schreibt: Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags entscheidet über die Wahlwiederholung. Da SPD, Grüne und FDP dort die Mehrheit stellen, dürfte die Entscheidung als sicher gelten.

Mit der Reduzierung von Neuwahlen auf 300 von 2.300 Stimmbezirken wie auf Zweitstimmen ohne Erststimmen stellt sich der Parteienstaat in all seiner Macht-Arroganz unübersehbar selbst bloß.

An den Erststimmen darf sich nichts ändern, damit ein sonst möglicher Wegfall von Direktmandaten der SED-DIE LINKE vermieden wird. Denn das könnte die Machtverhältnisse stören. Das könnte die Ampel auch allein dadurch sichern, dass in den Wahlkreisen der zwei Berliner Direktmandate für Abgeordnete der SED-DIE LINKE nicht neu gewählt wird. Aber doppelt hält besser, wenn es darum geht:

„Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“

Man muss kein Verfassungsjurist sein, um zu konstatieren: Der deutsche Parteienstaat hat sich nicht nur in Besitz von allem und jedem in der Berliner Republik in Staat und Gesellschaft gesetzt, sondern gibt sich nicht einmal mehr die geringste Mühe zu verbergen, dass er über dem Recht steht.

„L’État, c’est moi!” sagte Sonnenkönig Ludwig XIV: „Der Staat, das bin ich!” In der real existierenden Bundesrepublik Deutschland maßt sich der Parteienstaat diese Stellung an. Ein paar Handvoll Berufspolitiker in den obersten Funktionärsposten von Fraktionsparteien agieren nach dem Motto: „Der Staat, das sind wir!”

Wer es noch nicht wahrhaben wollte, dem wird jetzt nichts mehr übrig bleiben, als zu erkennen, dass so etwas wie ein gleiches Recht für alle und alles in der real existierenden Bundesrepublik Deutschland nicht herrscht.

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