Die erste Folge meiner Reihe über Parteien und Parteienstaat schloss so: „In allen Ländern rund um Deutschland herum kann sich die dortige Politik durch Ergebnisse von Wahlen ändern, hat es da und dort schon getan und ist dabei, diesen Prozess der Veränderung fortzusetzen. Dazu mehr in der nächsten Folge.“
Für die zahlreichen Kommentare von Lesern bedanke ich mich sehr. Aus ihnen lernte ich, dass die Vorstellungen vom Parteienstaat nicht nur sehr verschieden sind, sondern diesen viele in Ausmaß und Einfluss weit über Parteien und Parlamente hinaus weit unterschätzen.
Daher will ich mich in dieser Folge darauf konzentrieren, klarer zu machen, was der Parteienstaat ist. Das Problem Parteienstaat liegt in zwei strukturellen Ergebnissen, die nicht das Ziel derer waren, die für die einzelnen Schritte zu seiner Entstehung verantwortlich sind: die Entpolitisierung der Parteien und die Entdemokratisierung von Staat und Bürgergesellschaft. Den Prozess dieser Fehlentwicklung nenne ich den Wandel von der Berufung Politik zum Beruf Politik. Der Berufspolitiker ist strukturell Ergebnis und Garant der unaufhörlichen Fortsetzung dieser Fehlentwicklung zugleich.
Lassen Sie mich bitte einem der üblichen Einwände gleich die Luft aus den Segeln nehmen. Berufspolitiker müssen nicht sein, weil Politik zu kompliziert wäre, um sie Laienpolitikern zu überlassen. Die Wahrheit geht anders herum: Politik ist erst von Berufspolitikern so angeblich kompliziert gemacht worden, wie sich Berufspolitik heute mithilfe von Medien darstellen lassen kann.
Berufspolitiker ist nicht, wie viele meinen, einfach nur die Bezeichnung für Politiker, praktisch alle von ihnen Abgeordnete in Bund und Ländern (und der EU), die den Beruf Politik professionell ausüben. Was Berufspolitiker strukturell bedeutet, will ich ganz einfach beginnen zu erklären, indem ich schildere, wie wer Berufspolitiker wird.
Auf bundestag.de steht: „Abgeordnete können ihre Mandatsaufgaben nicht allein bewältigen. Deshalb stehen ihnen derzeit (Stand 01.04.2019) für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sie bei der Erledigung ihrer parlamentarischen Arbeit unterstützen, monatlich 22.201,- Euro zur Verfügung.“
Der Mitarbeiter im Wahlkreisbüro und im Bundestagsbüro wie der im Landtagsbüro hat beim Wettbewerb um den eigenen Aufstieg zum Abgeordneten einen Vorteil, der Parteimitglieder mit normalen Berufen außerhalb der Politik (und angeschlossener Sparten wie politischen Stiftungen, Verbände, Gewerkschaften und NGOs) von einer erfolgreichen Bewerbung um eine Bundestags- oder Landtagskandidatur praktisch ausschließt. Diese Mitarbeiter stehen permanent mit den Leuten in der eigenen Partei in Verbindung, die sie brauchen, wenn sie zu Kandidaten gewählt werden wollen. Sie können ihren innerparteilichen potentiellen Wählern nicht nur alle möglichen guten Dienste tun, sondern das ist großteils der Auftrag ihres Abgeordneten. Dem Mitarbeiter im Wahlkreisbüro stehen alle modernen Kommunikationseinrichtungen frei und kostenlos zur Verfügung – und nahezu unbegrenzte Bürozeit für seine eigenen Interessen.
Der sicherste Weg zum Berufspolitiker beginnt als Mitarbeiter eines Berufspolitikers: quasi ein Anlernberuf. Daher ist es kein Zufall, sondern systemisches Ergebnis, wenn die Zahl der Abgeordneten groß ist und weiter steigt, die vorher Mitarbeiter von Abgeordneten waren. Fast immer sind sie nach Schule und meist Hochschule Mitarbeiter von Abgeordneten geworden – oft, ohne ihr Studium abzuschließen. Wozu auch, das einzig nötige Wissen und Können für den Berufspolitiker liegt im richtigen Verhalten der Fraktionsführung gegenüber.
Strukturell bedeutet dies, dass die Zahl der Volksvertreter ständig zunahm und weiter zunimmt, die das Leben des gemeinen Volkes, die Arbeit in Betrieben und Unternehmen nie kennengelernt haben. Ganz früh in die Politikblase und nie mehr raus. Die besonders Tüchtigen machen dann den Sprung in Verbände, staatsnahe Einrichtungen, national und international oder Staatsunternehmen auf Managementebene, verlassen die Blase also auch dort nicht. Für den Sprung oder die Abschiebung in die EU oder deren Parlament gilt Gleiches.
Berufspolitiker sind das strukturelle Hindernis für jede tatsächliche Politikänderung. Das Dasein bestimmt das Sein. Berufspolitiker riskieren ihr sozial sicheres und auskömmliches Einkommen, wenn sie der Handvoll Fraktionsoberen nicht gehorchen. Daher parieren sie: Ausnahmen sind rar.
Zu Beginn zitierte ich aus Folge 1: „In allen Ländern rund um Deutschland herum kann sich die dortige Politik durch Ergebnisse von Wahlen ändern, hat es da und dort schon getan und ist dabei, diesen Prozess der Veränderung fortzusetzen. Dazu mehr in der nächsten Folge.“
Darüber schreibe ich erst in Folge 4. Vorher, das habe ich aus Leserkommentaren gelernt, muss ich – wie oben gesagt – eine andere Geschichte erzählen: Wie die Macht aus den Parteien in die Fraktionen gewandert ist und wie die CDU, ohne es zu merken, den Grünen ihren Weg in die Macht gebahnt hat.