Tichys Einblick
Jamaika kriegt's nicht leicht

Aufgalopp im Bundestag

Vom neuen Bundestag die Erwartung, dass er die verkrustete Oberfläche etwas aufreisst. Nicht mehr, nicht weniger. Nach so langer GroKo fast schon viel.

Über die Vordergründigkeiten der Konstituierung des Bundestages ist genug geschrieben. Dass dieser Bundestag den gleichen Fehler machte wie seine Vorgänger beim Eintritt von Grünen und PDS, war zu erwarten. Was mir auffiel, sind einige Vorboten des künftigen Parlamentsgeschehens.

Ich muss sagen, mir gefällt, dass die SPD die Opposition wählte (warum auch immer). Die Größe einer Oppositionspartei macht eben etwas aus, auch ganz unabhängig von ihrem Tun. Dass sie gestern die Grünen mit ihren eigenen Anträgen vorführte, ist zwar nur ein taktisches Spielchen, deutet aber an, auf welcher Tastatur die SPD musizieren wird. Sie wird das Leben im Plenum vieltöniger machen.

Schwarz-Gelb-Grün gegen Rot-Rot-Blau
Der neue Bundestag spiegelt die politische Stimmung besser wider als der alte
Der offensichtlich begabte Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann, spießte die „ehrwürdige SPD“ zwar auf für das Spielchen mit den Grünen, aber auch er wird wissen, welche Restchen vom Ökologie-Label Grün übrig geblieben sind angesichts dieser Personen, denen die Regierungsgeilheit, die Gier nach Posten so sehr aus Gesten und Gesichtern springt, dass darüber zeitweise in Vergessenheit gerät, dass dies traditionell der FDP nachgesagt wird. Am Verblassen der Grünen wird die SPD weiter mit Erfolg arbeiten, unterstützt von allen außer der CDU.

Zwischen der SPD und ihrem Plenums-Nachbarn Die Linke wird es Konkurrenz geben und Kooperation. Zusammen und getrennt können und werden sie die Grünen immer wieder vorführen. Auf außenpolitische Abstimmungs-Teilmengen zwischen Linsfraktion und AfD etwa in Sachen Sanktionen gegen Russland und bei Fragen von Waffenlieferungen und Bundeswehr-Einsätzen dürfen wir zählen. Da und dort ist vielleicht auch die SPD dabei. Und jedes mal bringt das die Grünen in aussichtslose Erklärungsnot. Merkel kann’s recht sein. Je mehr über andere, desto weniger über sie.

Kein 1. April-Scherz
Alterspräsident und politische Wurfgeschosse
Buschmann demonstrierte zugleich, welche Strategie seine Partei im Bundestag vorhat: AfD und Die Linke in einen Topf werfen. Nicht ungeschickt und schmerzhaft für die beiden. Gelingt es der FDP nicht, der Kanzlerin wichtige Zugeständnisse abzupressen, ist es mit dem Lindner-Frühling schnell vorbei. Die FDP kann mit ihrem Sitzplatz im Bundestag, den sie nicht mag, ganz zufrieden sein, rückt er sie doch in das, was Mitte genannt wird und in der Sache nichts bedeutet. Nachbarschaftliche Beziehungen wird die FDP zur AfD nicht unterhalten. Die Parlamentsfotografen können mit dem Tele auf gute Schnappschüsse rechnen.

Die konstituierende Sitzung sah AfD und Die Linke zusammen abstimmen und SPD und AfD. Ja und natürlich die künftigen Jamaikaner-Fraktionen.

Dass ich den Parteienstaat wegen der völligen Fehlentwicklung der Inbesitznahme von allem und jedem durch die Parteien systemisch für nicht erneuerungsfähig halte, wissen jene, die ein bisschen von mir gelesen haben. Vom neuen Bundestag erwarte ich mir, dass er die verkrustete Oberfläche etwas aufreisst. Von den Journalisten und Medien erhoffe ich mir als unverbesserlicher Optimist, dass sie nicht nur ausschließlich wie bisher oberflächlich über Politik berichten. An dieser Stelle pflegen viele zu sagen, die Hoffnung stirbt zuletzt. Dem habe ich schon immer entgegnet: Die Hoffnung ist unsterblich.

Die mobile Version verlassen