Tichys Einblick
Eine einzige Politiker-Krise

Anschober und Kurz, Merkel und Spahn: Was habt ihr im Sommer getan?

Die Tage einer Politik, die sich in ihrer Hybris einbildet und anmaßt, über das Wettergeschehen zu gebieten und über die Wege eines Virus, sind umso früher gezählt, je blinder sie in ihre Sackgasse läuft.

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Drängt sich die Frage nicht jedem auf? Alle Herrschenden sagen, Ziel Nummer eins ihres Lockdowns sei, das Gesundheitssystem nicht an seine Grenzen kommen zu lassen. Warum haben sie dann nicht im ersten Lockdown und spätestens im Sommer die medizinischen Kapazitäten massiv ausgebaut?

Die Antwort ist ebenso einfach wie erschreckend. Vor dem ersten Lockdown haben sie sich nach dem unausgesprochene Motto verhalten, wird schon gut gehen. Wir sind hier ja nicht in China. Die ersten Coronafälle in Deutschland traten bei der bayrischen Firma Webasto im Januar auf. Fall Null war die chinesische Mitarbeiterin eines Automobilzulieferers, die aus Shanghai nach München kam, um Workshops zu leiten und an Meetings teilzunehmen. Wie sich zeigte, hatte sie einige Tage zuvor Besuch von ihren Eltern aus Wuhan bekommen. Die Deutsche Apotheker Zeitung schrieb:

»Am 27. Januar kam die Information über den ersten Fall von COVID-19 in Deutschland an, beim Bayrischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Mit strikten Quarantäne-Maßnahmen für die Betroffenen, der konsequenten Rückverfolgung der Ansteckungskette und dementsprechender Quarantäne für alle Kontaktpersonen gelang es zu dem Zeitpunkt, den Ausbruch auf insgesamt, inklusive dem Initialfall, auf 17 zu begrenzen.«

Die Moral der Geschichte? Kleinsträumliche Sofortmaßnahmen wirken.

Dass bei einem grassierenden Virus zu große körperliche Nähe – insbesondere in geschlossenen Räumen – zu vermeiden ist, weiß jeder aus den jährlichen Grippewellen. Ich hatte nur zwei mal eine, blieb zuhause und hielt mich dort von den anderen fern. „Meine“ Mediziner sagen, dass dies auch in den meisten Covid-19-Fällen die angemessene Umgangsweise wäre. Dass schwere Verläufe ins Krankenhaus müssen, ist klar – bei Influenza wie bei Covid-19, inzwischen wohl wegen Mutation bei Covid-20, sagt „mein“ Virologe (nach 20 folgen andere in den kommenden Jahren, Covid geht nicht mehr, sondern tritt zu Influenza hinzu). Auch wenn es viele vergessen zu haben scheinen: Der natürliche Umgang mit einer Krankheit ist ihre Behandlung.

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Vor dem ersten Lockdown, sagte ich zu Beginn, haben sich die Herrschenden nach dem unausgesprochene Motto verhalten, wird schon gut gehen. Als es dann nach dem Mono-Maßstab der PCR-Tests wieder besser aussah, wurde der Lockdown gelockert, verhielten sich die Herrschenden nach dem Motto, ist ja gut gegangen. Und das erleichterte Volk wandte sich erfreut wieder dem Leben zu.

Die Herrschenden sagen nach wie vor, Ziel sei, das Gesundheitssystem nicht an seine Grenzen kommen zu lassen. Warum haben sie spätestens seit dem ersten Lockdown die medizinischen Kapazitäten materiell und personell nicht massiv ausgebaut? Personell, sagen „meine“ Mediziner, geht das gar nicht, weil qualifizierte Fachkräfte – Ärzte wie Pfleger – kurzfristig und auch mittelfristig nicht mir nichts, dir nichts „beschaffbar“ sind. Mein simple Frage an die Herrschenden: Was wird getan, um das langfristig zu ändern?

Testen, testen, testen lautet verschärft das Mantra. Nun sickert aus allen Ecken, dass auch die Nachverfolgung bereits die personellen Kapazitäten überfordert. Sind wir schon an dem Punkt, wo die Testergebnisse – jenseits der Fragwürdigkeit ihrer Aussagekraft – nur noch folgenlos quasi ins Archiv wandern oder anders gesagt: mit der einzigen Folge von zwei Wochen Hausarrest für „positiv“ Getestete?

Die Triage muss vermieden werden, begründen die Herrschenden das Stilllegen des Lebens über das rein Physische hinaus. Diese Triage findet auch ohne Corona stets statt: Wartezeiten auf schwierigere Operationen, sogar einfache Arzttermine, aber spätestens beim Facharzt sind tägliche Wirklichkeit seit langer Zeit. Ich unterstelle: Die Herrschenden wollen einfach mit dem ungewöhnlich auffälligen Triage-Grund Corona politisch nicht erwischt werden.

Politiker und Parteien, habe ich früh gelernt, darf man nicht nach ihren Worten und Programmen beurteilen, sondern muss sie an ihren Taten messen.

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Dazu habe ich Fragen, die Journalisten längst stellen müssten, aber auffallend aussparen. Was tun die Herrschenden, wenn Ende November die Zahl der von ihnen willkürlich Infizierte genannten „positiv“ Getesteten nicht gesunken oder gar gestiegen ist, diese „Fälle“ nicht mehr weiter verfolgt werden können, keine Intensivbetten mehr frei sind – und so weiter? Wen sperren sie dann noch zusätzlich ein, was legen sie dann zusätzlich still? Und wie lange? Bis Ostern?

Nach allem, was ich rundum in Erfahrung bringe, geht die Ausbreitung des Virus in einem einzigen Sektor ungebremst weiter, sogar verstärkt, weil nun gänzlich in den privaten Raum verdrängt und in Reaktion auf das Eingesperrtsein potenziert: im Sektor Geselligkeit und Zusammensein. Es gibt keine Maßnahmen, mit denen das verhindert werden kann. Versuche, das mit Polizei und ungelernten Hilfssheriffs zu unterdrücken, würden wie das Nachverfolgen der massenhaft „positiv“ Getesteten schnell an objektive Grenzen stoßen: das Nachverfolgen der Denunziationen durch selbst ernannte Blockwarte übrigens auch.

Noch mehr: Die Unterdückung des menschlichen Grundbedürfnisses Geselligkeit und Zusammensein ist nur bei den sozial Schwächsten möglich und führt bei den sozial Starken zu immer neuer und immer mehr Umgehungsinnovation, zu einem regelrechten Wettbewerb, wer die Herrschenden noch besser ausmanövrieren kann. Überall wird an den Vorbereitungen für Silvester eifrig gebastelt.

Aus Hamburg höre ich zum Beispiel: Party mit 150 bis 200 Leuten, alle Fenster verhängt, Panzer Tape auf iPhones, damit niemand Fotos macht. Urbanes Volk von 50 abwärts, Stimmung noch ausgelassener als früher in Normalzeiten. Je mehr sie politisch öffentlich den Mund halten, desto öfter leben sie ihren Widerstand auf diese Weise aus. Was die Großstadt im Großen macht, findet in kleineren Städten in der Summe nicht weniger statt und auf dem Land gibt es schon immer unzählige alte Wege und Traditionen, den Vorschriften der Herrschenden aus dem Weg zu gehen.

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Die Herrschenden haben sich in der eigenen Falle Testen, Testen, Testen gefangen. Sie wären sofort raus, würden sie nur noch testen, wer Symptome zeigt, uns zwar gründlich und nicht nur PCR. Und dann kleinsträumliche Sofortmaßnahmen. Zu diesem konsequenten Weg haben sie selbst dann nicht den Mut, wenn sie die Richtigkeit einsehen, denn dann müssten sie Fehler zugeben. Darauf setze ich nicht.

Sollten die statistisch amtlich gemeldeten „Fälle“ bis Ende November sinken – ob nun tatsächlich oder weil an der Testschraube lautlos gedreht – wiederholte sich die Lockerung des Lockdowns, nur im Detail anders als beim ersten Mal. In diesem Fall ist nichts anderes möglich als das Ansteigen der „Fälle“ bis Neujahr und Dreikönig. Und dann Lockdown Drei? Wie oft, denken die Herrschenden, können sie das tun? Leben und Wirtschaft sind nicht mit dem Ein-Aus-Schalter bedienbar. Wissen die Herrschenden nicht, dass sie die Grenze dessen, was die Leute mitmachen, schon jetzt überschritten haben? Und ihre Anordnungen schlicht unterlaufen werden?

Zum normalen Leben zurück ist der einzig gangbare Weg. Klug umgehen mit dem Virus wie mit jedem unvermeidbaren Teil des Lebens, zu dem das Sterben gehört wie das Geborenwerden. Die Spezies Mensch geht diesen Weg so oder so. Niemand hält sie dabei auf. Auch wenn die unnötigen Störungen noch eine Weile anhalten.

Die Tage einer Politik, die sich in ihrer Hybris einbildet und anmaßt, über das Wettergeschehen zu gebieten und über die Wege eines Virus, sind umso früher gezählt, je blinder und schneller sie in ihre Sackgasse läuft.

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