Früher stritten die an der Res Publica Interessierten, was für die einen und anderen „richtig“ und was „falsch“ sei. Oder am Besten: was „besser“ für die Res Publica wäre. Diese konstruktive Zone erreichen immer mehr heutige öffentliche Äußerungen gar nicht mehr.
Bestimmte Reaktionen auf meine zwei Stückchen, „Eine Frage, Mr. Trump“ und „Eine andere Frage, Mr. Trump“ haben das, was ich auch sonst überall beobachte, in kürzester Zeit und auf knappstem Raum wie unter dem Brennglas bestätigt.
Beide Meinungsgruppen mit unbedingter „Treue“ zu ihrem „Meinungslager“ wollen das Gleiche. Erstens: Wer etwas schreibt, in dem das Wort Trump vorkommt, „muss“ Trump entweder zu 100 Prozent „gut“ finden oder zu 100 % „schlecht“. Zweitens: Dass Trump nach Meinung des Autors mit der Feststellung eines Problems recht hat, aber mit seiner Lösungsvorstellung nicht, ist eine unerwünschte Differenzierung – für beide Meinungsseiten. Ersetzen Sie Trump durch jedes andere Schlagwort. Das Muster gilt für alle heißen Thema.
Bei meiner ersten „Frage“ an Mr. Trump wies ich auf den Widerspruch hin, dass er bei seiner Auswahl an islamischen Ländern, aus denen die Einreise in die U.S. für einige Zeit nicht möglich sein soll, ausgerechnet das Finanzzentrum des IS, Saudi-Arabien, ausließ (ich hätte noch andere nennen können). Daran knüpfte ich die Frage, wo sonst noch Trump sich verhalten wird wie das US-Establishment. Auf diese Frage ging so gut wie kein Kommentar ein.
Bei meiner zweiten „Frage“ hob ich auf die Kommunikationsstrategie des Teams Trump ab, die sich einerseits – wie im Wahlkampf erprobt – mit Twitter und Co. direkt an Trumps Anhänger wendet. Die nun aber von der breiten – gegen Trump gerichteten – Berichterstattung der Mainstream-Medien auch in den letzten Twitter-freien Winkel seiner Anhängerschaft gelangt: Trump also gar nicht schadet, sondern bei der Bestätigung und Ausweitung seiner „Meinungsarmee“ nützt.
Allein die Tatsache, dass ich zweimal das Themenfeld Trump berührte, ohne ihn „gut“ zu finden, brachte mir den Vorwurf des Trump-bashings ein und des Nicht-Abwartens der berühmten ersten 100 Tage (mehrfach in „sozialen“ Medien, sehr vereinzelt auf Tichys Einblick). Diese Kommentierer würden mir selbstverständlich jeden Tag vor Ablauf der 100 Tage zustimmen, würde ich Trumps Vorhaben im einzelnen oder pauschal für „gut“ erklären. Und die Zustimmung aus dem anderen Meinungslager wäre mir gewiss, würde ich Trump und seine vermutlichen Pläne für „schlecht“ erklären.
Ich gehe mal in Vorleistung für beide Meinungslager: Es ist nur meine Nase, aber die sagt mir, Trump ist weniger Zeitenwende zurück in die verschüttete Tradition der U.S. vor ihrer globalen Rolle, die ja erst mit Thomas Woodrow Wilson im Eintritt der USA in den ersten Weltkrieg begann, also vergleichsweise jung ist. Am Ende, sagt meine Nase, wird die Folge der Präsidentschaft Trump, egal wie kurz oder lange sie währt, ein gründlicherer Personalwechsel im US-Establishment sein als sonst. Nicht mehr, nicht weniger. Dieser Wechsel wird zu einer teilweisen Neuausrichtung der amerikanischen Politik führen – im Inneren mehr als international. Selbst ein vorzeitiger Abgang von Trump führte nicht zurück in die Zeit vor ihm. Nicht mehr, nicht weniger.
Meine Hoffnungen setze ich also nicht auf Herrn Trump, sondern darauf, dass er in anderen Teilen der Welt, vor allem in Europa, ganz unbeabsichtigt so viel Bewegung in die erstarrten Strukturen und Zustände bringt, dass neue Politik möglich wird.
Noch sind wir davon weit entfernt. Wer sich heute öffentlich äußert, muss das Kunststück fertig bringen, die anfangs genannte Meinungsmauer zu durchbrechen, die uns nicht nur „vorschreibt“, was wir meinen dürfen, sondern zu welchen Themen und Fragen das Schreiben erlaubt ist, ohne allein durch die Wahl des Themas oder der Frage durch die Meingsschablonen gepresst zu werden.
Die ganz breite Mehrheit der Leser von Tichys Einblick befindet sich vor, nicht hinter der Meinungsmauer. Und das ist gut so.