Tichys Einblick
IM BANN DES WÄHRUNGSKRIEGS

Die Börse bebt

So etwas gab es schon lange nicht mehr: Aktienkurse im freien Fall; für die einen ein vorübergehender Flash Crash, für die anderen der Beginn eines längeren Abwärtstrends. Deutsche Aktien spielen eine Sonderrolle; sie lässt nichts Gutes erwarten.

The closing numbers are displayed after the closing bell of the Dow Industrial Average at the New York Stock Exchange on February 5, 2018 in New York. Wall Street stocks endured a brutal session Monday, with the Dow seeing one of its steepest ever one-day point drops, as the heady bullishness of early 2018 gave way to extreme volatility

© Bryan R. Smith/AFP/Getty Images

Der aktuelle weltweite Sturz der Aktienkurse lässt sich ad hoc zweifellos mit deren vorangegangener Überbewertung begründen. Doch viel schwerer wiegt ein speziell nach Deutschland und China gerichtetes amerikanisches Credo aus den siebziger Jahren: „Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem.“ Zweifellos ist es wieder so weit. Als Kronzeugen kann man – noch mehr als Donald Trump – seinen Finanzminister Steven Mnuchin ausmachen. Den stach neulich beim Weltwirtschaftsforum in Davos der Hafer, als er über die Dollarschwäche schwadronierte, indem er deren Vorteile für die US-Wirtschaft aufzählte. Börsianer befürchten nun, das könne der Beginn eines Abwertungswettlaufs, schlimmer noch, eines Währungskriegs wie zu Beginn der dreißiger Jahre sein. Diese Furcht besteht zu Recht.

Neben anderen Börsen ist auch die deutsche stark betroffen. Was bewegt den Dax, warum fällt er auf einmal, wie geht es mit den deutschen Aktienkursen weiter? Diese und ähnliche Fragen werden inzwischen nicht nur in Profikreisen heiß diskutiert, sondern verstärkt auch in den Massenmedien, sogar – oh Wunder – bei ARD und ZDF. Antworten gibt es meistens gleich dazu. Hier ist eine kleine Auswahl:

Nicht nur die Zinsen sind schuld

Angelsächsische und andere Investoren außerhalb des Euroraums nehmen ihre durch die Euro-Aufwertung zusätzlich angetriebenen Kursgewinne mit, die Zinsen steigen, die EZB beendet ihre Anleihekäufe früher als allgemein erwartet, der Brexit wird deutsche Unternehmen viel Geld kosten, die Vergemeinschaftung der Schulden im Euroraum ist nur noch eine Frage der Zeit, wegen der unbewältigten Schuldenprobleme in Italien (Wahl am 4. März), in Portugal, Griechenland und Zypern kann es jederzeit zu einer neuen Eurokrise kommen.

Der Zinsanstieg spielt eine Sonderrolle, denn seine Wirkungskräfte lassen sich wenigstens halbwegs in Zahlen fassen. Nach dem jetzt häufig vorgebrachten Argument: Steigen die Zinsen in Gestalt der Anleiherenditen, erscheinen Anleihen im Vergleich zu Aktien attraktiver. Darüber lässt sich allerdings streiten. Denn mit jedem Renditeanstieg fallen die Kurse der Anleihen. Außerdem verkörpern Aktien Substanz (sofern sie von soliden Unternehmen stammen), während Anleihen nur nur Schulden sind.

Kommende Trends sind entscheidend

Was bringt uns bei der Ursachenforschung in Sachen Aktienkurse weiter? Eines ganz gewiss nicht: Der Versuch, die Bewegungen des Deutschen Aktienindex Dax zu interpretieren. Viel sinnvoller ist dagegen die Konzentration auf kommende Trends, die in Zukunft auf verschiedene Lebensbereiche und damit auch auf die Aktienkurse stärker durchschlagen werden, als den meisten Anlegern bewusst ist: demografischer Wandel, schleichende Übernahme von bislang nationalen Aufgaben durch die EU, Digitalisierung, anhaltender Drang in die Städte, die Armen werden immer ärmer und die Reichen immer reicher, Integration der Flüchtlinge, innere Unruhen, Inflation.

Die Demografie ist ein ganz heißes Eisen, doch dieses Thema eignet sich vorerst kaum für Schlagzeilen – nicht griffig genug, zu komplex und deshalb für Wahlkämpfe kaum geeignet. Hinzuzufügen wäre indes: Noch nicht so recht geeignet. Denn das wird sich ändern. Umso schmerzlicher droht es uns schon in zwei Jahren und darüber hinaus ohne Vorwarnung einzuholen. Denn ab 2020 wird der Altenquotient immer weiter steigen. Das heißt, innerhalb von gut einem Jahrzehnt wird sich das Verhältnis von derzeit einem Rentner je zwei Beschäftigte auf einen Rentner je Beschäftigten verändern. Das bedeutet auch: Die Zeiten mit relativ hohem Wirtschaftswachstum gehen zu Ende, wovon neben den Aktienkursen auch die staatlichen Kassen betroffen sein werden: wegen sinkender Steuereinnahmen. Das wird den Staat zu höherer Verschuldung zwingen.

Der Bundesbankchef sieht ein Dilemma

Das zweite ganz heiße Thema ist die Übertragung von Aufgaben, die bisher in Deutschland geregelt werden, auf die EU. Hierbei geht es aktuell besonders um die Einlagensicherung. Peter Altmaier, zurzeit geschäftsführender Bundesfinanzminister, hält sie offenbar für reformbedürftig und schlägt deshalb vor, sie in Schritten zu vergemeinschaften. Eine solche Vorleistung zugunsten der Brüsseler Bürokraten kann im Endeffekt darauf hinauslaufen, dass der über die gesetzliche Einlagensicherung hinaus auf drei Sicherungssystemen beruhende Schutz deutscher Sparer durchlöchert oder sogar ganz aufgehoben wird.

Unter den anderen erwähnten Trends verlangen vor allem die Digitalisierung und die Inflation mehr Aufmerksamkeit vonseiten der Anleger. Die Digitalisierung, weil sie unterm Strich mehr Arbeitsplätze in der Industrie vernichten als schaffen wird. Und die Inflation, weil sie aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit immer zur Verarmung breiter Bevölkerungskreise beiträgt. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann nennt die derzeit – noch – vorhandene Verbindung von niedriger Inflation und geringer Arbeitslosigkeit „eine Art wirtschaftliches Dilemma“. Recht hat er. Also wehe, wenn beide Trends umkehren. Dann wird der Dax weiter einknicken.

Das Börsenbeben geht weiter

Das Dax-Abwärtspotenzial zu schätzen, ist unmöglich. Dass Banker und andere mit Aktien beschäftigte Börsianer es trotzdem immer wieder versuchen, liegt in erster Linie am Wunsch vieler Anleger, exakte Zahlen serviert zu bekommen. Was für ein Unsinn: Da springen die Kurse von 30 Aktien munter mal nach oben, mal nach unten, und das Ergebnis soll sich in einer einzigen Zahl oder zumindest in einer Kurs-Bandbreite festhalten lassen? Nie und nimmer.

Fazit: Das internationale Börsenbeben hat begonnen und dürfte unter Schwankungen weiter gehen. Seine Intensität und seine Dauer sind nicht abschätzbar, weil durchaus die Gefahr besteht, dass es zum eingangs erwähnten Währungskrieg kommt. Von nun an werden Anleger erst mal auf Nummer sicher gehen. Aus diesem Grund werden sie ihre Ersparnisse beisammen halten. Die weiter voraus Schauenden unter ihnen dürften Gold als Sicherheitspolster wiederentdecken, wahrscheinlich auch Silber. Beim Aktien-Timing bieten sich an: Dax für deutsche und Vix für amerikanische Aktien. Es handelt sich um Indizes zum Abschätzen der Schwankungsintensität; man findet sie auf den Internetseiten der führenden deutschen und ausländischen Broker. Faustregel: Beginnen sie nach einem drastischen Aufwärtsschub zu fallen, ist meistens die Zeit für Aktienkäufe da. Noch ist sie nicht da.


Manfred Gburek ist Wirtschafts- und Finanzjournalist, er schrieb mehrere Bücher zu verschiedenen Geldthemen. Sein erfolgreicher Ratgeber Besiege die Inflation ist in überarbeiteter Neuausgabe ist in unserem Shop erhältlich: www.tichyseinblick.shop

Die mobile Version verlassen