Kennen Sie das „Zigeunerhaus“? Bitte nicht aufregen, den Begriff haben echt ALLE Medien benutzt. Gemeint war ein Mehrfamilienhaus, das im Duisburger Stadtteil Rheinhausen bis Juli 2014 jahrelang von rechtmäßig zugewanderten Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus Rumänien und Bulgarien bewohnt wurde. (Puh!) Vom Tag ihrer Ankunft an stiegen im Stadtteil signifikant der Grad der Verwüstung, die allgemeine Lautstärke, die Zahl der Übergriffe, der Wohnungseinbrüche und der Fahrraddiebstähle. Mit dem Tag ihrer Abreise fielen die Zahlen wieder exakt auf das (gegen null tendierende) Niveau der Zeit vor ihrer Ankunft. Über dieses „Rätsel“ unterhielt ich mich mal mit einer Freundin aus Rheinhausen und sagte: „Hey, da gibt’s einen Zusammenhang zwischen Zuzug und Kriminalität.“ – Sie: „Na ja, das ist jetzt aber eine sehr einfache Lösung, oder?“ Ich: fassungslos …
Warum einfach, wenn`s doch kompliziert auch geht?
„Einfach“, „simpel“, so was wird heute gleich gleichgesetzt mit „dumm“, „zu kurz gedacht“, „hinterwäldlerisch“, ja sogar per se mit „falsch“. Es gibt eine regelrechte Angst davor, einfachen Lösungen anheim zu fallen, denn wer einfach denkt, entblößt damit doch nur sein intellektuelles Beschränkt-Sein, oder?
Deutschland ist schwer erkrankt an „Simplophobie“, alles Offenkundige, alles klar Erkennbare kriegt reflexhaft den Abgelehnt-Stempel verpasst. Schuld daran ist meines Erachtens eine aggressive Strategie von akademischer Seite (und von Promis, die gerne dazu gehören würden), sich selbst samt Gefolgschaft möglichst effektreich vom Pöbel abzusetzen und dem eigenen Denken das Prädikat „besonders wertvoll“ zu sichern – je abwegiger gedacht wird, umso besser. Ein Anschwärzen des Einfachen lenkt ab und lässt kompliziertere, teils hanebüchene Konsequenzen sinnvoll erscheinen, für deren Umsetzung dann natürlich nur das entsprechende „Fachpersonal“ (Sozialbetreuer, Gender-Forscher oder eben Herbert Grönemeyer persönlich) engagiert gehört. „Das sind doch einfache Lösungen“ – dieser Satz ist eine perfide Erniedrigung für jeden Nicht-Akademiker, jeden Nicht-Folgsamen; manchmal kleidet er sich in ein anderes Sprachgewand und heißt dann „Wir müssen die Menschen aufklären.“
Ich selbst bin Akademiker und erlaube mir die Feststellung, dass gerade allzu akademisches, eben „nicht-einfaches“ Denken ein politisches Problem ist, denn: manche Schlussfolgerung ist derart absurd, da würden Menschen ohne Hochschulstudium gar nicht drauf kommen!
Einfache Fragen erfordern komplizierte Antworten
Denken Sie mal zurück an Ihre Schulzeit und schnappen Sie sich den Dümmsten aus Ihrer Klasse. (Falls Sie das selbst sind: nehmen Sie den Zweitdümmsten!) Wenn Sie den fragen „Wie viel ist 1 + 1?“, so wird er antworten: „2“. Zum einen (ganz einfach), weil es die richtige Antwort ist und sogar er diese kennt – zum anderen (und das ist viel entscheidender) weil ihm das Wissen und der akademische Hintergrund fehlen, um eine falsche Antwort überhaupt begründen zu können. Nun stellen Sie die Frage „Wie viel ist 1 + 1?“ mal einem Berufsmathematiker: was meinen Sie, welche Bärbeißigkeiten Sie da potentiell zu hören bekommen? „Tja, kommt drauf an. Wie ist denn die arithmetische Grundannahme, hä?“ Schwups ist der unliebsame Nicht-Akademiker auf Distanz gehalten und muss bekennen: „Ja gut, ich bin ja doof, hab’ kein Studium, wird schon stimmen, dass man das nicht so einfach sagen kann.“ Doch, kann man: 1 + 1 = 2, auch ohne Studium!
Ja, ja, NICHT IMMER ist das nahe Liegende auch richtig, das kennen wir alle von diesen listigen Fangfragen (oder von TV-Telefonquiz-Betrügereien), wenn die vermeintliche Lösung gleich ins Auge springt, aber dann doch falsch ist, was sich erst beim Drüber-Nachdenken zeigt. Gibt’s alles, weiß ich, auch im „wahren Leben“. Ich war mal mit Zahnschmerzen beim (raten Sie mal) Zahnarzt. Der entdeckte nix, pinselte eine Salbe auf’s Zahnfleisch, was aber keine Linderung brachte. Erklärung und Hilfe erfuhr ich erst beim HNO: eine Kiefernhöhlenvereiterung, die sich gern durch Zahnschmerzen äußert, war schuld. Rudere ich also grad zurück? Nein, denn auch hier war es richtig, erstmal vom „Einfachen“ auszugehen; wenn sich das als nicht richtig herausstellt, DANN sucht man weiter. Stellen Sie sich vor, der Zahnarzt würde jedem Schmerzpatienten sagen: „Was wollen Sie hier? Gehen sie gefälligst zum HNO!“ Absurd!
Durch die Serie „Dr. House“ wurde folgendes Zitat bekannt (das auf einen echten Arzt zurück geht): „Wenn du Hufgetrampel hörst, denk nicht an ein Zebra“ – sogar der Arzt der Ärzte also fing mit der einfachen Lösung an und pirschte sich dann weiter. (Dass in seinem Fall fast NIE die einfache Lösung auch die richtige war, ist allein der Tatsache geschuldet, dass sich Serienfolgen in einer Länge von 3 Minuten relativ schlecht vermarkten ließen.)
Der Ossi ist kein Master
Unsere ausgeprägte „Simplophobie“ entfaltet zurzeit einen regelrechten Hass, allen voran auf die vermeintlich dämlichen Ossis ohne Bätschella-Studium (ich weiß, dass das falsch geschrieben ist, bitte nicht posten.) Ossis ticken anders, denn ihre Vita hat sie zu oft gelehrt, wohin ein Verliebt-Sein in abstrakte Theorien führt. Genau deshalb ist der Dunkeldeutsche grad so gefürchtet in der Politik, wenn die Kaiser aus Berlin ihre neuen Kleider präsentieren. Ossis sehen das Offensichtliche, bevorzugen das Einfache – das sag‘ ich jetzt einfach mal so. Der Ossi denkt: „Da ziehen auf einen Schlag 1.500 Flüchtlinge in eine 600-Seelen-Gemeinde? Das gibt Probleme!“
Dann sagen die Schwätzer und Schweiger aus dem West-Fernsehen: „Wer so denkt, ist Pack! Alle einsperren!“ Das lassen die Ossis nicht auf sich sitzen, werden wütend, machen Krawall und verbünden sich mit den zweifellos Falschen. Und am Ende sieht Thomas in den Tagesthemen rot: „Guckt mal, die Ossis, wir haben’s doch gleich gesagt!“
Fazit: „Einfach“ ist nicht automatisch „falsch“, mindestens darauf sollten wir uns alle einigen!
Fortsetzung folgt, da geht’s dann um „Exzessive Expertitis“ und deren historische Tragweite.
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