Sobald ein „verwirrter Einzeltäter“ (und das können im Rheinland auch derer 1.000 in einer Gruppe sein) mal wieder zur Tat geschritten ist, wird diskutiert – über Gläubigkeit, Vorurteile, Allahu Akbar und allerhand Anderes. Immer öfter taucht dabei im Bulletin des jeweiligen Darf-man-alles-nicht-verallgemeinern-Diskutanten als Kronzeuge der eigenen Sachkompetenz eine literarische Pop-Up-Person auf, die sich seit 9/11 unmerklich in unsere Konversationskultur gezeckt hat: der muslimische Freund, den viele haben. Oder zu haben vorgeben. Oder glauben zu haben. Oder haben wollen. Eine Spurensuche.
„Das stimmt doch nicht, ein Freund von mir ist auch Moslem, und bei dem …“
„Ich hab‘ so viele muslimische Freunde, die sagen auch …“
„Also, wir sind befreundet mit dem Leiter der Moschee bei uns, und der hat erklärt …“
Liebe Einblicker, haben Sie das nicht auch schon mal gehört, so oder ähnlich?
Den muslimischen Freund gibt’s in allerlei künstlerischen Varianten: Phoenix-Moderatoren oder Tagesthemen-Thomas beginnen bei gegebenem Anlass gern mit „mein türkischer Obst-und Gemüsehändler hat gesagt“, um sich selbst (zugegeben: nicht ungeschickt!) krass konträr zu ihrem Äußeren als weltoffenen, toleranten Kiezbewohner zu beweisen und gleichsam um zur Menschlichmachung der anstehenden Expertenbefragung beizutragen; als Experte in Studio oder Live-Schalte wird dann aber mit Sicherheit KEIN türkischer Gemüsehändler präsentiert, sondern irgend ein deutscher Professoren-Fatzke, der nie einen Euro hat selbst erwirtschaften müssen (Ich wollt‘, es wär‘ mal andersrum!). Politiker berichten bevorzugt von einem „muslimischen Taxifahrer“, mit dem sie sich kürzlich unterhalten hätten. Beides ist für Normales wie Sie und mich keine Erzähloption, es hätte bei den meisten aufgrund fehlender Rahmenbedingungen gleich ein fiktionales Geschmäckle. Denken Sie einfach an eine übliche deutsche Taxifahrt: Mit Trolly, Kind und Kegel geht’s im beigefarbenen Mercedes am Urlaubsbeginn zum Flughafen, Vater erkennt „Aha, Fahrer trägt Bart“ und fragt janz locker: „Und? Paris? Orlando? Doof, oder?“ Ne, ne, ein Gespräch mit dem Kutscher über heikle weltpolitische Themen obliegt der Promikaste, logo! Und der Gemüsehändler im teutonischen Durchschnitts-Smalltalk täte Rückfragen provozieren a la „Welcher denn?“ oder „Wie seid ihr denn an der Kasse darauf gekommen?“ Da ist der muslimische Kumpel schon geschmeidiger, weil so vieles offen bleiben darf, er wird bei jedem Politplausch als wahrhaftig geschluckt. Wobei: Wäre nicht auch und gerade beim muslimischen Freund mal ein dezentes Rückfragen eine Idee?
„Muslimische Freunde“ als Argumentationsverstärker
Der Blitz der Erkenntnis schlug bei mir ein, als ich mich selbst beim Schwindeln ertappte: Vor Jahren präsentierte ich erstmals eine schmissige Stand-Up-Comedy-Nummer auf der Bühne zu den Themen Verschleierung, Religion und Political Correctness. Provokativ, aber auch gewisse Grenzen beachtend (im Gegensatz zum inzwischen salonfähigen NEO-Kabarettismus). Ich wurde von allen Seiten gefragt, was denn Muslime zu meinem Burka-Bashing sagen täten? Irgendwann erwiderte ich feige und verlogen sinngemäß das Folgende: „All meine muslimischen Freunde haben überhaupt kein Probleme damit!“ Durch den Einsatz des Plurals erdreistete ich mich, gleich eine Heerschar von Fürsprechern vermuten zu lassen, andererseits sicherte meine Formulierung aber auch eine universelle Wahrhaftigkeit zu, denn über die Anzahl meiner Freunde hatte ich ja nichts verraten. In meinem Fall liegt diese Anzahl bei exakt 0,0. Drum ging ich hernach auch hart mit mir ins Gericht beim Blick in den Rückspiegel: „Ludger, du hast keine muslimischen Freunde! Schäm dich!“ Und? Wie steht’s mit Ihnen?
Ich gehöre zur schwindenden Menschengruppe, für die das Wort Freundschaft noch was zählt, und deshalb gibt es vielleicht drei, vier Menschen, die ich als Freunde bezeichnen würde – ein Muslim gehört ebenso wenig dazu, wie ein Buddhist oder ein Holländer. Es hat sich bislang einfach nichts Passendes ergeben, und ich habe Grund zu der Annahme, dass den zahllosen Bekenntnissen meiner Landsleute zu irgendwelchen Muslimfreunden keine entsprechenden Realpersonen gegenüberstehen. Anders: Vor lauter Gefühlsbesoffenheit wird inzwischen nicht nur schwadroniert, sondern halluziniert! Ein irrationales Kalkül offenbart sich, welch vielsagender Widerspruch. Und es ist ja bekannt: Am glaubhaftesten lügt der, der seine Lügen selbst glaubt. Ich entschloss mich, beim nächsten Mal kritisch nachzuhaken, immerhin bin ich ja auch Journalist, und dank Orlando (ja, das liest sich sehr zynisch, sorry!) bekam ich aktuell eine zwar wacklige, aber willkommene Gelegenheit dazu. Ein Kollege von mir, stramm-linker Traumtänzer, äußerte mit mir in einer Garderobe sitzend im Rahmen eines (natürlich) von ihm initiierten Vorurteils-Abbau-Gespächs irgendwann die magische Faselei vom muslimischen Freund, der ja auch dieses und jenes gesagt hätte – und ich so:
„Wer ist das denn?“ „Bitte?“
„Kenn ich den?“ „Wen?“
„Na, deinen muslimischen Freund?“
„Nein, den kennst du nicht, glaube ich.“
„Woher kennst DU ihn denn?“
„Bitte?“
„Wie heißt dein muslimischer Freund mit Vornamen?“
Pause. Schock. Ich gebe zu, ich hab’s genossen, und ich ahnte: Er wird sicher um Zeit zu gewinnen noch eine Rückfrage stellen, und hier hatte die seinige dann sogar Berechtigung:
„Warum willst du das denn jetzt wissen?“ Puh! Schnell schalten, Ludger!
„Na ja, der Vorname lässt gewisse Rückschlüsse zu auf den Grad der Gläubigkeit. Hat Katja neulich erzählt, die studiert Religionslinguistik.“
Das ist natürlich alles völliger Kokolores, sogar besagte Freundin hatte ich mir (als besondere szenische Perfidie) ausgedacht, und ich hoffe sehr, es gibt auch ihren Studiengang nicht. Ich wollte meinen Gegner damit Schach setzen. Er begann zu schwitzen. Toll!
„Ahmed! So heißt er.“
Am Schlafittchen packen
Wow, der ist zu allem bereit! Bestimmt würde er zur Not – in meinem Metier auch problemlos möglich – für die nächste Feierlichkeit eher einen Schauspieler engagieren, als zu gestehen „Ok, Ludger, den Ahmed gibt’s gar nicht, ich hab‘ Scheiße erzählt.“ Klar, streng genommen hatte nichts meinen Mann zweifelsfrei der Lüge überführt, doch insgesamt genügte mir das grad Erlebte zum Knüpfen einer Indizienkette und damit als Bestätigung meiner Annahme. Und wenn wir jetzt eine nüchterne Konsequenz ziehen, so wird es richtig gruselig:
Dass Menschen allzu arg alles Abstrakte einfach konstruieren, von „gelungener Integration“ über „Fortschritte im Entbürokratisierungsprozess“ usw., das ist nix Neues und dadurch erklärbar, dass Abstraktes eben nie demoliert werden kann – sofern man sich ein paar Eckpfeiler einigermaßen geschickt zurecht sägt. Doch was sagt es aus, wenn nun in Erzählungen sogar reale Menschen herbei phantasiert werden? Pippi Langstrumpf bekannte, „Ich mach‘ mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt“, doch sowohl Tom und Annika, als auch ihr selten auftauchender Vater mit den Goldstücken waren nicht erfunden! (Also im Rahmen der erfundenen Geschichte jetzt.) Ich glaube wirklich: viele „muslimische Freunde“ hingegen werden sehr wohl erfunden, zumindest werden entfernte Bekannte gern zu Freunden überhöht. Ich sehe das mehr als Indiz von Schwäche und argumentativer Hilflosigkeit, statt für fehlende Skrupel. Als Konservativer müsste ich nun eigentlich ganz gentlemanlike darauf verzichten, dies auszunutzen, doch was bleibt einem anderes übrig, als auch mal ein paar Nickeligkeiten einzusetzen? Haben Konservative nicht viel zu lange viel zu viele Schmähungen ertragen müssen? Werden nicht seit je her sogar die belesensten, klügsten Konservativen als doof bezeichnet, wenn Sie sich bei bestimmten Mainstreamthemen nicht sofort und mit Leib und Geist auf die Seite breiter Bündnisse schlagen? Also, liebe Leute, hier können wir unsere Gegner mal am Schlafittchen packen! Mein Tipp: Sobald der muslimische Freund kommt, sofort nachhaken, bloßstellen, lächerlich machen! Auch wenn’s vorerst nur zu eigenem Vergnügen führt.
Mehr zu Ludger unter www.ludger-k.de