Tichys Einblick
Ein Kommentar zum Kommentar von Kai Gniffke

Die Tagesthemen und der Untergang des Abendlandes

Rettet dem Deutsch! Ein Kommentar von Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke - ein beispielgebendes Stück Qualitätsjournalismus. Wehe, wenn an der Grenze so schnell geschossen wird, wie die Tagesschau kommentiert.

Eines mag ich gleich zu Beginn Herrn Gniffke (immerhin Chefredakteur von ARD-aktuell) von Herzen zugute halten, also ganz in echt jetzt: Er ist mit seinem Kommentar offenkundig um Ausgleich bemüht gewesen. (Dass das Wort „bemüht“ einen galligen Beiklang hat, ist mir bewusst.) Zudem finde ich Gniffke auch irgendwie sympathisch – das jedoch sollte mich nicht daran hindern, sein Machwerk in den Tagesthemen vom 3.2.2016 als das zu sehen, was es ist: ein unfreiwilliges Paradebeispiel für unseren öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus. Dieser Ausdruck ist inzwischen so deutlich als Verballhornung erkennbar, dass ich ihn nicht mal mehr in Anführungszeichen setzen muss.

Schon die Anmoderation von Thommy Roth ist ein Schmankerl:

„Die Ergebnisse aus dem Deutschlandtrend und die Flüchtlingsfrage kommentiert jetzt Kai Gniffke vom Südwestrundfunk.“

Klar, ist ja auch in etwa dasselbe Thema: die Prozentpünktchen unterm Beliebtheitsbalken von Frank-Walter Steinmeier und der folgenschwerste Vorgang der jüngsten Europäischen Geschichte, das kann man ruhig in einem Kommentar zusammenfassen. Nun ja, lassen wir den Jungs diesen Kniff mal im Kontext der Gesamtsendung durchgehen …

Es lohnt ein Blick auf Herrn Gniffke himself: In jedem seiner Gesichtsmuskeln zuckt dieser typische öffentlich-rechtliche Betroffenheitshabitus, dieses erzieherische Element, ein ständig mitschwingendes „So, liebe Kinder, jetzt wollen wir alle was lernen, und da muss ich auch mal streng sein“. Gäbe es die Senderlogo-Parade in den Bildschirmecken nicht, man könnte meinen, Kabel 1 habe in Japan eine verschollene Zeichentrick-Folge von Heidi entdeckt, in welcher der bislang unbekannte Bruder von Fräulein Rottenmeier zu einem unverhofften Blitzbesuch auftaucht.

Zum Text: „Jetzt wird die Aufregung wieder groß: die einen sehen die IS-Horden aufmarschieren, die anderen wähnen das Land im Würgegriff der Neonazis.“

Darf ich was ganz Schlimmes gestehen? Ich habe mich inzwischen so sehr an bestimmte Wortzuweisungen gewöhnt, dass mich der Ausdruck „aufmarschieren“ in diesem Zusammenhang völlig verwirrt hat. Ist ein Aufmarschieren nicht PEGIDA und diesen garstigen Dunkeldeutschen vorbehalten? Ach ne, ja richtig, andere marschieren auch. Hut ab, Herr Gniffke! Ansonsten klingt Ihr Auftakt wie das uninspirierte Befolgen einer Anweisung auf Seite 4 rechts oben im TKKG-Handbuch für Jungjournalisten von 1985. „Mach ma ’n reißerisch Bild an Anfang!“ – mein Duisburger Deutschlehrer in Klasse 8 hat das so in etwa formuliert. Kann man von einem ARD-Profi nicht ein bisserl mehr Finesse erhoffen? Ich lasse die Frage mal offen.

„Fakt ist: Die Politik verliert an Rückhalt.“

Ich bin kein Freund des Auftakts „Fakt ist“, er wird meist dazu missbraucht, das Folgende als unumstößlich festzusetzen, um es letztlich als tragende Wand der eigenen Argumentation zu interpretieren. Geschmacksache. Wenn etwas WIRKLICH Fakt ist, so kann es m.E. ob seiner Allgemeingültigkeit kein bereichernder Teil einer Bestandsaufnahme sein, zumindest ist es kaum einer herausstellenden Doppelpunkt-Einleitung würdig. Unser Gniffke-Fakt ist in etwa so hilfreich wie „Immer mehr Ärzte fordern“ oder „die Zahl der Wespenstiche in Deutschland nimmt zu“, wie man es aus Aufsehen erregenden Enthüllungsdokus kennt. Das allein hätte natürlich meinen Argwohn nicht hervorzurufen vermocht, doch es geht ja leider weiter im Text:

„Die meisten Deutschen glauben, die Regierung habe die Flüchlingssituation nicht im Griff. Verantwortliche Politiker müssen jetzt aber die Nerven bewahren und entschieden handeln. Das ist mühsam, aber die Kabinettsbeschlüsse von heute sind richtig. Die Flüchtlingszahlen müssen runter.“

Ok. Das gesamte sprachliche Konstrukt empfinde ich schon hier als sehr ungeschickt, aber egal, denn an dieser Stelle wäre es vornehmlich interessant zu erfahren, was Gniffke mit den „Flüchtlingszahlen“ meint. Im ersten Moment klingt das fast nach einer tichyesken Forderung, doch da sollten wir uns nicht täuschen lassen. Ich erlaube mir zu vermuten, dass der Mann lediglich die Zahl der NEUflüchlinge meint, dass er also fordert, es dürfen nicht weiter 1,5 Mio pro Jahr kommen, sondern „nur noch“ 1,3 Mio.

„Niemand darf sich dabei von 12% AfD verrückt machen lassen und diese Partei dämonisieren, sondern mit Klarheit und Ruhe mal fragen, welche Ideen die AfD überhaupt so hat, außer auf Flüchtlinge zu schießen.“

Also, es gibt da seit kurzem dieses Internet, da kann man letzteres leicht rausfinden. Wobei: Sind nicht ohnehin längst alle möglichen AfD-Positionen vor allem zur Wirtschafts- und Finanzpolitik bereits rauf- und runterdiskutiert worden? Noch mal egal, denn viel wichtiger ist: So langsam scheinen die Sprachpatzer von Herrn Gniffke eine lästige Konstante zu sein. Ein „jeder sollte (sich)“ oder ähnliches nach Gniffkes „sondern“ wäre hier mindestens nötig gewesen, um einen Sinnzusammenhang bei der Zuordnung von Hauptwort und Tunwort zu gewährleisten – doch selbst dann wäre das Gesagte zwar grammatikalisch korrekt, aber inhaltlich noch immer (sorry) sehr, sehr schlicht, um es höflich auszudrücken, und eben nicht die wohl beabsichtige kleine Spitze. Was soll’s, der Kai ist ja auch nur der Leiter einer Schülerzei …, äh, ne, Chef von ARD-aktuell. Oje …

„Ich möchte nicht, dass man meine Kinder erschießt, und deshalb sollten wir das auch nicht mit anderen Kindern tun.“

Puh, das ist nicht gerade ein reißfestes Kausalkettchen. Drehen wir’s mal um: Warum sollten wir nicht auf Kinder schießen? Weil Herr Gniffke nicht will, dass man die seinigen Kinder erschießt, DESHALB. Aha. Mir würden ja schon ein oder zwei bessere Gründe einfallen, warum man Kinder nicht erschießen sollte. Ja, ich weiß natürlich, dass auch dieser Satz ein Stilmittel sein soll, die Betonung lässt da keinen Zweifel: Offenbar glaubt Gniffke, an dieser Stelle eine schöne Schelmerei geliefert zu haben, doch erneut erweist sich seine schlechte schriftstellerische „Tagesform“ als Hemmhandschuh. (Sie merken: diesmal setze ich die Anführungszeichen.) Eine fahrlässig missratene Was-du-nicht-willst-das-man-dir-tu-Analogie, die richtig zu machen echt nicht schwer gewesen wäre. Wie gesagt: Puh!

„Ich verstehe ja die romantische Vorstellung der AfD, man könne die böse Globalisierung aufhalten. Kann man aber nicht.“

Das Wort „romantisch“ spricht Gniffke so, dass es als ultimative Beleidigung rüberkommt. Interessant. Und für mich als Komiker ist es dann schier unglaublich, wie jemand dies nachgeschobene „Kann man aber nicht“ vollkommen bierernst rüberzubringen versucht. Klingt komisch, is‘ aber so.

„Erst kamen nur die Waren, dann übers Internet die Informationen, und jetzt kommen die Menschen.“

Erst kam das Huhn, dann kam das Ei, dann kam noch ’n Huhn, dann der Hahn, dann der Bulle, dann der Bullshit! Hier merken wir, dass Gniffke (und damit steht er wahrlich nicht allein) ausschließlich in irdischen Dimensionen denkt, dass er nur den Zeitraum seines eigenen Lebens betrachtet und nicht in der Lage ist, welthistorische Zusammenhänge zu erkennen. Wer so wie Gniffke das eigene Geburtsjahr als Stunde Null der Menschheit festsetzt, kann seiner Logik folgen, gehen wir aber (und nur das hat Sinn) ein paar hundert Jahre zurück, so ist Gniffkes lineare Geschichtsschreibung flugs hinfällig. Die Völker sind schon gewandert, bevor bei ebay die ersten gebrauchten Nike-Turnschuhe gehandelt wurden. Erst kamen die Waren? Ja klar, Informationen brauchte man dazu nicht, die Waren wurden einfach so auf gut Glück auf die Reise geschickt. Dann erfuhr der Chinese übers Internet, dass es Holländer gibt, und jetzt kommt halt der Afghane nach Schweden. Das ist schon richtig panne, Herr Gniffke!

„Das muss man respektvoll miteinander diskutieren.“

Hä?! Was jetzt? Wer jetzt? Wie jetzt? Hier hat Herr Gniffke sein ohnehin leeres Glas noch mal ausgeschüttet.

„Warum sind wir Deutschen das erfolgreichste Land in Europa?“

In Ihrer Frage lauert eine Feststellung, die ich nicht teile. Wir Deutschen sind also das erfolgreichste Land Europas – ok, das behaupten viele. Lassen wir das (inzwischen gewohnt) sprachlich Wacklige mal außer Acht und kommen zum Kern: Woran, lieber Herr Gniffke, machen Sie diesen vermeintlichen Erfolg fest? Anders: Was bedeutet für Sie „erfolgreich sein“? Ich jedenfalls bin nicht (mehr) bereit, diesen Exportweltmeister-Rosenkranz mitzubeten, als Historiker frage ich eher, wo und wann WIR Deutschen (so sagen Sie es) zuletzt maßgeblich den weltweiten Fortschritt beeinflusst oder das Denken geprägt haben. Was haben wir in jüngster Zeit auf den Gebieten der Philosophie, der Wissenschaft, der Technik Bahnbrechendes hervorgebracht? Ihren Duktus zu eigen machend würde ich darauf ganz präzise antworten: Das ist echt ziemlich lange her.

„(Warum sind wir Deutschen das erfolgreichste Land in Europa?) Weil unsere Gesellschaft nicht eine lähmende Spaltung hat, wie in anderen Staaten …“

Sorry, Herr Gniffke, Ihre sprachlichen Fehlgriffe nerven allmählich, wieder wackelt alles. Wenn Sie mögen: Sie dürfen Ihre Kommentare jederzeit gern vorab zum Korrekturlesen an ‚Tichys Einblick‘ schicken.

„…, weil wir noch miteinander reden.“

Wir machen also löblicherweise genau das, was Sie vorher gefordert und dadurch als fehlend ausgemacht haben. Bitte aufmerksam weiterlesen, es wird jetzt richtig absurd:

„70% der Deutschen sind beunruhigt, ja, aber bevor die ‚German Angst‘ um sich greift, sollten wir uns klar machen: bei uns paaren sich wirtschaftliche Power mit weltweit geachteter Humanität.“

ERSTENS: die ‚German Angst‘, Herr Gniffke, ist meines Wissens ein englischer Fachausdruck für eine als typisch deutsch empfundene Zögerlichkeit, für unsere Tendenz zum endlosen Debattieren, statt entschlossen zu handeln. ‚German Angst‘ verspottet damit quasi die Nerven-Bewahren-Quintessenz Ihres Kommentars, Ihr (Verzeihung!) tantenhaftes „Lasst uns in Ruhe über alles quatschen“. Welch Ironie! Allenfalls lässt sich ‚German Angst‘ noch auf einen gewissen, lähmenden Weltschmerz ausweiten. So oder so, Herr Gniffke, dieser Ausdruck ist nicht einfach nur das, was eine 1:1-Übersetzung vermuten lässt, ‚German Angst‘ passt hier nicht, das sollte ein Mann Ihres Ranges wissen, verdammte Hacke! ZWEITENS: Nehmen wir an, der Ausdruck wäre hier richtig, dann bedeutete aber für mich der von Ihnen angeführte 70%(!)-Beunruhigungsfaktor, dass ein Umgreifen besagter Angst bereits stattgefunden hat. Bei Ihnen klingt das ungefähr so, als würde ein Feuerwehrmann vor den lodernden Flammen eines Hauses stehen und sagen: „Leute, jetzt müssen wir aufpassen, dass es hier nicht anfängt zu brennen.“ DRITTENS: Unsere Humanität wird also weltweit geachtet? Mag sein, aber sie wird auch weltweit verspottet. Wir Deutschen werden auch ohne Zweifel weltweit geliebt und zugleich weltweit gehasst. Die Aussage bringt nichts! Und mal unter uns (tut mir leid, dass ich immer wieder aufs Sprachliche komme): Hält hier irgendjemand das Wort „paaren“ für klug gewählt? Und wenn Sie den Plural verwenden, Herr Gniffke, dann passt das Wort „mit“ leider nicht, ein „und“ wäre hier zwingend, oder man nimmt ein „paart“ statt Ihres „paaren“. Ja, ja, ich bin ein Klugscheißer, so was passiert jedem zuweilen, aber in dieser Anhäufung ist das bei geschriebenem Wort eben keine Lappalie mehr, Herr Chefredakteur. Nur rein interessehalber: Habt ihr da oben bei Thomas-Roth-TV eigentlich keine Abnicker?!

„Wir sind Fußballweltmeister, Handballeuropameister. Das ist nicht der Untergang des Abendlandes …“

Ach, DAS meint er also mit Erfolg! Abgesehen davon, wie unsagbar peinlich es ist, in solch einem Zusammenhang die sportlichen Leistungen deutscher Bälleboys anzuführen, so lautet meine Erwiderung: DOCH, genau das ist der Untergang des Abendlandes, Herr Gniffke! Siehe nach bei Oswald Spengler, Band 2:

»Erst wenn mit der Heraufkunft einer Zivilisation die Ebbe der gesamten Formenwelt beginnt, treten die Umrisse der bloßen Lebenshaltung nackt und aufdringlich hervor: das ist denn die Zeit, wo der platte Spruch von ‚Hunger und Liebe‘ als den Triebkräften des Daseins aufhört, schamlos zu sein, wo nicht das Starkwerden für eine Aufgabe, sondern das Glück der Meisten, Behagen und Bequemlichkeit, ‚panem et circenses‘ den Sinn des Lebens bilden und an der Stelle der großen Politik die Wirtschaftspolitik als Selbstzweck tritt.«

Das war Spengler. Das ist Gniffke:

„(Wir sind Fußballweltmeister, Handballeuropameister. Das ist nicht der Untergang des Abendlandes) und kein Grund, jeden Montag Deutschland schlecht zu reden. Das ist ein Grund, stolz zu sein!“

Ou Mann …

Fakt ist: Die Kommentare in den Tagesthemen verlieren immer mehr an Qualität.

Mehr zu Ludger unter www.ludger-k.de

Die mobile Version verlassen