Hey, Welt, das ist nicht der Deal, auf den ich mich eingelassen habe! Wir hatten mal eine Vereinbarung, liebe Welt, du und ich. Und die sah anders aus, als das, was du mir hier präsentierst!
Ich wollte einen Job, wollte Frau, Kinder und Haus. Ich würde dafür arbeiten und lustige Texte produzieren. Ich würde Steuern zahlen, Kinder von der Schule abholen und was man so macht als moderner Vater.
Das schien mir einigermaßen fair. Also versuchte ich, meinen Teil zu leisten. Kinder, Vorgarten, Steuern. Und du, Welt, du hast auch deinen Teil des Deals ganz gut eingehalten.
Doch jetzt kommst du mir mit diesem ganzen Kram. Terror. Angst. Gesperrte Innenstädte. Meine Politiker sagen mir, wir müssten uns an den Terror gewöhnen. Und ich sage: Moment, stopp! Das war nicht der Deal! Überhaupt nicht!
Ich erinnere mich zurück. Es war schön, damals im Kindergarten. Das ist jetzt vier Jahrzehnte her. Ich entdeckte die Welt und es machte Spaß! Im Kindergartenalter weiß man, dass man eben erst geboren wurde. Die Eltern erzählen es einem oft genug. Wenn heute meine Kinder mir diagonal kommen, necke ich sie manchmal: »Was willst du mir sagen? Du bist doch gerade erst auf die Welt gefallen!« Sie finden das doof, sagen sie, aber sie lachen. Wahrscheinlich werde ich sie noch damit necken, wenn sie so alt sind, wie ich es heute bin.
Falls ich dann noch lebe – womit wir wieder beim Thema wären.
Als Kind hat man ja Hoffnung. Ich freute mich, was ich alles in der Schule lernen würde. Ich freute mich auf die Uni. Und, ja, so hart es als Schreiber manchmal ist, ich freute mich aufs Geldverdienen. Und ich freue mich auf jeden neuen Text, den ich anfange und fertigbekomme.
Doch all diese Freude, die mir immer selbstverständlich schien, diese Erwartung der Zukunft, sie scheint zu weichen. Sicher, es gab immer mal wieder Lücken. Aber jetzt kommt etwas ganz anderes dazu: Angst vorm Terror.
Was bedeutet es eigentlich, dass wir uns »an den Terror gewöhnen« müssen?
Für Politiker bedeutet es, dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit aus dem Bett, aus dem Sitzungssaal oder aus dem Ausland geholt werden können. Ein Assistent raunt ihnen ins Ohr: Es ist Schreckliches passiert. Der Politiker weiß, dass er die alten Floskeln herausholen muss. Im Herzen bei den Familien. Alles tun. Weiter leben. Was soll er auch sonst sagen? Er ist es ja selbst müde.
Für Polizeibeamte bedeutet das »Leben mit dem Terror«, dass sie ihre Kinder und Partner morgens, wenn sie aus dem Haus gehen, extra sorgfältig drücken. Keiner will es sagen. Es klingt zu pathetisch. Doch sie tun es, weil es jedes Mal das letzte Mal sein könnte. Darüber spricht man nicht. Ein Polizist muss taff sein, wenn er die Welt vor Extremisten diverser Couleur beschützt.
Für mich als Bürger aber bedeutet Terror, immer wieder Angst zu haben. Oder jenes allmählich stärker werdende Bauchgrummeln. Mein Alltag verändert sich. Der Alltag meiner Familie auch. Unsere Tochter wollte mit ihrer Freundin shoppen gehen, Strandklamotten für den Urlaub kaufen. Wir werden es ihr nicht erlauben. Nicht kurz nach einem Anschlag. Werden es verschieben. Das finden Sie übertrieben? Mag sein. Aber es ist unsere Verantwortung, nicht Ihre.
Demnächst fahren wir als Familie mit dem Zug. Wir werden ein mulmiges Gefühl beim Einsteigen haben. Ja, wir leben in Zeiten, in der man nach einer Zugfahrt dann doch froh ist, keinem Axtmörder zu Opfer gefallen zu sein.
Eine häufige Politiker-Stanze nach Terror-Anschlägen ist die Forderung, man solle »weiterleben wie bisher«.
Ein Zyniker könnte entgegnen, das sage sich einigermaßen leicht, wenn man Bodyguards und gepanzerte Autos zur Verfügung hat. Wir Normalbürger hier unten können natürlich nicht »weiterleben wie bisher«. Ein deutscher Minister sagte die Tage: »[Wir] müssen wachsam bleiben – aber werden uns unsere Art, zu leben, nicht nehmen lassen.« Das ist natürlich Unsinn. Es war bislang meine »Art zu leben«, dass ich eben nicht »wachsam bleiben« musste. Wenn ich bei jeder Zugfahrt mit den Augen die einsteigenden Passagiere heimlich auf Äxte und andere Waffen absuche, ist das eine ganz neue »Art zu leben«.
Der Terror hat schon jetzt unser Leben verändert, unser Bewusstsein und unsere Wahrnehmung. Beim Terror-Anschlag auf die Sikh-Hochzeit in Essen gelang es noch der Presse, das weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein zu halten. Doch spätestens beim Axt-Mörder von Würzburg ging es nicht mehr. Und nach dem Blutbad von München ist es auch bei der letzten Blümchenseele angekommen. Der Terror ist nun Teil unseres Lebens.
Wir werden uns, wie in Israel, an sichtbar Bewaffnete in Einkaufszonen und vor Restaurants gewöhnen müssen. Wir werden jeden Mitmenschen, der ins Cafe kommt, aus dem Augenwinkel nach Waffen scannen. Immer mehr von uns werden mal dabei sein müssen, wenn ein Bekannter beerdigt wird, vom Terror zu früh aus dem Leben gerissen.
Wir werden uns an den Terror gewöhnen. Das ist der neue Deal, den die Welt uns aufdrückt. Wir können ihn nicht wirklich ablehnen. Unser Leben wird sich verändern. Es wird anders werden, als wir es bis hierhin kannten. Wir sollten dem neuen Leben, dem Leben mit dem Terror, realistisch ins Auge schauen.