Es war einmal ein Feld. Die Sonne schien, wenn es nicht regnete. Die bunten Feldblumen dufteten und die Bienen tanzten über den Blüten, ihren Honig sammelnd. (Der Honig war »Bio« und »aus lokalem Anbau«, denn es war ein modernes Feld.)
In diesem Feld lebten Hasen und Igel, Dachse und Hamster, all die verschiedenen Tiere zusammen.
Die Tiere im Feld wählten einmal im Jahr, welche von ihnen die Geschicke des Feldes leiten sollten. In einem Jahr leiteten die Hasen sie an, im nächsten Jahr dann die Dachse, und so fort.
Einmal waren die Marder an der Macht. Die Marder aber machten keine gute Arbeit. Sie erzählten heute dies und morgen jenes. Sie kassierten viel zu viel Steuern von den Früchten des Feldes und sie verteilten sie unter ihren Freunden. Sie ließen die Wasserkanäle im Inneren und die Hecken am Rand des Feldes verkommen. Die Früchte wuchsen nur noch dürftig und die Füchse konnten nachts ins Feld kommen und kleine Hamster reißen.
»Die Marder sind eine Gefahr für uns alle!«, riefen die Tiere, »wir müssen jemand anderem die Macht über uns geben!«
Die Marder aber hörten das und waren verärgert. Was erlaubten sich die dummen Tiere da! Also berieten sich die Marder und grübelten, was sie tun sollten, um von sich selbst abzulenken.
Ein Marder schlug vor, die Wasserkanäle wieder zu reparieren. Die anderen Marder rechneten ihm vor, was das kosten würde. Ein anderer Marder schlug vor, die Hecken wieder aufzurichten. Die anderen Marder wiesen ihn darauf hin, dass man das Verhältnis zu den Füchsen nicht gefährden wolle.
Schließlich hatte der älteste der Marder eine Idee: Machen wir es wie früher! Schieben wir alle Schuld auf die Auerhühner! Einige Marder hatten ein ungutes Gefühl. Schließlich waren die Auerhühner eigentlich sehr feine Bewohner des Feldes und hatten niemandem etwas zuleide getan. Aber die Kritik an den Mardern wurde gefährlich und irgendwas musste geschehen. Die nächsten Wahlen waren nur Wochen entfernt. Die Marder hatten keine Zeit zu verlieren.
So stellte sich der Älteste der Marder vors Feld und verkündete: Tiere des Feldes, habt ihr euch gefragt, warum die Auerhühner so stolze Federn haben? Ich sage nicht, dass es die Auerhühner waren, aber irgendwie müssen sie ja die Federn bezahlt haben! Ich mache mir Sorgen um unsere Wasserkanäle. Ich frage mich, ob die Auerhühner sich nicht nachts heimlich an denen zu schaffen machen? Wer hat denn ein Interesse, dass die Hecken diese Löcher haben? Könnten das die Auerhühner sein?
Die Tiere des Feldes aber hatten schon immer einen Verdacht gegen die Auerhühner gehegt. Mancher neidete ihnen die Federn. Andere fanden ihren geheimnisvollen Ruf bedrohlich.
Bald rotteten sich die Dachse und Hamster zusammen, und die Hasen und Igel bewaffneten sich mit Stöcken. Sie machten sich auf, die Auerhühner aus dem Feld zu vertreiben. Endlich, am Morgen eines Tages im späten Herbst brachen die Tiere zur Jagd auf die Auerhühner auf.
Später würden die Tiere des Feldes nur ungern an diese unschöne Zeit erinnert werden. Überhaupt wären an allem nur die Marder schuld gewesen. Die übrigen Tiere hätten nur später davon erfahren. Und wenn die wenigen übrig gebliebenen Auerhühner an diese Zeit erinnerten, brüllten die Tiere ihnen entgegen: Ihr nutzt diese Geschichten doch nur zu eurem Vorteil! Die Hamster und Dachse würden den Auerhühnern diese unschöne Zeit nie verzeihen. Und für die Marder ging jene Zeit sowieso nie vorbei, sie war nur vorübergehend ausgesetzt.
Politik
Das war unsere Gutenmorgengeschichte. Reden wir nun über etwas ganz anders, etwas völlig anderes! Reden wir über Politik!
Er ist wieder da, der Antisemitismus. In Deutschland. Er war nie wirklich weg, doch einige Jahrzehnte lang schien es, als habe man dieses Gespenst mindestens vorübergehend in sichere Geschichtsbücher und ZDF-Dokus weggesperrt.
Die »Antisemiten«, das waren in den goldenen Helmut-Kohl-Jahren noch irgendwelche spinnerten Glatzköpfe in Springerstiefeln. Antisemiten gab es, sicher, aber sie betrieben obskure Verschwörungstheorien, raunten von den Weisen von Zion und vom Mossad. »Du Jude« ist zwar schon seit einiger Zeit ein Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen, doch bislang war das wohl mehr in »Brennpunktschulen« der Fall, also ungesehen von den Augen der empfindsamen Öffentlichkeit. Und in Köln hatten wir die antisemitische »Kölner Klagemauer«. Deren Betreiber ist auch inzwischen verstorben.
Es ist nun 2017. Die Merkel-Ära hat ihren Zenit überschritten, nur dauert sie eben noch an. Alles, was Merkel jetzt noch tun wird, wird immer nur in immer neuen Varianten der Versuch sein, die verheerenden Folgen ihrer epochalen Fehlleistungen von 2015 einzudämmen.
Unter Angela Merkel ist der Antisemitismus auf zwei Arten in den Alltag der Deutschen zurückgekehrt.
Die erste Art ist direkte Folge von Merkels Politik. Die zweite Art wird betrieben von ihrem Koalitionspartner und dessen Getreuen in der Presse.
Der neue, alte Antisemitismus
Merkel hat 2015 die Grenzen geöffnet. Sie hat Menschen ins Land eingeladen aus eben jenen Regionen der Welt, in denen der Antisemitismus ein Teil der allgemeinen Denkart ist. Selbst stramm linke Medien geben zu, dass viele der neuen Mitmenschen leider auch antisemitisch sind. (Dazu ein Zitat, das eh nie einen Zusammenhang hatte, von Martin Schulz: »Was die Flüchtlinge uns bringen, ist wertvoller als Gold.«) Der Zentralrat der Juden in Deutschland warnt, »dass viele Geflüchtete aus Kulturen kämen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil seien«.
Dieser neue alte Antisemitismus war abzusehen. Angela Merkel hat ihn in Kauf genommen, um ihre Vision eines entgrenzten Deutschlands umzusetzen. Ihre Wähler scheint das wenig zu stören. So sind sie halt, diese Fremden. Das muss man halt auch verstehen.
Doch es gibt einen zweiten Antisemitismus, dem Merkel neuen Raum zu geben scheint. Ein Antisemitismus, mit dem ihr Koalitionspartner unzweideutig flirtet.
Der alte, neue Antisemitismus
Die SPD steht wahltechnisch mit dem Rücken zur Wand. Einst war sie Volkspartei. Im Bund wurde sie von Angela Merkel verfrühstückt, wie die Kanzlerin es mit Koalitionspartnern zu tun pflegt. In NRW brechen der SPD gerade in Echtzeit die Grünen weg. Die SPD hatte mit einem magischen Kandidaten namens »Martin Schulz« auftrumpfen wollen. Der hat gerade selbst Ärger in Brüssel wegen irgendwelcher Personalpolitik-Geschichtchen. Die SPD-Umfragen glitten zuletzt wieder unter die 30%. Nicht schön für die Stegner-Maas-Partei.
Julian Röpcke von der BILD verglich sehr passend: »Man stelle sich vor, Netanyahu käme nach Deutschland & würde erst die ›außerparlamentarische Opposition‹ von Pegida oder Antifa treffen.« (Man könnte ergänzen: Oder mit »RT«, dem von Russland aus angestoßenen TV-Programm, ursprünglich bekannt als »Russia Today«.)
Der Applaus deutscher »Israelkritiker« ist Gabriel sicher. Es ist, als ob Gabriel ein Ventil der »Israelkritik« geöffnet hätte. Der Spiegel, der spätestens seit seinen Trump-Titeln in reichlich aufgewühltem Wasser unterwegs ist, entdeckt eine alte Sprache neu: die »Lingua Tertii Imperii«, die Sprache des Dritten Reiches. – Darf man endlich wieder?
In ihrem Spiegel-Online-Newsletter faselt Christiane Hoffmann von einer »Sonderbehandlung« Israels. Kleine Nachhilfe für Qualitätsjournalisten mit Geschichtsschwäche: »Sonderbehandlung« war NS-Code für Ermordung. Hat man Ihnen das in der Schule für Hauptstadtjournalisten nicht beigebracht?
Christoph Schult, ebenfalls beim Spiegel, unterstellt: »Netanyahu instrumentalisiert den Holocaust mit Vorliebe für andere politische Zwecke.« Der Artikel ist überschrieben: »Netanyahus Halbwahrheiten«. Es ist uralter antisemitischer Usus, Juden (hier dem wohl »halblügenden« Juden Netanyahu) zu unterstellen, sie wären eigentlich froh über den Holocaust (hätte eine »Vorliebe«!!) und würden ihn manipulativ für ihre »Zwecke« einsetzen.
»Perverser wird es nicht!«, möchte man ausrufen, doch fürchtet man, darin allzu bald widerlegt zu werden. Die Schleusen sind offen, die Grütze fließt raus. Wenn irgendeine linke Publikation demnächst von der »Endlösung« für den Nahen Osten schwadronierte, wie sehr würden wir uns wundern?
Ich sorge mich, dass hinter dem neuen Man-wird-wohl-sagen-dürfen eine simple Mathematik steckt: Unter potenziellen SPD-Wählern gibt es mehr Antisemiten und Israelkritiker als Juden und Israelfreunde. Sigmar Gabriel hat über seinen eigenen Vater gesagt, er sei ein »unbelehrbarer Nazi« gewesen. Gerade er – von seinem Interimsjob als Außenminister abgesehen – sollte also ein besseres Gespür haben und »Israelkritik« nicht zu Wahlkampfzwecken einsetzen. Um Wolfgang Schäuble zu paraphrasieren: Eine anständige Bundeskanzlerin würde diesen Minister unverzüglich entlassen. (Merkel hat sich hinter Gabriel gestellt.)
Man wird wieder über Saudi Arabien sagen dürfen!
Es lässt einen gruseln, dass »Israelkritik« wohl wieder dienen soll, von eigenem Politikversagen abzulenken. Sigmar Gabriel spielt mit antisemitischen Triggern, die üble Vorbilder in der Geschichte haben. Linke Journalisten scheinen dankbar und sagen, was sie wohl schon immer sagen wollten.
Aber vielleicht täuschen wir uns. Vielleicht wurde ja gerade ein neues Zeitalter politischer Offenheit eröffnet. Wir bekommen schon jetzt die Gelegenheit, das zu überprüfen.
Dieses Wochenende reist Frau Merkel nach Saudi Arabien. Alexander Kissler vom Cicero fragte, welche Mitglieder der saudischen »Zivilgesellschaft« sie wohl treffen wird?
Wenn Frau Merkel sich mit islamkritischen Bloggern und Kritikern des saudischen Königshauses trifft, ist ja alles gut. Wenn nicht, hat Deutschland wohl eindeutig ein neues, altes Problem.
Wie es im Feld weiterging
Man hört, dass die Auerhühner, die rechtzeitig fliehen konnten, ein neues Zuhause in anderen Feldern fanden.
Einige der Auerhühner hatten zu den schlauesten Bewohnern des Feldes gehört. Wenn man aber die Klugen verjagt, bleiben vor allem die Nichtsoklugen zurück. Und selbst die Klugen tun dann, als wären sie dumm – aus Angst, selbst für ein Auerhuhn gehalten zu werden. Diese Dummheit würde man noch Jahrzehnte später merken.
Wenn nun Sie, liebe Leserinnen und Leser, etwas über das Leben im Feld heute, in den »Zwanzigzehnern«, lesen möchten, darf ich Ihnen meinen Text »Der Fuchs will Frieden« empfehlen.