Tichys Einblick
NZZ am Sonntag Nr. 16, FAZ am Sonntag Nr. 15, BILD am Sonntag Nr. 16

Zurück zur Normalität?

Der Blick in die Sonntagszeitungen suggeriert, dass die großen Probleme und Aufreger wieder dem Allerlei der Dinge weichen. Roland Tichy und Fritz Goergen lasen für Sie.

Die Schweiz auf dem Weg zu einer neuen Drogenpolitik, die intransparente islamistische (?) Basler Faysal-Moschee, „Die bizarre Welt der Tierschmuggler“ und die Übernahmeschlacht um den Baukonzern Sika bilden die Titelseite der NZZ am Sonntag.

„Der Islamische Staat rückt gegen Aleppo vor“ ist das Gegenteil der Meldungen deutschsprachiger Medien der letzten Tage. Auch die Gruppernflucht des nordkoreanischen Restauratchefs samt Team nach Südkorea findet sich nur bei der NZZ. Informativer Bericht über China auf dem Weg zur globalen Militärmacht: Schritt eins eine Basis in Djibouti. Mit den Syrern und Irakern kommen viele Kundige über den IS, schreibt die NZZ aus Berlin (!), aber die Behörden nutzen den Wissens-Pool nicht systematisch. Der Druck von Inserenten auf Medien steigt und manche Schweizer Medien finden das richtig – wie ist das in Deutschland? Mit Virginia Raggi von der Protestpartei Cinque Stelle hat eestmals ein Frau die Chance Bürgermeister von Rom zu werden.

Nicht zum ersten Mal lenkt die gute alte Tante NZZ den Blick auf andere Themen und Sichten als in der bundesdeutschen Sonntagspresse. Ansonsten signalisiert die aktuelle Ausgabe wie in Deutschland die Rückkehr zur Normalität ohne erkennbare Schwerpunkte.

„AfD wird zu Anti-Islam-Partei“, ist der Aufmacher der Frankfurter Allgemeinen SONNTAGSZEITUNG. Sehr neu ist das ja nicht, die eigentliche Neuigkeit, dass es nüchtern aufgeschrieben wird. Der keifende Ton, der sonst hinter jedem A hörbar wurde, ist weg. Kommt die AfD allmählich im Medienmainstream an? Ein bisserl Dämonisierung schadet nicht, Alexander Gauland wird ausgefragt, ob uns eine deutsche Le-Pen-Partei droht. Irgendwie nähern sie sich an in manchen Positionen, seit Le Pen den offenen Antisemitismus in Person ihres Vaters bekämpft.

Wenig erhellend auch ein Portrait über Thorsten Schäfer-Gümbel,  Landesvorsitzender der Hessen-SPD. Ungefähr einmal im Jahr wird er als DER kommende Mann in der SPD angekündigt, und das schon ziemlich lange. Vielleicht ist die eigentliche Botschaft, dass sein nichtssagendes Portrait hinten rangiert, die AfD vorn. Auch ein gequältes Stück über die Grünen, die sich jetzt als Merkel-Retter andienen, bleibt ohne Lesereiz. Die deutsche Parteienlandschaft ist erschöpft und das liest und liest oder soll man auch weiter lesen, hofft die FAS: Victor Orbàn, der böse Ungar, besucht Helmut Kohl, der langsam vom bösen Buben aus Oggersheim in die Rolle des Staatsmannes verschoben wird, seit Helmut Schmidt uns nicht mehr rauchend die Welt erklären kann. Auch das ein seltsam langes, bemühtes Stück, das zu lesen weder Freude noch Erkenntnis bringt, sondern sich nur zieht.

Es klingt alles etwas umambitioniert. Es fehlt das Angriffige. Etwa bei einer Story, die sich um Jugendliche dreht, die im Netz dealen. Das ist böse. Und das in der Woche, in der Volker Beck von den Grünen mit ein paar Tagessätzen davonkommt, obwohl er mehrere Dutzend Rausch-Portionen der wirklich abartigen Droge Crystal Meth bei sich trug? Das Netz ist eben böse, Volker Beck gut, auch wenn sich viele Fragen stellen: Hat er nun mit dieser Menge gedealt oder einen Stricher bezahlt oder persönlich so hohen Bedarf? Wie geht das mit seinem Abgeordneten-Mandat Hand in Hand? Ist persönliche Integrität noch etwas, was man mit einem grünen Bundestagsabgeordneten in Verbindung gebracht wird? Dem stellt sich die FAS nicht – es reicht  gerade noch für ein paar anonyme Jugendliche, denen man kaum erklären kann, warum Drogen böse sind, wenn Politiker so ungestraft damit hantieren dürfen. Das Thema reicht bis Zürich. Die NZZ berichtet von Plänen der Regierung, auf die Tatsache, dass jeder dritte Junge und jedes fünfte Mädchen mit 15 Cannabis-Erfahrung hat, mit Pilotprojekten der kontrollierten Abgabe zu reagieren.

Der FAS-Wirtschaftsteil widmet sich Carsharing in Form von Blabla-Car, das läuft und läuft und läuft. Das E-Auto von Daimler hat die angegebene Reichweite von 200 km nicht, meldet die NZZ, sondern 100 bis 150. Und die Aufholjagd um die beste Batterie ist neu angelaufen.

Lesenswert ein FAS-Gastbeitrag von Hans-Werner Sinn und Gunther Schmidt über Alternativen zur Euro-Rettung, die von hochrangigen Ökonomen die Woche davor als alternativlos gefratzschert worden war. Aufregungsfaktor eher gegen Null; kann man schon singen und prüft beim lesen, ob einem auch selbst alles eingefallen wäre. Der Geldteil versucht dann, Nullzinsen schmackhaft zu machen um eine Seite später den Starinvestor Mohamed El-Erian Negativzinsen verteufeln zu lassen.Dass Helikoptergeld nicht den Konsum ankurbelt, sondern die Superinflation, stellt Beat Kappeler in der NZZ dar.

Klar, der Leser soll sich seine Meinung bilden; aus widersprüchlichen Argumenten eine Linie zu schmieden, ist der erschöpften FAS-Redaktion zu langweilig. So werden bunte Bauklötzchen gestapelt, suchen Sie sich Ihres aus! Die Welt ist verwirrend, und die Verwirrung der Redaktion kleidet Anna Prozkau in Worte. Beim gerade aktuellen Auschwitzprozess guckte ihr der Angeklagte in die Augen, kurz, und sie erstarrte nicht; AfD-Gegner hassen Flüchtlinge, Linke Juden, Ausländer hassen Ausländer, Nazis … ach was. Ernst August von Hannover will das alte Adelshaus zu neuem Glanz führen. Und an Heiko Maas nur ganz vorsichtige Kritik, nennen wir es den Beck-Effekt: Die guten von Rot-Grün kritisiert man nicht. Unweigerlich drängt sich die Frage auf: Wenn die Welt schon so langweilig ist, kann man eine Wochenzeitung dann nicht auch einmal ausfallen lassen?

Bei der BILD am Sonntag ist die Welt jedenfalls spannender, und das liegt nicht an den großen Buchstaben. Zwei Drittel der Deutschen sind im Fall Böhmermann gegen Merkel, das Thema der Woche wird ausgespielt. Ein martialisches Bild von Außenminister Steinmeier in Libyen, Bayerns Finanzminister Söder prüft, ob bayerische Beamte den Österreichern beim Abriegeln der Brenner-Grenze helfen sollen, nachdem sie schon die bayerische Grenze nicht mehr sichern dürfen: Das bringt die Lage in Deutsch-Absurdistan auf einen Punkt. Bayerische Uniformen in Tirol – Napoleon lässt grüßen.

Die Liste der besten rezeptfreien Medikamente habe ich mir herausgerissen. Es juckt und drückt ja immer was. Da fühlt man sich kurz und knapp besser aufgehoben und informiert, als die ewige Herumschreiberei der FAS es vermag.

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