Tichys Einblick
DIE PRESSE AM SONNTAG

Wirtschaft und Politik: In Spanien und Österreich bewegt sich mehr

In Spanien können wir in Politik und Wirtschaft sehen, es geht nicht nur im Norden, es geht überall ganz aus eigener Kraft, wenn die Verantwortlichen sich nur trauen. In Österreich scheint immerhin die Politik in Bewegung zu kommen.

Damit, dass eine Partei eine Strategie braucht, hat Frau Petry, noch Vorsitzende der AfD, zweifelsohne Recht. Wie sie schon lange versucht, der AfD ihren Willen auzuzwingen, zeigt, dass sie selbst auch keine Strategie hat. Jürgen Streihammer beleuchtet das in seinem Beitrag aus Köln, „Der unaufhaltsame Fall einer Ehrgeizigen“ zutreffend:

Diese Strategie ging schon einmal, 2015, schief, damals für AfD-Gründer Bernd Lucke. Er wurde gestürzt. Von Petry. Nun werfen sie der 41-Jährigen dasselbe vor wie einst Lucke, nämlich die Partei spalten zu wollen. ‚Abgrenzeritis‘ nennen sie das. In ihrem knallroten Kleid, das den dicken Babybauch betont, rang Petry um den Zukunftsantrag. Die AfD müsse eine ‚erwachsene Partei werden‘. Petry räumte zwar Fehler ein, zum Beispiel, dass sie ihren Rivalen Alexander Gauland als Anführer einer abzulehnenden ‚Fundamentalopposition‘ genannt hatte. Sie habe mit Gauland gesprochen. Der Antrag würde umgeschrieben. Es nutzte alles nichts. Petrys Ansinnen schafft es nicht einmal auf die Tagesordnung. Die nächste Niederlage.“

Streihammer bewertet die mit viel Beifall bedachte Rede von Petry-Konkurrent Meuthen als Verschiebung der AfD nach „rechts“. Nach „Rechtsruck“ fragen Rainer Nowak und Thomas Prior auch den österreichischen Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ):

Teilen Sie den Befund, dass die Flüchtlingsbewegung zu einem Rechtsruck in der Parteienlandschaft geführt hat? Der Politologe Anton Pelinka hat gemeint, Sie wollten eine FPÖ light aus der SPÖ machen.

Kern antwortet: FPÖ light ist besonders unsinnig, platt und wohl Ausdruck seiner Emotionen, nicht seiner Analysen. Die Politik wird derzeit nur aus diesem Blickwinkel betrachtet. Anhand der Flüchtlingspolitik werden links und rechts definiert. Demnach wäre die am weitesten rechts stehende Partei im deutschsprachigen Raum die Linke in Deutschland.

Chefredakteur Nowak und Kollege Prior wollen von Kern wissen: Ihnen hat die ‚Presse‘-These vom ‚Vierten Weg‘ gefallen. Wie sieht eine moderne sozialdemokratische Partei aus?“

Kern: „Ich meine, dass wir unsere Tradition nicht über Bord werfen dürfen, weil uns das unterscheidbar macht. Andererseits müssen wir Entwicklungen zur Kenntnis nehmen. Blair und Schröder haben das mit dem Dritten Weg versucht, allerdings waren die Antworten untauglich, wie wir 2008 (Finanzkrise, Anm.) gesehen haben. Jetzt müssen wir versuchen, eine pragmatische, auf Modernisierung ausgelegte Wirtschafts-, Innovations- und Bildungspolitik zu betreiben, gleichzeitig aber die Gerechtigkeitsfrage mit realer Politik aufladen.“

Wem Kern in Frankreich die Daumen drücke,  dem Sozialisten Hamon, dem „Linkspopulisten“ Mélenchon oder dem „Sozialliberalen“ Macron?

Kern: „Europa braucht Führung. Realistisch betrachtet kann nur eine starke deutsch-französische Achse vorangehen. Und den französischen Part sehe ich definitiv nur in Macron. Manche Genossen finden, ich müsste mich mit Hamon solidarisieren. Aber sein Sektierertum führt in eine Sackgasse.“

Zum wiederholten Mal kriege ich den Eindruck, in Österreich bewegt sich politisch mehr als in Deutschland.

„Spaniens Blüten blühen wieder“ – berichtet Karl Gaulhofer: In diesen Tagen übersteigt Spaniens BIP das Vorkrisenniveau. Eine verlorene Dekade? Eher ein Modell für segensreiche Reformen. Denn der Wohlstand von einst war ein Luftschloss.

Seit vier Jahren erziele das Land Handelsüberschüsse. Der Exportanteil sei von 25 auf 33 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen, während sich der Bausektor von über zehn auf fünf Prozent gesundschrumpfte: „Dass spanische Waren heute so wettbewerbsfähig sind – die Autofabriken sind die produktivsten Europas –, liegt an gesunkenen Lohnstückkosten. Erst dachte man an einen temporären Effekt: In der Krise trennen sich Firmen von den unproduktivsten Mitarbeitern.“

Doch moderate Lohnerhöhungen hätten dafür gesorgt, „dass die Werte niedrig blieben (während die Kosten im Rest der Eurozone wieder munter steigen).“ Mehr Firmen in mehr Sektoren lieferten in mehr Märkte. Das Wachstumsmodell sei breiter aufgestellt, weniger krisenanfällig. Dazu komme Glück im Tourismus: Stammgäste der Türkei, Ägyptens und Tunesiens fänden nun Zuflucht unter spanischer Sonne.

„Das Fundament für den Wiederaufstieg aber waren Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im Finanzsektor. Erst der gelockerte Kündigungsschutz erlaubte den Unternehmen, auch in unsicheren Zeiten Leute einzustellen. Vor allem aber gelang, anders als in Italien, eine Bankenrettung nach Lehrbuch: Nicht lebensfähige Institute mussten schließen, die anderen wurden rekapitalisiert. Kleine und schwache Sparkassen zwang man zur Fusion zu größeren Einheiten. Alle ‚Cajas‘ wurden dem unheilvollen Einfluss der Regionalpolitiker entzogen.“

Wir sehen, es geht nicht nur im Norden, es geht überall ganz aus eigener Kraft, wenn die Verantwortlichen sich nur trauen. Die Folgen in Spanien: Nach der Entzauberung der Linkspopulisten von Podemos und der überstandenen Hängepartie um die Regierungsbildung steht nun auch die spanische Politik als Hort der Stabilität in Europa da, zur Freude der Investoren. Was von den politischen Aufbrüchen bleibt: Die Wähler lassen sich Korruption und Verschwendung der Mächtigen nicht mehr gefallen. Es ist, an allen Ecken und Enden, ein neues Spanien, das aus seinen Fehlern gelernt hat.“

Gerhard Hofer interviewt Professor Werner Hoffmann an der Wirtschaftsuniversität Wien: „Die Veränderung braucht eine Lobby“. Hoffmanns Quintessenz:

„Unternehmen haben einen Lebenszyklus. Sie werden geboren, wachsen, teilen sich – und sterben. Und es entstehen wieder neue, hoffentlich zukunftsträchtigere Unternehmen. Ich plädiere ja für einen viel entspannteren Zugang zum Thema ‚Sterben von Unternehmen‘. Man muss Unternehmen nicht mit Krampf am Leben erhalten. Manchmal wäre es besser, das Geld in Neues, in zukünftige Jobs zu investieren.“

Hofer: „Viele Banken wurden am Leben erhalten.“

Hoffmann:Ja, Banken sind der Blut- und Sauerstoffkreislauf einer Volkswirtschaft, da waren Rettungen und Erneuerungen durchaus sinnvoll, genauso wie vielerorts ein geordnetes Bankensterben stattgefunden hat und sinnvoll war. Auch die ordentliche Beendigung von Unternehmen ist Teil des Wirtschaftslebens und erfordert ein professionelles Management.“

Den Spitzen der Regierungen, Gewerkschaften von Kapital und Arbeit und allen anderen Verantwortlichen der Gesellschaft empfehlen wir ein paar Semester bei Professor Hoffman.

Noch einen schönen Sonntag und in Frankreich: schau’n mir mal.

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