Mit der Meldung „SPUR NACH DEUTSCHLAND: Paris-Täter war Asylbewerber“ und dem Aufmacher begibt sich Stefan Aust mit der WELT AM SONNTAG in die von Cordt Schnibben, seinem SPIEGEL-Ex-Kollegen, im jüngsten Leitartikel errichtete Pranger-Zone der „Salonhetzer“. Der WamS-Titel lautet: „ZU VIELE zur gleichen Zeit – Die massenhaften Übergriffe in der Kölner Silvesternacht verändern das Land. Die Stimmung beginnt sich gegen Merkels Flüchtlingspolitik zu drehen“:
„Insgesamt 379 Anzeigen wegen Sexualdelikten und Diebstählen, ein außer Rand und Band geratener Mob und ein bis ins Mark erschüttertes Grundvertrauen in den Staat und die Politik – das ist die vorläufige Bilanz der Silvesterexzesse von Köln. Tagelang hatten Behörden und Politiker versucht, die skandalösen Vorfälle zu vertuschen. Ein Zusammenhang zwischen Kriminalität und Flüchtlingspolitik sollte offenbar vermieden werden. Doch Recherchen zeigen: Genau das ist nicht zu leugnen. Unter den mutmaßlichen Tätern waren viele Flüchtlinge und Asylbewerber; junge Männer, die erst kürzlich oder in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen sind – und Frauenverachtung sowie kriminelle Energie beim Grenzübertritt nicht zurückließen.“
Damit nicht genug endet Austs Kommentar im FORUM auf Seite 11 auch noch so: „Absurdistan ist überall, am meisten aber in Deutschland. Und es ist grenzenlos. Unter die Räder kommt dabei das Asylrecht, kommt die Hilfe für wirklich schutzbedürftige Kriegsflüchtlinge, kommt auch die Freiheit der Grenzen in Europa. Von der inneren Sicherheit des Landes ganz zu schweigen.“
Schnibben: Denunziantentum in Trickbetrüger-Manier
Für Schnibben ein klarer Fall. Im einstigen Sturmgeschütz der Demokratie schreibt er: „Die große Koalition gegen Merkel, die von Pegida und der AfD über die CSU bis zu den Salonhetzern in der ‚FAZ‘, der ‚Welt‘, in ‚Cicero‘ und nationalkonservativen Blogs wie ‚Tichys Einblick‘ reicht, sieht in der Kanzlerin wahlweise eine Frau, die fortlaufend deutsches Recht breche, nicht mehr zurechnungsfähig sei und eine Diktatur errichtet habe, gegen die Ungehorsam Pflicht sei.“ Im Weiteren will der Autor „den Strom der Menschen regulieren“ durch ein Einwanderungsgesetz. „Durch Polizei und Justiz, durch einen Staat und eine Gesellschaft, die diesen Wertekanon verteidigen“ will Schnibben „verhindern, dass sich mit diesen Menschen Verhaltensweisen einbürgern, die nicht zu unserem Wertekanon passen“. Und: „Der Bundesregierung muss es gelingen, den Deutschen durch eine deutliche Reduzierung der Flüchtlingszahlen die Angst vor der Überforderung der Gesellschaft zu nehmen.“ Damit liegt Schnibben mit seinen Forderungen zwischen CSU/SPD und CDU/Grün – auf der nach unten offenen Schnibben-Skala: nationalsozial. Was der Autor tatsächlichen Fremdenfeinden an klammheimlicher Freude über Köln zutreffend zuschreibt, schiebt er den von ihm „Salonhetzer“ Genannten in die Tasche. Cordt Schnibben, das ist Denunziantentum in Trickbetrüger-Manier.
Der neue Auftritt gelungen, die Themen nicht minder
Nachdem ich die WamS länger nicht in der Hand hatte, sprechen mich neue Optik und Gliederung spontan an: modern ohne Schnickschnack. Ein fett gedrucktes Wort in den Titelzeilen als Themen-Weiser: gelungen. Viele Themen auf der Frontseite Interesse weckend angeteasert. ZIPPERTS WORT ZUM SONNTAG, witzig ernsthaft und ernsthaft witzig zum Wiedereintritt von „Mein Krampf“ in den Buchhandel. Nicht zu viel Werbung. Die Titelseite macht Appetit auf mehr, die Absicht gelingt.
Robin Alexanders kritischer Saudi-Arabien-Report über die Seiten 2 und 3 als eine Seite gestaltet, gut bebildert, angenehm zu lesen (die digitale Umsetzung kenne ich noch nicht). Auf Seite 4 oben über die Preisentwicklung beim Schweinefleisch und darunter ein informativ-heiteres Stück über einen Leitfaden für Flüchtlinge – Vorsicht Stefan Aust: nicht dass Schnibben schnibbisch reagiert.
Viktor Orbáns Freund Leslie Mandoki von weiland Abba, der als Asylbewerber nach Deutschland kam, nun als der CSU Inbegriff von perfekter Integration: anrührender Werdegang und Liebeserklärung an Deutschland zugleich. Schöner Titel: „Der Bayern-SCHLAGER“. Das gilt auf der nächsten Seite auch für: „KLARTEXTER in Turnschuhen“: Stephan Kramer als neuer Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, von der CDU zur SPD gewechselt und vom Christentum zum jüdischen Glauben konvertiert – da und dort ziehen Leute in den Staatsdienst, die auf mehr hoffen lassen als Dienst nach Vorschrift.
„Ein GENOSSE flieht nach Kuba“ setzt das Augenzwinkern fort: mag ich. Bei dem, was auf Sigmar Gabriel wartet, muss man ihm Cuba Libre gönnen. Dass er von dort den deutschen Steuerzahlern sagt, er sähe gar nicht ein, warum sie „ausländischen Kriminellen die Haftzeit bezahlen“ sollen, entrüstet zuhause die eine SPD und findet Zustimmung über die andere hinaus. Darunter Dobrindts Anzeige für ein „schnelles neues Jahr – Turbo-Internet für alle“ – politische Placierung vom Feinsten.
„Bill-Show RELOADED“ erinnert mich daran, dass es unter Politikern bald nur noch One-trick-ponies gibt, wobei die mit dem Campaigning-Gen wenigstens etwas Nützliches können. Bills Aussage über Hillary stimmt jedenfalls für ihn selbst nicht: „Alles, was Hillary berührte, machte sie besser.“ Der Essay „Die First Lady, ein Zwitterwesen“ von Gesine Palmer – beste Frühstückslektüre.
Köln bis Katar
Das Gespräch mit dem französischen Islam-Experten Gilles Kepel: „Salafisten wollen Zusammenbruch EUROPAS“ bestärkt einmal mehr, die Katastrophen in den arabischen Ländern haben materiell und geistig noch längst nicht ihren negativen Zenit erreicht, und: in Köln sahen wir möglicherweise die Anfänge des Netzwerk-Wirkens, wie es der „Aufruf zum globalen islamischen Widerstand“ von Abu Mussab al-Suri 2005 in die Welt setzte.
Die Bilderstrecke im vierseitigen Köln-Report hat die Magazin-Qualität, die hierzulande vielen Magazinen fehlt, die zusammengetragene Faktenfülle habe ich nirgendwo sonst gefunden.
„VEGANE Verführung“, eine Warnung vor Experimenten an Kindern – mitten im Leben. Eine bunte PANORAMA-Mischung. SPORT & MOTOR – auch für mich als da kaum Hingucker gut, weil nicht wie in anderen Blättern unpolitisch – Autos mit Superhirnen, „Der MENSCHENVERSTEHER“, gern gelesen, ein Blick in eine vielleicht nähere Wirklichkeit, als wir denken.
„Der neue REICHTUM“ im Buch WIRTSCHAFT lässt die Luft aus dem gängigen Klischee, wenn unser Reichtum statistisch beim Monatslohn von 3.000 Euro beginnt. „Das Kreuz mit KATAR“ zeigt, es gibt noch mehr Schweizer Probleme als Sepp Blatter. Die Sonderrechte für die Trägerinnen von seidenen Burkas und ihre Herrn gehen den Eidgenossen auf den Sack. „Wer macht SINN?“, lesenswerte Story über den Nachfolge-Krieg Clemens Fuest gegen Marcel Fratzscher – das Foto zeigt, im Styling steht es unentschieden: Karl Lagerfeld (weiter vorne im Blatt) bitte übernehmen.
Das Buch FINANZEN & WOHNEN – interessante Paarung – beginnt mit China und zeigt wie Roland Tichy in der BamS, dass Staat Wirtschaft nicht kann, Finanzen auch nicht. Bei der Börse halte ich mich nie auf, es reicht, sich jeden Abend darüber zu wundern, dass im TV Wirtschaft mit diesem Wettgewerbe verwechselt wird. Der Trend zu kleinen Wohnungen und entsprechenden Möbeln, spannend: „Leben in XXS“. Und von da direkt zu „Das Volk der Dichter und DÄMMER“ – I like it.
Wer mir sofort in den Sinn kam, als ich im Buch KULTUR den Titel des Gesprächs mit Martin Walser las, verschweige ich: „Ich möchte keine SAUEREI hinterlassen“. Es wäre dem Gehalt der Unterhaltung nicht angemessen. Walsers neuen Roman „Ein sterbender Mann“ muss ich lesen, Alan Posener über Jörg Baberowskis Studie „Räume der Gewalt“ zur Seite legen, bis ich Baberowski lesen konnte, um selbst herauszufinden, ob es sich wirklich um „einen neuen Historikerstreit“ handelt.
„Es war der GÄRTNER“ zum 150. Todestag von Peter Joseph Lenné hebe ich mir auch auf. Das mache ich ebenfaslls mit dem Buch STIL & REISEN – ebenfalls eine interessante Paarung.
Mein Fazit: Eine Ausgabe der WELT AM SONNTAG, die Lesespaß macht und Appetit auf die nächste Ausgabe. Das witzig Ernsthafte und ernsthaft Witzige bis Schmunzelnde zieht sich von Zippert zappt durch die Überschriften, Bilder und Texte – eine Stilnote, die sich im deutschen Blätterwald im Unterschied zum angelsächsischen sonst nicht findet. Chapeau, Stefan Aust und Team.