Der SPIEGEL verknüpft in seiner Titelgeschichte Fäden, über deren Zusammenhänge sich Spezialisten Gedanken machen, die aber einem breiteren Publikum helfen können, Einordnungen vorzunehmen. Anlass sind zwei Ereignisse, ein historisches: die ersten Urteile, die vor 70 Jahren in den Nürnberger Prozessen gefällt und vollstreckt wurden, und ein aktuelles: die Barbarei, die in Syrien wütet und die Ohnmacht, die einen ergreift, wenn man immer und immer wieder die sich stets ähnelnden Bilder des Grauens sieht.
Die Nürnberger Prozesse schrieben Völkerrechtsgeschichte. Der Weg bis zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, der im Juli 2002 seine Tätigkeit aufnahm, war weit. Doch was können Gerichte und Urteile ausrichten, wenn sich Aggressoren gegen Nachbarländer und gegen die eigene Bevölkerung nur in seltenen Fällen verantworten müssen? Solange Massenmörder und Kriegstreiber als nationale Heroen verehrt werden, scheitert jede Kriminalisierung ihrer Untaten.
Kann es überhaupt eine faire Rechtsordnung in Sachen Krieg geben? Der Leitartikel „Was wir tun können“ von Stefan Berg, die Titelstory „Der Prozess“ von Thomas Darnstädt und der Essay „Nie wieder Syrien“ von Dirk Kurbjuweit bilden ein Triptychon, das Erklärungen anbietet, die offen zwischen Ohnmacht, Wut, Hilflosigkeit und Hoffnung wechseln. „Es muss eine Lehre aus alldem geben. Die hilft denen, die als Nächste dran sein könnten. Sie leben schon“, lautet die Botschaft von Kurbjuweit.
Auf der Couch
SPD-Kanzlerkandidat I: Markus Feldenkirchen will offensichtlich Sigmar Gabriel zur Kanzlerkandidatur schreiben. Dazu erzählt er „Couchgeschichten“, zeichnet das Bild eines Menschen, der sein Zaudern aus traumatischen Ereignissen seiner Kindheit ableitet. Der Bundeswirtschaftsminister, ein Politiker, der sich heute noch vor Zurückweisung fürchtet, wie ein Jüngling, der sich nicht traut, seine Angebetete um ein Date zu bitten. Was Gabriel im Portrait menschlich machen soll, ist weit weg von der Art Führungsstärke, die national und international überzeugen könnte. Es erklärt allenfalls das unberechenbare Schwanken zwischen Kooperation und Alleingängen.
SPD-Kanzlerkandidat II: Britta Stuff und Horand Knaup redeten mit Peer Steinbrück über seinen Rückzug aus dem Bundestag. Die Überschrift „Und dann: servus!“ ist genauso weich (und so gar nicht norddeutsch), wie das, was der zum Klartext-Sprecher von den Medien hochstilisierte frühere Ministerpräsident von NRW, Bundeswirtschaftsminister und SPD-Kanzlerkandidat von 2013 von sich gibt.
Irgendwann tritt deutlich zutage, welche Politiker eine Rolle darstellen.
Schade, dass Gisela Friedrichsen sich ausgerechnet mit einem Beitrag über Beate Zschäpe von den SPIEGEL-Lesern verabschieden muss. Sie hätte etwas Besseres verdient gehabt. In „Taktischer Fehler“ zeigt die Mischung aus Fachwissen, Beobachtungsgabe und Urteilskraft, warum die Grande Dame der Gerichtssäle Deutschlands Gerichtsreporterin Nummer Eins wurde.
Wagemutig zeigt sich das Wissenschaftsressort. In „Symphonie der Sterne“ begründet Johann Grolle, dass seiner Meinung nach in diesem Jahr der Nobelpreis für Physik nur an Rainer Weiss, Kip Thorne und Ronald Drever gehen kann, die im vergangen Jahr die Gravitationswellen sichtbar machen konnten und damit eine Prophezeiung Einsteins nachwiesen. Am Dienstag werden wir erfahren, ob es nur das Trio sein konnte.
Wie der Ernährungswahn in die Welt kam, zeichnet Maren Keller in „Fressfeinde“ nach. Ihre These: „Die Kulturgeschichte der Diät ist ein Kampf um Macht, Gewicht und Moral. Und um Kohlehydrate“, ist fast 190 Jahre alt. Informativ, nicht belehrend und mit erfrischenden lakonischen Anmerkungen gewürzt.
„Der Ein-Mann-Deutschlandroman“ nennt Volker Weidermann sein Stück über Wolf Biermann. Zu seinem Achtzigsten legt der Dichter, Sänger, Künstler seine Autobiografie vor: „Warte nicht auf bessre Zeiten“. Da wird Geschichte wach.