Tichys Einblick
Der SPIEGEL Nr. 20 vom 13. Mai

Teurer Freund. Emmanuel Macron rettet Europa … und Deutschland soll zahlen

Verspätet kommt der SPIEGEL daher - das Schicksal eines Wochenmagazins. Wie geht er damit um? Da dürfen wir nach dem Wahlsonntag auch später sein.

Das ist das Schicksal von Wochenzeitungen: Am Montag, klassischer Spiegel-Tag, auch wenn es ihn schon am Samstag gibt, interessieren sich das Land und seine Leser für das Wahlergebnis in NRW. In der kurzen Aufmerksamkeitsspanne ist die Präsidenten-Wahl in Frankreich schon sooo lange her. Der SPIEGEL muss trotzdem damit titeln. Dass Werbeaussagen eher ein (Lebens-)Gefühl vermitteln, als den Inhalt eines Produktes zu beschreiben, ist bekannt. Wer das Lebensgefühl Frankreichwahl eine Woche danach noch einmal erleben will, oder wer die letzten drei Wochen außerhalb der Reichweite deutscher und französischer Medien verbracht hat, mag mit dem Titel informativ bedient sein. Wer sich nicht dazu zählt, sollte das SPIEGEL-Cover unter die Rubrik „Werbung“ buchen.

Paris-Korrespondentin Julia Amalia Heyer bleibt in „Der Verführer“ weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Oder hat hier die Redaktion – anders als die Autorin – das Thema überspitzt, um ein weitgehend ausgelutschtes Sujet noch einmal interessant erscheinen zu lassen? Auch das von Peter Müller geführte Interview mit der Macron-Beraterin Sylvie Goulard bleibt unkonkret. Da hätte man sich mehr erwartet – zeitlicher Abstand gibt ja Zeit für Recherche und Überlegung; nicht immer ist das schnelle Stück das Beste.

Es hat den Anschein, als wenn Emmanuel Macron die EU mit neuen Ideen auf einen interessanten Kurs bringen könnte. Gleichzeitig wäre es an der Zeit, das deutsch-französische Verhältnis zu entmystifizieren. Da wird zu Viel gehofft und geglaubt. Umso wichtiger wäre es, Macron in die Mangel zu nehmen.

Euro-Sozialismus
Macrons europäische Transferunion
Denn nur mit unverstelltem Blick wird man Chancen von Risiken unterscheiden können. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bleibt im SPIEGEL-Gespräch „Der Überschuss ist hoch“ erwartungsgemäß nüchtern und wird dafür sorgen, dass die siegreichen Jungspunde auf dem Teppich bleiben. Was der Sieg überhaupt Wert ist, wird sich noch bei der Wahl zur Nationalversammlung im Juni erweisen. Höchst interessant ist ein kleiner Einschub in dem Beitrag „Eine französische Affaire“ über Gabriels Papier „Élisée 2.0“. Danach plant der Außenminister die im deutschen Atomfonds dahinschlummernden Euro-Milliarden zu nutzen, um damit, ergänzt durch entsprechende private und staatliche Finanzmittel aus Frankreich, gemeinsame Zukunftsinvestitionen auf den Weg zu bringen. Das liest sich spannend, wird aber nicht näher erklärt.
Zurücktreten, bitte

Dirk Kurbjuweit fordert im Leitartikel „Zurücktreten, bitte“ Verteidigungsministerin von der Leyen zum Rücktritt auf. Dass es in der Bundeswehr (noch immer) eine verwerfliche Tradition weniger gibt, die sich in der Nachfolge der Wehrmacht sehen, ist seit Jahrzehnten bekannt. Dass jetzt eine gewaltbereite Zelle zutage tritt, die angeblich auch vor Attentaten auf die oberste politische Führungsriege nicht Halt macht, wäre eine neue Qualität. Wobei die Fakten bislang dünn bleiben. Laut im Angriffsmodus ist nur die Vorwärtsverteidigungsministerin. Sie sucht ihr Heil darin, jedes Problem gewaltig zu vergrößern, um aus der Rolle des Verfassers in die Rolle des Aufpassers zu schlüpfen. Außerdem arbeitet sie daran, ihr großes Wort vom „Haltungsproblem“ der Bundeswehr im Nachhinein mit Inhalt zu füllen. Und jetzt lautet ihre letzte Verteidigungslinie, dass es  verlogen wäre, die aktuelle Verteidigungsministerin für das Problem, das angeblich keiner ihrer Vorgänger mit der notwendigen Konsequenz angegangen ist, in Haftung nehmen zu wollen. Es wäre lohnenswerter gewesen, zu diskutieren, ob nicht auch die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht das ihre dazu beigetragen hat, dass sich die Zusammensetzung der Soldaten in der Bundeswehr negativ verändert hat (hat sie das?). Apropos: Gab es im SPIEGEL eigentlich schon einmal ein Lob für die Bundeswehr? Oder dient sie nur als Vehikel – jetzt wird sie verteidigt, weil die Ministerin zum Abschuss steht? Da hätte man sich mehr Hintergrund und Konsequenz in eigener Sache gewünscht.

Die Somewheres gegen die neuen Klugen Anywhere
FAS: Wenn die Leute nicht so wollen wie ihre Vorbeter
In „Zurück auf Los“ analysiert Horand Knaup die Wahlschlappe der SPD in Schleswig-Holstein und die Auswirkungen auf die Bundespartei. Knaup stellt der Parteizentrale ein Berlin ein Ungenügend als Zeugnis aus und macht selbst vor Kritik an Martin Schulz nicht Halt, der sich wohl von den hymnischen Lobgesängen im SPIEGEL nach seinem Antritt als Kanzlerkandidat hat einlullen lassen und sich bei der Wahlkampagne zurückhielt. Noch ist der Glaube an den „heiligen“ Martin nicht gänzlich dahin. Mal schauen, wie es nach der NRW-Wahl ausschaut. Jedenfalls ruft Barbara Supp, die Schulz quer durchs Land begleitete, mit ihrem Beitrag „Aufwachen!“ den schlappmachenden Merkel-Herausforderer zum Aufstehen und Weiterkämpfen auf. Alles richtig, aber der große Schlag kam ja nach Redaktionsschluss, die Wahl in NRW.

SPIEGEL-Gastautor Thomas Fricke lamentiert in „Der neue New Deal“ darüber, dass die Globalisierung in Verruf gerät, mehr und mehr an Kraft verloren hat und dass wegen zu hoher Boni Hasardeure und Finanzzauberer zu oft den Kurs bestimmen. Ich glaube nicht, dass es besser wird, wenn wir Andrew Haldane folgen und die Manager ihre Boni bei schlechter Ergebnisentwicklung zurückzahlen müssen. Fricke vernachlässigt bei seiner Analyse, dass der jahrhundertelange Aufschwung einer Aufeinanderfolge von Kondratieff-Zyklen zu verdanken ist: Bergbau, Automobil, Chemie, Elektrifizierung, Eisenbahnbau u.a. führten zu einem beispiellosen Arbeitskräftebedarf. Wo soll der nächste Wachstumszyklus herkommen? Und übrigens: Auch aus dem Blick geraten die Globalisierungsverlierer. Das ist ja das eigentliche Thema, das in den USA wahlbestimmend war. Da war in dieser Woche die FAS schon weiter vorne.

Alles in Allem gespiegelt: Zu spät.

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