Den Opa-Weihnachts-Spot von edeka haben über 30 Millionen aufgerufen, die Deutsche Bahn surft auf dieser Woge, andere werden folgen. Vereinzelung und Einsamkeit sind die omnipräsenten Kennzeichen unseres täglichen Rasens. Das zieht sich überall durch, ohne dass es genannt wird. Sarah Pines, die in Palo Alto lebt, ziert den Titel. Sie berichtet von Nahrungsrevoluzzern im Silicon Valley. Auch von dort kommt die Information von Evgeny Morozov, die mich elektrisiert und meinen Eindruck von der lautlosen Machtwanderung aus der Politik in unsichtbare Mega-Monopole bestärkt: Google in Dimensionen, die heutige politische Vorstellungen von seiner Kontrolle und Beschränkung als naiv erscheinen lässt.
Zur alten, stets neuen Debatte um Anarchismus versus Liberalismus schreibt Dagmar Schulze Heuling, in der Praxis sei der Minimalstaat die beste denkbare Lösung, so verführerisch anarchistische Gedankenexperimente wären. Wer von letzteren noch nicht genug hat oder sich vergewissern will, liest David Dürr, der dem liberalen Grundgedanken widerspricht: „Ohne Recht keine Freiheit. Und ohne Staat kein Recht. So denken die Liberalen. Doch sie irren.“ Er plädiert für die Privatrechtsgeselllschaft. Morozov regt mich an, eine Verbindungslinie zu Joint Ventures von Privaten wie Google und unlegitimierten Bürokratien zu ziehen. Die Ordnungen von morgen werden mit denen von heute kaum noch etwas zu tun haben. Diesen Gedankenrahmen bereichert der Gedanke der christlichen Sozialethiker, dass der wirkliche Kapitalismus, wie er vor und unabhängig von Marx definiert wurde, sozial ist: Martin Rhonheimer erklärt uns das aus katholisch-liberaler Sicht.
Von Gunnar Heinsohn überrascht es nicht zu hören, dass „Schulversager aus der Fremde zwar Jugendlichkeit mitbringen, aber vielleicht niemals Patente entwickeln werden.“ Bei Patenten liegt Deutschland heute schon weit hinter dem gleich alten Japan, das praktisch keine Zuwanderung zulässt. Heinsohns Fazit: „Womöglich bliebe auch Europa näher dran an den eigenen wohlfahrtsstaatlichen Zielsetzungen, wenn es von seiner riskanten Minimalverjüngung in ein hochklassiges Schrumpfen überwechselte.“
Dass Niall Ferguson Paris nicht als neue Stufe des Schreckens sieht und die Aktionen der Regierungen für falsch hält, durften wir erwarten. Seine Warnung ist unmissverständlich : „So gehen Zivilisationen zugrunde.“ „Die Römer“, zitiert er Bryan Ward-Perkins, „waren sich so sicher, wie wir es heute sind, dass ihre Welt im Wesentlichen unverändert ewig weiterexistieren würde. Sie irrten sich. Wir wären gut beraten, ihre Selbstgefälligkeit nicht zu wiederholen.“ Fergusons Landsmännin Judith Butler schreibt aus Paris, „der Staat erklärt uns, er müsse nun, um die Freiheit zu verteidigen, Freiheiten beschränken – ein Paradox, von dem sich die Experten im Fernsehen scheinbar nicht stören lassen.“
Adrian Daub schreibt Journalisten und Politikern, die zuhauf nach Silicon Valley drängen, ins Stammbuch, dass sie dort nur die Benutzeroberfläche sehen und besser zuhause die Augen aufmachen sollten. Wenn sie das können – das ist nicht von Daub, sondern mir. Kehren wir zu Sarah Pines zurück.
Soylent ist ein Pulver, das man mit Wasser anrührt, die Tagesration von 1,5 Liter „enthält alle benötigten Kalorien, übertrifft feste Nahrung sogar an gesunden Inhaltsstoffen“. Außerdem ist Soylent billig, „etwa 450 Dollar kostet eine monatliche Rundumversorgung, der Preiskampf ist bereits in vollem Gange.“ Soylent sagt sie, soll nicht das traditionelle Essen ersetzen, sondern Fastfood. Dass unsere Zeitgenossen die Addition praktizieren werden, nicht die Alternative, darauf wette ich. Aber die Perspektive ist klar. In den Zeiten, in denen wir unseren Jobs nachgehen, egal ob traditionell im Betrieb und Büro oder zuhause und unterwegs: Während der Jobzeiten essen wir nicht mehr, sondern ernähren wir uns. Der Business-Lunch wird Nischenereignis. Essen mutiert sozial-kulturell zum Luxus-Event (nicht der Massen). Das Titelfoto mit dem Plastikröhrchen passt: „Trink dich besser!“
Udo Pollmer wettert gegen „paternalistische Ernährungsexperten“ – schöne Polemik. Doch Arthur De Vany setzt mit seiner Steinzeit-Diät den Kontrapunkt. Aus dem Interview mit ihm zitiere ich nur seine Antwort auf die Frage nach vegetarisch und vegan: „Wer sich so ernähren will, ist frei, das zu tun, aber er sollte nicht glauben, er sei anderen überlegen. Veganer sind Omnivoren nicht überlegen, im Gegenteil, ihnen mangeln essentielle Proteine, Fettsäuren und B-Komplex-Vitamine. Der Mangel an letzteren könnte auch erklären, warum Veganer manchmal so missionarisch wirken. Dazu kommt, dass der DHA-Mangel den IQ um bis zu 5 Punkte senken kann.“ – Für mich das beste Stück im ganzen guten Heft.
Das Dossier – eine nützliche Einrichtung des Magazins – füllen dieses Mal Beiträge zu Armenien, die man sonst nicht so leicht findet. Alles in Allem: Die Doppelnummer zum Jahreswechsel empfehle ich uneingeschränkt, die Zeit zwischen den Tagen ist dafür perfekt. Herausgeber und Chefredaktor René Scheu geht als Feuilletonchef zur NZZ. Da ist zu hoffen, dass der Schweizer Monat eine gute Nachfolge findet.