Die Herrnhuther Losungen der Evangelische Brüder-Unität beglücken jeden Tag mit einem Bibelzitat. An diesem Sonntag wie folgt:
Sie gieren alle, Klein und Groß, nach unrechtem Gewinn, und Propheten und Priester gehen alle mit Lüge um und heilen den Schaden meines Volks nur obenhin, indem sie sagen: »Friede! Friede!«, und ist doch nicht Friede. (Jeremia 6, 13-14)
Harter Stoff. Die Erschütterung in Politik ergreift immer weitere Kreise der Gesellschaft. Hat diese Erschütterung auch die Sonntagszeitungen erfasst?
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ist in einigen Teilen lesenswert. Hinter der banalen Seite 1 mit kurzen Nachrichtentexten zeigt die 2. Seite eine Reportage aus Bodrum: dort, wo die Flüchtlinge starten. Sie unterscheidet sich wohltuend von den Katastrophenberichten. Das Übersetzen auf die griechische Insel Kos ist längst Routine bei glatter See und blauem Himmel, die Abfahrtszeiten sollen so bekannt sein wie andernorts die der Touristenschiffe. Eine Kontrolle findet nicht statt; vorübergehend soll es sie mal gegeben haben. Jetzt, wo der Winter zu Ende geht, wechseln die Schlepper vom Schlauchboot zum Kutter. Kunden sind weniger Syrer, sondern Pakistani. Bodrum ist der Beginn eines komfortablen Fluchtwegs nach Deutschland; ab Griechenland übernehmen Busse und Züge den Transport. Auf der kommenden Seite erfahren wir, dass Griechenland weiterhin das Schwarze Loch Europas ist. Eigentlich wäre es ja die Aufgabe Griechenlands die Ankommenden aus Bodrum zu identifizieren, wenn nicht sogar abzuweisen. Aber der Scanner ist kaputt.
Griechenland – die Krise Europas
Griechenland zeigt erneut: Es will die Vorteile Europas und des Euros kassieren, die Verpflichtungen der Gemeinschaft ignorieren. Es ist mit vielen Details ein noch nicht gelesener Einblick in den Beginn einer Fehlentwicklung, die in Bodrum beginnt und auf der Kölner Domplatte ihren Höhepunkt fand. Im Wirtschaftsteil setzt Herausgeber Holger Steltzner in kühler wie kluger Art die Analyse fort. Europa gerät immer weiter in Gefahr – nach dem Euro wird die Flüchtlingskrise zum Spaltpilz. „Unsere Angela Merkel ist nicht ganz unschuldig.“ Aus gutgemeinten Gründen tue Deutschland das Falsche, so läßt sich der Historiker Heinrich August Winkler zitieren, der vor einer „moralischen Selbstüberschätzung“ warnt. Dazu zählt auch eine Reportage über die neue deutsche Apartheid – aus Angst und Not vor gewalttätigen und frauenfeindlichen Merkel-Flüchtlingen sperren Diskotheken und Clubs auch gut integrierte Besucher aus, deren Aussehen dunkel erscheint. Die Folgen der Masseneinwanderung werden in Details sichtbar.
Genau diese moralische Selbstüberschätzung war in den vergangenen Woche die bejubelte Leitlinie der Wochenzeitung, die sich damit in seltsame Opposition zum kühlen und rationalen Mutterblatt setzte. Jetzt scheinen wieder die klügeren Köpfe die Redaktionsleitung übernommen zu haben.
Nicht überall. Ein Tiefpunkt der Zeitung ist ein Stück über angeblich rechte Radikale in den Kirchen. Vom Stil holprig und sprachlich infantil wirkt es wie ein Fremdkörper im Rahmen einer sonst sorgfältig gebauten Zeitung. Die Autorin wird als Juristin vorgestellt. Sie ist tatsächlich in einer Münchner Großkanzlei zu verorten, wo sie sich mit dem Fachgebiet der Unternehmenszusammenschlüsse beschäftigt. Das erklärt den Text: Anwälte kehren für ihre Schriftsätze die Werkstatt zusammen, um aus den Abfällen des Schreiners notdürftige Argumentationen zu zimmern und garnieren es mit dem Schwarzen unter dem Nagel. Das mag hinreichend sein für diesen Beruf in seiner einfacheren Form.
Für den Beruf des Journalisten reicht das nicht. Nicht der Mandant und sein mehr oder weniger begründetes Interesse steht im Vordergrund, sondern der Leser. Der will keinen anklägerischen, einseitigen Schriftsatz im Auftrag formuliert und bezahlt, sondern eine abgewogene Erklärung. Und so werden Kollegen abgewertet, die Grenze zwischen konservativ und rechtspopulistisch beliebig verschoben, Argumente konstruiert und Zusammenhänge herbeifabuliert. Es geht ums Recht haben wollen, nicht um eine saubere, tragfähige Argumentation. Es geht um versuchte Verleumdung, nicht Wahrheitssuche. Es ist ein denunziatorischer Ton, der sich an einem Wort fest- und es zum Galgen machen will.
Radikale Versuche der Rache
Keiner der Betroffenen wurde gehört oder befragt. Dieses grundlegende journalistische Prinzip hat am Sonntag Urlaub. Dabei hätte es erstaunliches zu Tage gebracht. Wie langweilig muss es für eine im Grau einer Kanzlei Tätigen tagsüber sein, sehnt sie sich doch nach der spannenden Luft des Journalismus. Personen, die sie hier kritisiert, hat sie einst bejubelt, für sie Lesungen oder ähnliches organisiert, schwärmerische Mails über die Grenze jeder Peinlichkeit hinaus in die Welt geschickt, um Anerkennung bettelnd.
So viel Nähe scheuen gute Autoren, die Abgrenzung ist Teil des Berufsethos. Die fehlende Abgrenzung aber führt zu Ich-Störung, zur Verletzung der Autorin, deren schwärmerische Bewunderung dann in Racheversuche enttäuschter Liebe umschlägt. Was für ein Drama! Was für ein Abgrund einer armen und gequälten Seele!
Oft liegt die Story hinter der Story, übrigens auch bei der an sich korrekten Berichterstattung, wie Putin versucht, mit Hilfe der Rußlanddeutschen Deutschland zu destabilisieren. Die Story dahinter aber ist: Je mehr schlecht integrierte ethnische Gruppen es gibt, die ihr abgeschlossenes Dasein mit TV-Sendern aus der alten Heimat befeuert sehen, umso instabiler wird das auseinanderfallende Gemeinwesen. Dieser erste Versuch als Menetekel – das wäre die Story.
Schade, dass die FAS ihre Spalten für persönlich getriebene Fehden hergibt und ihre Autorin unbearbeitet läßt. Ein unguter Geschmack im Abgang bleibt so. Aber insgesamt hat die Suche nach der wahren Story die Priester des Journalismus doch erfaßt.
Sie sagen eben nicht mehr: „»Friede! Friede!«, und ist doch nicht Friede.“