Glamour, Moral und Heldenbilder: eine boulevardeske Mischung erwartet die Spiegel-Leser in dieser Woche – und Selbsterkenntnisse darüber, warum viele Leser dem Spiegel und anderen etablierten Medien den Rücken kehren und sich aus andere Quellen informieren, zum Beispiel aus Tichys Einblick.
Es spricht für die Spiegel-Redaktion, dass sie sich seit der Lügenpresse-Debatte hin und wieder auch im eigenen Heft mit der eigenen Branche und sich selbst beschäftigt. Im Beitrag „Die Wut der klugen Köpfe“ analysiert Isabell Hülsen, warum unter so vielen Gebildeten eine Abneigung gegen „Mainstream-Medien“ wie Spiegel und Focus, ARD und ZDF oder große Tageszeitungen besteht und Blogs wie Tichys Einblick so viele Leser finden. Doch was lernen wir? Dass das Magazin weit davon entfernt ist, die Leser wirklich verstehen zu wollen. Wenn wache Bürger, kluge Köpfe, die sich nicht mehr medial bevormunden lassen wollen und deshalb in den „Mainstream-Medien“ (wie der Spiegel sie nennt) Wegweiser sehen, schon im Teaser mit „Hass“ konnotiert werden, wenn der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen diese Abtrünnigen mit „Lügenpresse-Light-Niveau“ beschreibt, wenn die aktuelle Ausgabe des Magazins nur so gespickt ist mit moralisierenden Beiträgen, wenn das Heft genau das wiederholt, was die Kronzeugen des Beitrags so nervt, dann zeugt das nicht davon, dass hier irgendetwas wirklich verstanden wurde.
Mit zwei überraschenden Personalien hat die CDU die politische Agenda des Spiegels gesetzt: Im Interview „Die Partei ist zu kurz gekommen“ mit Ralf Neukirch und Melanie Amann erhalten wir vage Hinweise darauf, was sich unter der Führung von Annegret Kramp-Karrenbauer als CDU-Generalsekretärin ändern wird. Tobias Hans ist „Der nächste Unbekannte“, kurz skizziert von Matthias Bartsch.
Zu Gabriel auf dem Abstellgleis der SPD schweigt der Spiegel überraschenderweise, während Focus in der aktuellen Ausgabe darüber fabuliert, was Andrea Nahles gegen den Außenminister hat. Kurz: Da werden alte Rechnungen beglichen.
Veit Medick und Michael Sauga fragen sich, welche Rolle Jungpolitiker Kevin Kühnert, seines Zeichens die SPD aufmischender Juso-Chef, künftig in der Partei spielen soll („Das fasst einen an“). Wie wäre es mit einem Praktikantenjob in einem Ministerium? Im Übrigen sehe ich in dessen Umtriebigkeit ein gutes Zeichen für lebendige Diskussionskultur und Meinungsvielfalt. Wir sollten in der innerparteilichen und der medialen Diskussionskultur wieder dahin zurückfinden, dass andere Meinungen bereichernd sind, nicht feindlich.
Meine Lektüreempfehlung ist der Beitrag „Gedopt in die Zukunft“ von Dinah Deckstein und Martin U. Müller. Aufhänger ist der Börsengang von Healthineers, der Medizinsparte von Siemens. Die Autoren beschreiben, wie Digitalisierung dieses Geschäft in kurzer Zeit verändern wird und wie die Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley schon in den Startlöchern stehen, um das Geschäft maßgeblich mitzubestimmen. Ob ein Riese mit alten Technologiewurzeln da mithalten kann, wird sich zeigen müssen.
Billy Graham ist gestorben. Im Nachruf lese ich, dass Gott ihn – so sagte der Prediger einmal – vielleicht nach seinem Tod auf einen anderen Planeten senden werde, um dort das Evangelium zu verkünden. Ich sehe ihn schon in der nächsten Science-Fiktion-Produktion aus Hollywood auftauchen.