Kaufen oder mieten? Was wo schlau ist – heißt es im Untertitel des Heftes. Die Titelgeschichte selbst „Der Wohnungswahn“ von Martin Hesse ist gut lesbar, handwerklich in Teilen gut gemacht, weil die Redaktion einmal nicht – wie zu häufig schon beklagt – im eigenen Saft brät, sondern verschiedene Seiten zu Wort kommen lässt, mit anschaulichen Beispielen aufwartet. Nutzwert ist das aber noch lange nicht.
Geradezu irritierend ist, dass sich die Grafiken auf unterschiedliche Jahre und unterschiedliche Wohnungsgrößen beziehen, mal auf das Jahr 2016, an anderer Stelle auf das Jahr 2017, mal auf 60 bis 80 qm in Ein-/Zweifamilienhäusern (in den Metropolen, um die es besonders geht, eine eher selten anzutreffende Wohneinheit), mal auf 100 qm, Haustyp unbekannt. Schlau macht den Leser das nicht. Als Titel hätte das Thema mehr Facetten verdient. Es wird zwar angedeutet, dass es wachsende und sterbende Städte gibt. Eine interessante Ergänzung wäre eine Übersicht über durchschnittliche Immobilienpreise ausgewählter Städte/Regionen im Vergleich zu Flucht- und Ballungsbewegungen; immerhin sollte man laut Spiegel besser nicht in Bottrop oder Remscheid investieren. Die Zinslandschaft hätte im Wirtschaftsteil betrachtet werden können, im Ressort Gesellschaft die Frage, wie wichtig es ist, beim Kauf einer eigengenutzten Immobilie auch darauf zu achten, ob man darin auch alt werden kann – Stichwort Barrierefreiheit.
Gelungen finde ich den Beitrag „Auf Abruf“ zur Streikwelle bei den Metallern. Richtigerweise wird auf sehr grundsätzliche Fragen hingewiesen, vor denen unsere Gesellschaft steht. Es wird viel Einsatz für Familie erwartet. Wie ist das mit Arbeit zu vereinbaren? Flexible Arbeitszeiten zu haben, darf man heute durchaus als Privileg betrachten. Kann Arbeit aber so organisiert werden, dass aus einem Privileg ein Anspruch für alle wird? Bei globalen Lieferketten und Just-in-Time-Lieferungen, bei festen Ladenöffnungszeiten – ist das flächendeckend kaum vorstellbar. Einen großen Denkfehler machen die Gewerkschaften: Diejenigen, die sich ihre Arbeitszeit selbst einteilen können, weil sie frei sind von Öffnungszeiten und Schichtarbeit, sind zumeist Selbstständige und damit auch diejenigen, für die eine 28-Stunden-Woche undenkbar wäre. Sie arbeiten überdurchschnittlich viel – auch dann, wenn andere Freizeit haben.
Zur Politik in Berlin: René Pfister schreibt einen lauen Abgesang auf Angela Merkel („Mutter der Nation“). Das Doppelinterview „Radikal und staatstragend“ mit den beiden neuen Vorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck zeigt einmal mehr, dass das im Spiegel-Gen verankerte Rechts-links-Parteienschema ausgedient hat. Junge Politiker leiden unter der Macht der Altgedienten und verfallen in ihren Forderungen in genau dieselben Mechanismen, die sie beklagen („#diesealtenleute“). Der Spiegel ist auch diese Woche wieder in Sorge um Sigmar Gabriel („Engelchen und Teufelchen“). Die bange Frage diese Woche: Kann er Außenminister bleiben? Lässt Martin Schulz – der vor einem Jahr Hochgelobte – das zu? Mich erinnert die Besessenheit der Redaktion an Gabriels Zukunft inzwischen an die Besessenheit der Yellow-Press an der Zukunft der Angehörigen von Adels-, Fürsten- und Königshäusern. Peter Altmaier, vor einigen Jahren schon mal als Kronprinz der Kanzlerin gehandelt, findet Gefallen an seinem Interimsjob als Finanzminister und bringt saarländische Jovialität in die Berliner Wilhelmstraße, schreiben Peter Müller und Christian Reiermann (im Wirtschaftsteil) in „Minister aus Versehen“.
Interessant fand ich Klaus Brinkbäumers und Martin Hesses Betrachtungen „Yes, Sir“ über das Weltwirtschaftsforum in Davos. Die Autoren vermitteln die Atmosphäre, wenn die Wichtigsten der Wichtigen durch das Kongresshotel wandeln, und jeden, der wichtig ist, wohlwollend grüßen. Und alle, alle umschwirrten Donald Trump, der sich die deutschen Top-Manager vornahm, ihre Zusagen für Investitionen in den USA abnahm und dafür aus dem Munde der Bücklinge wohlfeiles Lob erhielt: „Er ist ein Exekutor, das muss man ihm lassen. Etwas mehr Trump würde der deutschen Politik sehr guttun“. Ja, da ist sie wieder, die Sehnsucht nach dem starken Mann, an dessen Brust man sich schmeißen kann und von dessen Glanz man erhofft, auch ein bisschen Goldstaub abzubekommen.
Weit weg von Glanz entfernt sind diejenigen, die auf eine normale Altersrente angewiesen sind. Matthias Bartsch und Dietmar Hipp sprachen mit Beate Jaeger über das Rentensystem Die frühere Verfassungsrichterin hält es für rechtsstaatswidrig, weil es so intransparent und unverständlich sei. Lesenswert: „Ach, der Dachdecker“. Notabene: Glückwunsch übrigens an die Spiegel-Redaktion. Sie weiß etwas, das außer ihr kein anderer weiß: Es gibt schon eine neue Große Koalition. Die zweite Frage im Gespräch: „Die neue Große Koalition [sic!] hat sich nun auf ein Rentenpaket geeinigt, …“
Dass in Köln in einem Altenheim eine vermeintliche „Seniorenspielhölle“ ausgehoben wurde, hat nichts mit zu hohen Renten zu tun. Was war geschehen? Dort vergnügten sich die Bewohner jede Woche an Bingo – das Spiel um Gewinne wie eine Tüte Chips, eine Tafel Schokolade oder eine Flasche Eierlikör hatte es überwiegend den weiblichen Bewohnerinnen angetan. Sogar Bingo-Königin konnte man werden. Mit Krönchen. Bis ein Rechnungsprüfer auf die Idee kam, dass die harmlose Dienstagsunterhaltung im Grunde ein verbotenes Glücksspiel sei und die Heimleitung anwies, das sündige Treiben zu stoppen. Die englische BBC berichtete über das Bingo-Verbot für alte Deutsche und selbst die Japaner bekundeten Mitgefühl und Bedauern. Glücklicherweise hatte die Bezirksregierung ein Einsehen und verlängerte die Bingo-Erlaubnis für zwei Jahre. Jetzt darf dienstags erst einmal weitergezockt werden. Die nächste Runde läuft unter dem Motto „Casino Royale“. Die Teilnehmer sollen sich verkleiden. Geheimagent, Bösewicht Le Chiffre oder Bondgirl – alles ist möglich. Ist ja auch Karneval.
Julia Koch schreibt in „Schwere Kindheit“ über eine tagtäglich gesellschaftlich nicht nur geduldete, sondern – mehr noch – befeuerte Diskriminierung, bei der die Aufschreie ausbleiben: Leute, speziell Kinder mit Übergewicht. Das Mobbing-Martyrium, das nicht nur von Klassenkameraden oder Familienmitgliedern, sondern auch von ignoranten Ärzten betrieben wird, fängt häufig schon im Kindesalter an. Selbst von klein auf übergewichtig, weiß ich, um was und wie viel es geht. Am meisten schmerzte mich, dass ich beim Fußball zu oft ignoriert wurde. Das Mobbing hielt sich in Grenzen, da ich mich gelegentlich meiner Haut wehrte – mit der Folge, dass ich im Abschlusszeugnis der Hauptschule in „Betragen“ ein ungenügend erhielt, die Mobber kamen mit guten Verhaltensnoten davon.
Wie vielschichtig man die Me-too-Debatte führen kann und wie dünn der Grat ist, auf dem man wandelt, zeigen das Spiegel-Gespräch von Julia Amalia Heyer mit der Schriftstellerin Virginie Despentes („Als wären wir Hostessen“) und von Alexander Kühn mit dem Schauspieler Ulrich Tukur („Kein Mensch ist ein Monster“).