Ob Diesel-Krise, Groko-Krise, Euro-Krise und welche Krisenszenarien noch: Ich mag diese fruchtlosen Debatten nicht mehr lesen. Nicht, weil es die Sachverhalte nicht gäbe, über die zu schreiben sich durchaus lohnt, sondern weil es immer nur ein Schema gibt: Den skandalisierenden Überschriften folgen im Text mehr Befindlichkeitslyrik, rhetorische Fragen, Vermutungen und Allgemeinplätze als Information. So geht es mir auch an diesem Wochenende mit der Titelgeschichte „Schulden als Waffe“. Von zehn Seiten Titelgeschichte bleibt am Ende ein kleiner Bruchteil an Fakten übrig, von denen ich mich informiert fühle.
Da geht der Focus das Thema in dieser Woche anders an: Er lässt den Präsidenten des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, einen Gastbeitrag schreiben, der alle Befindlichkeitslyrik des Spiegel konterkariert. Von dem als Meinung deklarierten 1-Seiter „Die Euro-Zone muss sich schützen“ sehe ich die Leser weitaus besser zum Thema Italien informiert, als in zehn Seiten Spiegelaufmacher. Es hilft auch nicht, dass Fuest im Spiegel ganz am Schluss zitiert wird – weiter vorne, so mein Eindruck, hätte dessen Nüchternheit der Betrachtung die gesamte Story nur gestört.
Aber fassen wir uns in Deutschland doch bitte an die eigene Nase: Wie soll es gelingen, in Italien Finanzdisziplin zu erzwingen, wenn in Deutschland ein Stadtstaat wie Berlin recht flott und ungeniert vom größten Transfer im Länderfinanzausgleich lebt? Ob die ab 2020 geltenden Neuregelungen der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern mehr Haushaltsdisziplin herbeiführen, ist nicht ausgemacht. Wenn die Deutschen bereits im eigenen Lande in der Haushaltspolitik versagen, wie ernst sollen die EU-Partner die Mahnungen zur Haushaltsdisziplin nehmen? Das Luftschloss von einer soliden gemeinsamen europäischen Fiskalpolitik mag bauen wer will. Es wird sie nicht geben.
Melanie Amann traf in Thüringen Björn Höcke und breitet die Begegnung auf sechs Seiten aus („Der Waldgänger“.) Ich finde nicht, dass Amann die Gratwanderung gelungen ist, die der Anspruch des Spiegels sein müsste. Der Teaser fragt: „Wer ist der Mann, der die Deutschen zum Widerstand gegen die Demokratie aufstachelt?“ Zumindest jemand, der sich daran erfreuen dürfte, dass Frau Amann nicht das Kaliber hat, ihm den Schafspelz auszuziehen. Dafür ist dieser AfD-Mann viel zu glatt. In seiner Szene wird das Stück als voller Erfolg gefeiert werden.
Felix Bohr und Ralf Neukirch haben den neuen Fraktionschef Ralph Brinkhaus als Sollbruchstelle der CDU-Fraktion in der großen Koalition ausgemacht. Die Überschrift „Mehr als Würstchen“ ist durchaus zweideutig. An Brinkhaus wird es wohl kaum liegen, wenn die GroKo auseinanderfällt. Dazu gibt es zu viele Schwachstellen in der Konstellation.
Heute wird in Hessen nicht nur gewählt. Nein, wir hessischen Wahlberechtigten dürfen auch in einer Volksabstimmung über insgesamt 15 Verfassungsänderungen abstimmen. Ja, meine Frau und ich haben alles gut durchgelesen und viele aus unserem persönlichen Umfeld ebenso. Und wir alle sind ins Grübeln gekommen, worüber wir eigentlich abstimmen sollen. Matthias Bartsch und Jan Friedmann beschreiben in ihrem Beitrag „Zum Henker“, wie stumpf das Schwert der Landesverfassungen ist und wie veraltet sie sind. Ich hätte mir das Stück ein oder zwei Wochen früher gewünscht in der Hoffnung, dass es eine viel grundsätzlichere Diskussion anregt über den Wert und das Ziel von Landesverfassungen. Äußerst geschickt an der Volksabstimmung ist, dass die Abschaffung der Todesstrafe, der sicherlich keiner widersprechen will, andere, durchaus diskutable Änderungen überlagert. Wer pauschal mit „Ja“ stimmt, wird möglicherweise auch Staatszielen und anderen Rechten zustimmen, die er oder sie gar nicht in der Verfassung sehen möchte. Dem Wähler wird die Zustimmung geradezu suggeriert. Zwar kann man auf den Stimmzetteln Einzelabstimmungen vornehmen, gewünscht ist aber wohl eher eine pauschale Zustimmung mit einem Kreuzchen ganz oben auf dem Blatt.
Spiegel-Redakteur Thomas Schulz sieht in „Das Internet ist kaputt“ eine Zeitenwende für die Technologiebranche. Ja, kleiner geht es mit dem Anspruch des Spiegels nicht. Vor zwei Wochen noch wurden die deutschen Unternehmen gescholten, dass sie in Sachen Digitalisierung zu weit hinter dem Weltmaßstab zurücklägen. Jetzt wird den Weltmaßstäben aus dem Silicon Valley und aus China der Untergang gewünscht, wenn das Internet nicht demokratische Werte stärke. Den techno-utopistischen Vorstellungen über die Allmächtigkeit der Digitalisierung folgen die wenig tauglichen demokratie-utopistischen Vorstellungen zur Beeinflussbarkeit des Internets. Wie sagt Apple-Chef Tim Cook im Spiegel-Interview: „Technologie will weder Böses noch Gutes tun“. Das ist das politische Dilemma.
Juliane Liebert hat Marianne Faithfull besucht und erinnert uns in „Oh, Darling!“ an alte Zeiten, in denen Groupies nicht nur in Besenschränken Musik- und Sportidolen auflauerten.