Es wäre verwunderlich gewesen, wenn der SPIEGEL das Thema nicht auf den Titel genommen hätte. Hier ist er in seinem Element, das große Redaktionsnetzwerk hilft. Und das kommt der Berichterstattung zugute. Zwar wird auch viel nacherzählt von dem, was andere Medien bereits in den zurückliegenden Tagen veröffentlicht haben. Darüber hinaus gibt es aber neue Aspekte: über die drei Syrer, die Albakr überwältigten, zum familiären Hintergrund des mutmaßlichen IS-Terroristen. „Der Schattenkampf“ stellt unaufgeregt die Fakten dar. Das tut gut. Das ist Journalismus vom Feinsten.
Was allerdings für meinen Geschmack zu kurz kommt, ist die Würdigung des Anteils, den die Nachrichtendienste daran haben, dass bisher die Bundesbürger vor Blutbädern à la Paris, Brüssel und Nizza verschont blieben.
Aber: Warum wird ein mutmaßlicher Terrorist auf dem Titelblatt gewürdigt? Mehr Ehre kann man dem IS doch gar nicht antun. Auch, dass zum lesenswerten Interview mit dem Direktor des International Centre for the Study of Radicalisation am Londoner King‘s College, Peter R. Neumann zum wiederholten Male eines dieser unsäglichen Bilder von Abaaoud veröffentlicht wird, ist unentschuldbar. Eine Viertelseite Propaganda für den IS! Ob das Heldenepos der rettenden Syrer so bestehen bleiben kann? Sie sollen untergetaucht sein. Hier zeigt sich, wie schnell die Wirklichkeit Wochenmagazine überholt.
Der SPIEGEL bietet in dieser Woche eine konzentrierte Deutschland-Strecke, die Politik beschreibt, dabei versucht, neutraler zu bleiben und seine Vorurteile etwas zu hemmen – einmal abgesehen davon, dass die Auswahl der Themen immer auch ein Statement ist. Offensichtlich wirkt die Kritik immer breiterer Leserschichten am Bevormundungsjournalismus.
Fasziniert hat mich im aktuellen Heft der Bericht „Körper los“ über den italienischen Neurochirurgen Sergio Canavero, der unbeirrt weiter sein Ziel verfolgt, einmal einen menschlichen Kopf zu verpflanzen. So unvorstellbar und beklemmend der Vorgang auch sein mag, er scheint gar nicht so utopisch zu sein. Und einen ersten Patienten gibt es angeblich auch schon.
Braucht die Lesewelt einen Bücherkanon? Das haben wir schon vor 15 Jahren infrage gestellt, als Marcel Reich-Ranicki seinen Kanon lesenswerter deutschsprachiger Literatur vorstellte. So ist es auch heute, wenn die Kultur-Redaktion meint, einen SPIEGEL-Kanon vorstellen zu wollen. Man greift verbal hoch, gibt sich apodiktisch, wobei es doch immer nur nur subjektiv sein kann. Natürlich gibt es für jedes der vorgestellten Bücher eine Begründung, warum gerade das ein herausragendes Werk ist. Aber sind es „die besten 50 Romane unserer Zeit“, wie die Autoren schreiben? Darf man es überhaupt aussprechen, dass – ganz subjektiv – einige der Bücher von der Liste mich gelangweilt haben? Dass man keinen Zugang gefunden hat? Darf man aussprechen, auch wieder ganz subjektiv, dass mir ganz schnell andere Schriftsteller einfallen, die für mich große Literatur geschaffen haben, gerade auch im Sinne „ der großen Möglichkeitskunst“. Haruki Murakami beispielsweise oder T.C. Boyle. Nicht zu reden von der Literaturtür, die Mario Vargas Llosa immer wieder aufstößt. Und viele andere wären zu nennen.
Zurück in den Tiefen des Alltags stimmen wir in die Nöte von Elke Schmitter ein, dass uns die Kommunikation die von neuen Wasserkochern, Kaffee- und Waschmaschinen und ganz besonders Kühlschränken ausgeht einem das letzte an Geduld abverlangt.