Gerade heraus: Für das Titelthema fehlt mir jegliches Problembewusstsein. Als Journalist war das Handy von Beginn an mein Kommunikationsmittel schlechthin. Nicht nur, dass ich über viele Jahre über die Branche geschrieben habe. Kontakte halten, erreichbar sein, jederzeit Fragen stellen können – die mobile Kommunikation hat seit den frühen Neunzigerjahren meinen Alltag und mein Familienleben geprägt. Und trotzdem: Unsere beiden Jungs haben sich mit Computer und Smartphone normal entwickelt, wobei ich immer wieder staunte, woher die Kinder genauestens wussten wo, wie und wann es die besten und interessantesten Infos für sie gab.
Beide machen ihren Weg ohne jegliche Verhaltensauffälligkeiten wegen exorbitanter Computeraktivitäten, der eine als IT-Consultant, der andere im Management eines Großhandelsunternehmens und beide nehmen sich viel Zeit für ihre Familien. Denn sie haben auch etwas anderes von mir gelernt: Dass der persönliche Kontakt, das persönliche Gespräch, sich Zeit zu nehmen für andere, sich auf einen Gesprächspartner vis-à-vis einzulassen noch wichtiger ist als Kommunikation über technische Hilfsmittel.
Insofern kann ich mich auf die Klagen, welche Schäden die Smartphone-Nutzung bei Jugendlichen verursacht nicht einlassen („Fest im Griff“), zumal manche Argumente mir dann doch abstrus vorkommen. Was soll schlecht daran sein, dass Jugendliche heute wieder später einen ersten Sexualverkehr haben? Was soll schlecht daran sein, dass der Anteil der der 16- bis 17-Jährigen, die Erfahrung mit Alkohol haben, zurückgeht? Was soll schlecht daran sein, dass Jugendliche weniger auf Partys gehen? Wer all das auf die Smartphone-Nutzung zurückführt, blendet andere gesellschaftliche Prozesse aus. Früher war alles besser? Nein! Neu ist nur die Angst vor jedem Neuen.
Ich sympathisiere deshalb mit der Ansicht des im Beitrag „Rappelkiste“ zitierten Diplom-Psychologen Georg Milzner, wonach Computer und Smartphones unsere Kinder weder dumm noch krank machen. Und der Autor Hauke Goos ergänzt: „Das Problem mit Neuerungen, mit Umbrüchen, mit Zukunft ist: Keiner weiß ja, wie das aussieht, was da kommt. Und weil wir uns vor nichts so sehr fürchten wie vor dem Unbekannten, schreibt jeder einfach fort, was er kennt.“ Früher haben Eltern ihre Kinder vor damals zeitgemäßen Gefahren gewarnt, sie im Umgang mit ihrer Welt erzogen. Ja, die war damals nicht digital. Aber ob digital oder analog, ob gefährliche Tiere, hohe Bäume oder Abgründe – die vielen großen und kleinen Alltagsgefahren, die gut gemeinte Initiativen meinten, aus dem Leben von Kindern verbannen zu müssen, um sich die durchaus mühsame private Erziehungsarbeit leichter zu machen, sind durch die Hintertür wieder in das Leben getreten. Ganz smart. Und sie erinnern uns daran, was die Erwachsenenwelt zu leisten hat. Das nimmt uns keine Schule ab, keine Behörde mit ihren Sicherheitsvorschriften und auch keine Versicherung.
Im Leitartikel „Hilfe zum Aussterben“ kritisiert Gerald Traufetter den Erfolg der Automobil-Lobby beim Dieselkompromiss zwischen Bundesregierung und Automobilunternehmen. Gerald Traufetter erwähnt dabei nebenbei, dass die Regierung die Abgasmanipulationen mit bis zu 5.000 Euro je Fahrzeug hätte abstrafen können. Diesen Trumpf aber traue sich die Bundesregierung bislang nicht zu ziehen. Wer wundert sich bei dieser Beißhemmung, dass die Wähler in Scharen Parteien wählen, die nicht in der Regierungsverantwortung sind? Die Abgasnormen hoch zu setzen, hilft nur einer Gruppe – nicht den Dieselfahrern, nicht den Einwohnern in den belasteten Straßenzügen, sondern nur der Automobilindustrie. Wo sich Bundes- und Landesregierungen sonst in die Industriepolitik von Konzernen nicht einmischen, wird die Automobilindustrie durch den Beschluss darin ermutigt, ihre Technologien nicht modernisieren zu müssen. Zukunftsweisende Verkehrskonzepte? Mit der Automobilindustrie nicht zu machen. Und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer fehlt offenbar die Phantasie dafür.
„Fluch der Moderne“ betitelt Markus Feldenkirchen seinen Beitrag über die CSU. Die Digitalisierung sei schuld, die Migranten seien es ebenfalls. Nein, gar nicht so sehr die Migranten aus der weiten Welt. Vielmehr alle diejenigen, die der Erfolg aus anderen Regionen Deutschlands nach Bayern geholt habe, hört und liest man zurzeit allenthalben. Die Verbindung zwischen Land, Leuten und CSU funktioniere nicht mehr. Das Beispiel Dieselgeschenk an die Automobilindustrie – ich vermeide bewusst den Begriff Kompromiss, weil es keiner ist – zeigt viel deutlicher die Problemlage auf. Es mangelt an Glaubwürdigkeit. Die CSU ist keine Macht mehr, an der sich die Wähler orientieren können. Sie wird von vielen als Theater wahrgenommen, als ein Schauspiel dessen, was sie einmal war. „Wie konnte die CSU die absolute Mehrheit verspielen?“, fragt Feldenkirchen. Ob „verspielen“ der richtige Terminus ist, bezweifle ich. Überall dort, wo sich Parteien über Jahrzehnte auf ihrer Machtfülle und auf ihren Pfründen ausruhten und davon ausgingen, dass das Wahlvolk auf ewig auf sie eingeschworen ist, schwindet die Basis. Digitalisierung mit all ihren Informationsmöglichkeiten mag eine Rolle spielen, aber nicht die entscheidende. Wie ich bereits oben geschrieben haben: Mein wichtigstes Instrument als Journalist war das persönliche Gespräch. Schlaue Kommunikationsstrategen meinen, politische Überzeugung über Reichweite in sozialen Medien erzielen zu können. Das aber darf immer nur die Begleitung von vielen anderen Instrumenten sein, von Verlässlichkeit, von Bodenhaftung, von persönlichen Begegnungen, von echtem Interesse.
Ein Punkt findet bei Feldenkirchen nicht statt: Mich hat schon bei der SPD überrascht, wie gelassen, teilnahmslos und unbeteiligt der Untergang der deutschen Flaggschiffkonzerne Mannesmann und Thyssenkrupp hingenommen wurde. Von Markus Söder habe ich keinen Widerspruch gehört, als der wichtigste bayrische Industriekonzern, Siemens, bekannt gab, einen Innovationscampus in Berlin zu errichten. Kein Aufschrei des Entsetzens in München, keine tatkräftige Gegenwehr, von anlocken gar nicht zu reden. Angela Merkel, Markus Söder – Aussitzen ist zur großen Kunst der Politik geworden. Und sie jammern unisono nach dem TINA-Prinzip (there is no alternative). Aber vielleicht sind die Pläne von Siemens in Berlin für die Bayern ein Segen: Dann kommen nicht noch mehr Fremde ins Bayernland und verderben die politische Kultur. Ich bin geneigt Anna Clauß zuzustimmen, die in ihren Beitrag „Über sieben Brücken“ so anteasert: „Söder ist mit Ruppigkeit und aggressivem Ehrgeiz nach oben gekommen. Im Landtagswahlkampf entdeckt er seine sanfte Seite. Es ist ein Rollenwechsel, mit dem der Ministerpräsident wie bei allem zu weit geht.“ Ein Markus Söder, der sich nach einer Rede im Mossburger Festzelt in einen weißen Bademantel hüllt, ist noch nicht einmal eine schlechte Replik auf Udo Jürgens. Der macht sich zur Witzfigur und muss sich nicht wundern, wenn die Partei gerade einmal ein Drittel der zu vergebenden Stimmen am kommenden Sonntag erhält und inzwischen schon über Regierungskoalitionen ohne CSU geredet wird.
Unter den potenziellen Merkel-Nachfolgern tauchte im vorigen Spiegel der Name von Norbert Röttgen nicht auf. Mit dem Interview „Den Bach runter“ positioniert sich der einstige und später gefallene Kronprinz Norbert Röttgen als Merkel-Kritiker und wirft seinen Hut in den Ring. Röttgen bezeichnet die große Koalition aus Sicht der Christdemokraten „unter den bestehenden schlechten Möglichkeiten als die schlechteste“ und hält eine Begrenzung der Amtszeit für den Bundeskanzler für sinnvoll. Es liest sich natürlich wie die Rache des Rausgeworfenen, denn lange galt er als Muttis Liebling – bis er die Wahl in NRW verlor.
Veit Medick berichtet in „Phantomtreffen“, dass die Kanzlerin sich im Kanzleramt mit knapp 50 Frauen der SPD-Bundestagsfraktion zu einem Abendessen bei Salat und Hühnerfrikassee traf, wo die Damen drei Stunden lang ohne störendes männliches Alphatier-Gehabe über Themen wie Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, Geschlechtergerechtigkeit, ein Paritätsgesetz und die Situation in Deutschlands Osten parlierten. Das Problem nur: In Wahlkampfzeiten darf man darüber nicht sprechen und schon gar kein Foto posten. Wäre auch schwierig zu erklären, warum ausgerechnet Andrea Nahles nicht beim Treffen dabei war; das sei nicht geplant gewesen, sie wollte den Auftritt Maaßen vor dem Innenausschuss verfolgen. Na ja. Und Bedenken über das Treffen hatte sie auch geäußert.
Da blitzt ein wenig der alte Spiegel durch mit einem Blick hinter die Kulissen, aber nur ganz wenig.