Nach der für die Öffentlichkeit überraschenden Niederlage von Volker Kauder gegen Ralph Brinkhaus tritt die Titelgeschichte „Im Abendlicht“ an, den Machtkampf hinter den Kulissen um die Merkel-Nachfolge beschreiben. Die Hamburger versprechen wieder einmal mehr auf dem Titel, als sie halten. Es gibt ausführliche Portraits über Kauder und Brinkhaus, dazu viele Zeilen zu Angela Merkel, aber kaum etwas Neues. Und dann werden – nun wirklich nicht überraschend – Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin Laschet und Jens Spahn als potenzielle Erben vorgestellt – auf 34 Zeilen. Sieht so die Zukunft der CDU aus? Oder die Zukunft Deutschlands? Der Titel lässt das offen. Soll ich das als Hinweis nehmen, dass der Spiegel-Redaktion jede Zukunftsvision fehlt? Oder sieht sie die Zukunft darin, dass sich rund ein Dutzend Bundestagsabgeordnete von FDP und Grünen regelmäßig in der Berliner Bar Lebensstern treffen? Setzt der Spiegel auf Jamaika („Diskrete Therapiesitzungen“)? Was halt so alles getuschelt wird in Berliner Wendezeiten.
Es ist nicht ohne Pikanterie, dass ausgerechnet Martin-Schulz-Flüsterer Markus Feldenkirchen im Leitartikel „Es ist Zeit“ Merkel rät, „sie sollte ihre Spätphase so kurz wie möglich halten“.
Bei der Nachfolgediskussion kommt mir das Vorgehen römischer Kaiser, aber auch einiger Unternehmenschefs in den Sinn, möglichst unfähige Nachfolger aufzubauen, so dass sie selbst ihren ehemaligen Mitarbeitern und Untertanen noch lange positiv im Gedächtnis bleiben.
Jetzt sägt die Redaktion schon wieder am Stuhl von Andrea Nahles. „Guerillas im Nebel“ heißt das Stück. Christoph Hickmann spekuliert, ob die Frau aus der Eifel nach den Geschehnissen um Maaßen noch die richtige Parteichefin ist.
Eine nicht unwesentliche Nebenrolle in der Causa Maaßen spielte der Staatssekretär Gunther Adler. Veit Medick portraitiert den preußisch diskret bleibenden Staatsdiener „Die Schachfigur“, der bei dem unwürdigen Gekungel, mit dem ein ordentlicher Beamter wie Maaßen entfernt werden sollte, als Kollateralschaden fast seinen Posten verloren hätte und dem es in allem nur um eines geht: seine Arbeit zu erledigen. Schreibt der SPIEGEL. Dabei ist er auch nur ein SPD-Parteifunktionär, der als Maulwurf im gegnerischen Ministerium platziert wurde. Maulwürfe haben wertvolle Pelze. Das ist die eigentliche Story, die der SPIEGEL dabei nicht erzählt: Die Rolle der Parteibeamten im Staatsdienst.
Mit großer Aufmerksamkeit gelesen habe ich das Spiegel-Gespräch „Langwierig und bitter“ mit dem Münchner Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte, Michael Hochgeschwendner, über das Thema Migration. Aus den amerikanischen Erfahrungen könnten wir lernen, dass „selbst in Ländern …, die auf Migration eingestellt sind, … Einwanderung ein schwieriger Prozess (ist), und zwar für beide Seiten, für die Migranten wie für die aufnehmende Gesellschaft. Integration ist immer langwierig und bitter und war in den USA oft mit Gewalt verbunden.“ Katholiken – vor allem auch die deutschen, denen nachgesagt wurde, religiöse Fanatiker zu sein – galten in den USA des 19. Jahrhunderts als Feinde von Demokratie und Freiheit. Lange wurde, so erzählt Hochgeschwendner bildreich, in den USA an der Loyalität besonders der deutschen Einwanderer, von denen mehr Amerikaner abstammen als von jeder anderen Gruppe, gezweifelt. Das wichtigste für den Erfolg von Integration war für die USA der Zustand des Arbeitsmarktes. Hochgeschwendners Fazit aus der amerikanischen Einwanderungsgeschichte für uns heute: „das Wissen um die Schwierigkeit.“
Im Wirtschaftsressort schreibt Alexander Jung, dass die Industrie Deutschland als Produktionsstandort wieder neu entdeckt, Betriebe fertigen wieder hierzulande. Allerdings wird die Arbeit von Robotern erledigt. Menschen sind in diesen Hightech-Fabriken kaum zu finden. Die Personalausgaben machen zuweilen weniger als fünf Prozent aller Kosten aus, schreibt Jung in „Einmal China und zurück“.
Die amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff veröffentlichte schon 1988 „In the Age of the Smart Machine“. Das Buch, in dem sie kommende technologische Entwicklungen und daraus resultierende Kontrollmechanismen vorhersagte, wurde ein Bestseller. Zuboff war es auch, die den Begriff „Dark Google“ schuf und damit 2014 maßgeblich die Debatte um die digitale Zukunft vorantrieb. Jetzt erscheint ihr neues Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“. Im Spiegel-Gespräch mit Guido Mingels („Es gibt eine unerträgliche Sehnsucht in vielen von uns“) spricht sie darüber, warum die digitale Wirtschaft gefährlicher ist als die Zerstörungen, die die Industrialisierung der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert zugefügt hat: Der Überwachungskapitalismus zerstöre die Innere Natur des Menschen. Im Industriekapitalismus seien die Menschen wechselseitig voneinander abhängig gewesen – als Arbeitskräfte, als Kunden. „Im Überwachungskapitalismus dagegen sind wir kaum noch Kunden und Angestellte, sondern im erster Linie Informationsquellen, Datenmaterial eines Apparats, dessen Funktionsweisen uns weitgehend verborgen bleiben. Es ist kein Kapitalismus für uns, sondern über uns. Er beobachtet uns, um seine Produkte zu entwickeln.“