Eine Nachricht im aktuellen Spiegel überragt alle anderen: Dabei geht es um nicht weniger, als das Eingeständnis der Bundesregierung zunächst in Gestalt verschiedener Politiker wie dem Innenstaatssekretär Ole Schröder und Unionspolitikern wie Stephan Mayer und Stephan Harbarth, dass Mahner von Rechtsaußen ab heute offiziell keine Verschwörungstheoretiker mehr sind, sondern mit ihren apokalyptischen Deutschland-Gemälden offensichtlich deutsche Realität abbilden.
„Wenn jeder der über 1,4 Millionen Menschen, die seit 2015 in Deutschland Asyl beantragt haben, zur Ankerperson für neu in der EU ankommende Schutzsuchende wird, reden wir über ganz andere Größenordnungen als bei der Familienzusammenführung,“ sagte Innenstaatssekretär Ole Schröder.
Dem Spiegel zufolge haben Europapolitiker von Union und SPD im EU-Parlament Vorschlägen zugestimmt, die Zuwanderung nach Deutschland massivst auszuweiten. Hintergrund sind Änderungen, die das Europäische Parlament an Gesetzesinitiativen der Kommission zur Reform der Dublin-Regeln vornehmen will. Familienangehörige – der Begriff geht hier noch über Vater, Mutter, Kind hinaus, sollen dorthin einreisen können, wo ihre Angehörigen angekommen sind. Also vornehmlich nach Deutschland.
Besondere Sorge bereitet den Innenexperten, dass nach den Parlamentsvorschlägen „faktisch die bloße Behauptung einer Familienverbindung ausreichen“ soll: „Im Ergebnis wäre ein Mitgliedstaat, in dem sich bereits zahlreiche ‚Ankerpersonen‘ befinden, für weitreichende Familienverbände zuständig“, heißt es in dem Papier, das dem Spiegel vorliegt.
Gut, man kann vom Spiegel wohl nicht so viel Anstand erwarten, dass er angesichts der Spiegel-Berichterstattung der letzten drei Jahre vor Scham im Boden versinkt – so wie die dorthin eilenden Abonnenten-Zahlen. Erwartbar ist ebenfalls nicht, dass der Spiegel Abbitte leistet vor seinen Lesern, aber man hätte erwarten wollen, dass eben dieses Thema diese Heerscharen von Spiegel-Journalisten 24/7 beschäftigt, anstatt sich auch in dieser Ausgabe samt Titel hauptsächlich mit dem Geisteszustand eines Donald Trump zu beschäftigen. Doch diese Meldung ist dem Spiegel gerade einmal eine drittel Seite wert. Ganz verschweigen konnte oder wagte man es dann doch nicht.
Sie titeln zu Trump „Im Zeitalter von Terror und Zorn“, verunglimpfen seitenlang diesen tatsächlich merkwürdigen US-Präsidenten, anstatt dem diffusen deutschen Zorn eine journalistisch fundierte Richtung zu geben, indem sie beispielsweise endlich mal vernünftig recherchieren und anschließend die richtigen Schlüsse zu ziehen bereit sind, die sich durch leichte Bearbeitung des berühmt-berüchtigten Satzes von KGE so fassen lassen: „Dieses Land wird sich verändern. Und es wird sich ziemlich drastisch verändern. Und es wir ein schwerer Weg sein und es wird anschließend kein besseres Land mehr sein. Es wird vielleicht überhaupt kein Land mehr sein, so wie wir heute dieses Land denken und wie es Generationen vor uns gedacht haben.“ Tun sie aber nicht. DER SPIEGEL hat, das ist die gute Nachricht, eine Hammer-Story. Warum versteckt er sie? Macht sich klein? Spielt mit Trump-Theater auf der Klaviatur der Vorurteile, statt seine eigene harte Story zu feiern? Es ist wohl der Triumph des Belehrungsjournalismus über den Rest an Recherchejournalismus, der sich noch in irgendwelchen feuchten Ecken verborgen hält, unausrottbar wie Schimmel. Dreht man die Zeit 10 oder 20 Jahre zurück käme ein anderes Heft, ein anderer Titel zustande. Einer, der die Menschen aufregt und fesselt, statt zu langweilen mit Bildern, die eher an eine ganz schlechte Nachbarschaft in der Geschichte erinnern.
Die CSU-Politikerin Monika Hohlmeier bemühte sich noch verzweifelt um irgendwie geartete Erklärungsversuche. Sie ist für die CSU innenpolitische Sprecherin der EVP-Fraktion und glaubt, dass die umstrittenen Änderungen bei der Dublin-Reform deshalb von Unions- und SPD-Europapolitikern durchgewunken wurden, „weil dieser und ähnliche strittige Punkte, wie ein neuer erweiterter Familienbegriff in der sogenannten Qualifikationsrichtlinie, gemeinsam im Paket mit anderen für die Union wichtigen Änderungen verabschiedet worden seien.“
Wie soll man das verstehen? Man hat sich reinlegen lassen? Man wurde überrumpelt? Von wem? Und was wird man dagegen tun? „Wir setzen darauf, dass der Rat vor allem beim Familienbegriff noch Änderungen durchsetzt“, wünscht sich Hohlmeier. Allerdings sind der Vorgang und die Reaktionen so einzigartig in ihren Folgen für Deutschland, das „Wünsche“ und Hoffnungen hier ganz sicher nicht das Mittel der Wahl sein können.
„Als Argument für die stärkere Betonung der Familienkomponente wird zudem angeführt, dass Asylbewerber, die bereits Familienangehörige in der EU haben, sich am Ende ohnehin nicht davon abhalten lassen, dorthin zu reisen.“ Schreibt der Spiegel. „Um diese so genannte Sekundärmigration zu unterbinden, könne man Familien auch gleich zusammenführen. Das sei am Ende effektiver und weniger kostspielig. Zudem bleibe es dabei, dass die Staaten mit EU-Außengrenzen, also vor allem Italien und Griechenland, weiterhin für die Sicherheitschecks der Migranten zuständig seien. Auch offensichtliche Wirtschaftsflüchtlinge dürften nicht weiterreisen.“
Also die Steigerung des Merkelschen: „Jetzt sind sie halt da“ in „dann sollen sie halt alle kommen“?
Muss man das noch kommentieren? Der Brocken, den das EU-Parlament dem Rat hingeworfen hat, ist in seiner Dimension geradezu irre, wenn man den Begriff Irresein hier verwenden mag, der beim Spiegel für einen Donald Trump reserviert scheint. „Deutschland setzt nun darauf, dass der Rat die Vorschläge des Parlaments verhindert. Derzeit ist offen, wann die Verhandlungen mit dem Rat beginnen.“ Man hat also noch Hoffnung. Man setzt auf irgendetwas. Tun will hier wohl niemand mehr etwas.
Das ist das Scheitern deutscher Politik für Deutschland. Eine Selbstaufgabe. Und Merkel, Schulz und Co wussten es vorher. Sie wussten es vor den Wahlen, sie wussten es vor den Sondierungen, wenn ausgerechnet der Spiegel jetzt bekannt gibt: „Der ständige Vertreter Deutschlands bei der EU, Reinhard Silberberg, machte in einem Kabel an Kanzleramt und Außenministerium bereits Anfang Dezember klar, was für Deutschland auf dem Spiel steht: Vor dem Hintergrund der Parlamentsvorschläge werde ‚gerade jetzt eine starke Ratsposition benötigt’“, mahnt er in seinem Drahtbericht.“
Martin Schulz erklärte gerade gegenüber der FAZ: „Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik steht Europa im Zentrum eines möglichen Koalitionsvertrags“. In der Flüchtlingspolitik wies der SPD-Vorsitzende gegenüber der Zeitung die Darstellung zurück, wonach seine Partei eine Obergrenze akzeptiert habe. Natürlich nicht, wie auch, wenn längst andere Pläne beschlossen wurden. In der Sondierungsvereinbarung sei lediglich festgestellt worden, dass in den zurückliegenden Jahren – außer 2015 – jeweils 180.000 bis 220.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen seien. Eine Festlegung für die Zukunft bedeute das nicht.
Nein, natürlich nicht. Wozu auch, wenn sich nationale Regierungen mal wieder über Brüssel zu dem „zwingen“ lassen, was sie zuhause nicht durchzusetzen wagen?
Sie gestatten eine persönliche Bemerkung? So empört, so zornig war ich wohl noch nie.