Die zurückliegende Woche bot die willkommene Agenda für den Spiegel, wieder einmal Lieblingsfeindbild Donald Trump auf den Titel zu heben (ich habe aufgehört zu zählen, das wievielte mal das nun in 19 Monaten), der bildlich Angela Merkel in seinen weit aufgerissenen Schlund blicken lässt. Einmal war es ja witzig, aber jetzt ist die Serie „Der Böse und die Gute“ allmählich albern. Die es so sehen wollen, wissen es. Die, die halbwegs gut informiert werden wollen lassen die Finger von solcher Einseitigkeit. So kann eine gute Idee in ihr Gegenteil umschlagen – einfach, weil sie zu Tode geritten wird. Das erinnert dann zu sehr an Propaganda – stete Wiederholung soll die Gehirne verändern.
Das Magazin adressiert wieder einmal diejenigen, die immer noch einem überhöhten Amerikabild aus einer Mischung von Hollywood-Blockbustern und Luftbrücke anhängen. Dabei war Deutschland für die USA nie etwas anderes als erstens ein Kriegsverlierer, zweitens ein strategischer Vasall und Vorposten gegen „die Russen“ und drittens ein wirtschaftlicher Konkurrent. Man könnte vor diesem Hintergrund auch einmal hinterfragen, warum die amerikanischen Forschungseinrichtungen jahrzehntelang deutschen Spitzenwissenschaftlern den roten Teppich ausgerollt und langfristig an sich gebunden haben. Freundschaft? Nur, wenn sie nützlich ist, die eigenen Ziele zu verfolgen. America first! Das haben auch schon andere Kanzler vor Merkel erfahren. Ein Aspekt, auf den auch die Titelgeschichte „Friendly Fire“ hinweist.
Einen wichtigen Aspekt steuert das Spiegel-Gespräch mit dem britischen Historiker Timothy Garton Ash bei. Das Titelzitat „Ich habe nicht den Eindruck, dass man in Deutschland den Ernst der Stunde begriffen hat“ sollte nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Reflektieren Anlass sein. Denn es geht im Kern um das, was im Merkel-Löw-Vergleich (Spiegel Nr. 27) nur ansatzweise ans Licht kommt. Seit der Wiedervereinigung, seit dem Ende des kalten Krieges gab es immer nur ein „Weiter so!“. Deutschland suhlte sich im Wiederaufbaumodus, die Europäische Union nahm einen Staat des ehemaligen Ostblocks nach dem anderen auf. Wachstum ohne Ende. Und jetzt das Ende des Wachstums. Aber anders, als es der Club of Rome einst formulierte. Wer hätte gedacht, dass die Demokratie- und Freihandelsverfechter so leicht in die Enge getrieben werden können, wenn man es darauf anlegt. Es braucht nur wenige Player, die gegen geschriebene und ungeschriebene Regeln handeln, denen Konventionen vollkommen gleichgültig sind, ja, denen es sogar Freude zu bereiten scheint, dagegen zu verstoßen, den Bad Boy zu geben – und ganze Regierungen in Serie werden erpressbar.
Freiheit ja, Verantwortung nein, das war eine bequeme Position – für Helmut Kohl, für Gerhard Schröder, für Angela Merkel. Allerdings anfangs durchaus auch gewollt. Zu groß war die Angst der Briten, Franzosen und anderer Nachbarn vor einem zu starken Deutschland. Der Preis François Mitterands: der Euro. In dem Bemühen, es nach innen, vor allem aber nach außen allen recht zu machen, hielt sich Deutschland klein, genügte sich fatal darin, im Großen-Ganzen-Europa aufzugehen. Wie Garton Ash im Gespräch mit Christiane Hoffmann diagnostiziert: „… Wie haben das Bedürfnis der Menschen nach Gemeinschaft und Identität vernachlässigt, … und wir haben Solidarität und Gleichheit vernachlässigt, und zwar nicht nur wirtschaftliche Gleichheit, sondern auch die Gleichheit der Aufmerksamkeit und der Chancen. Der Teil unserer Gesellschaften, der zur Uni gegangen ist, fühlt sich gut in der kosmopolitischen Welt, aber der andere Teil fühlt sich vernachlässigt, marginalisiert, ignoriert, verachtet … Wir haben in der europäischen Integration die Köpfe mitgenommen, aber die Herzen nicht.“
Angela Merkel hätte die Kanzlerin sein müssen, die den Mehltau bekämpft, der sich auf Regierungshandeln und Anspruchsgesellschaft gelegt hat. Spätestens ab der dritten Kanzlerschaft hätten sie und ihr Kabinett Deutschland neu verorten müssen, um die geopolitischen Veränderungen mitgestalten zu können. Es liegt nicht nur an der Kanzlerin, sondern auch an einem schwachen, um Identität ringenden Koalitionspartner, dass dies versäumt wurde. Diese Versäumnisse sind zunächst einmal vollkommen unabhängig von Quoten für den Vereidigungshaushalt – dass die Bundeswehr aus falschverstandener Unterwürfigkeit mehr Schein als Sein ist, was die Ausrüstung anbetrifft, hat sich allenthalben herumgesprochen – oder einem Silberrücken, der meint, die Welt durch Imponiergehabe im Stile der Serie „The Apprentice“ regieren zu können.
Identitätsverlust und Wandel, das gilt für die Weltbühne ebenso wie im Regionalen, wie Thomas Schlemmer, Historiker auch er, über die CSU und den Wandel der Gesellschaft im Freistaat Bayern im Gespräch mit Klaus Wiegrefe berichtet („Dauerhafte Verluste“). Markus Feldenkirchen kommentiert zum Thema Horst Seehofer mit „Den Absprung verpasst“ und bescheinigt dem Innenminister fehlende sittliche Reife.
Apropos CSU: Spiegel-Online-Redakteur Stefan Kuzmany bekennt: „Ich war’s“. Als Redakteur der taz hatte er Markus Söder fiktive Äußerungen untergeschoben, weil sie zu Söder zu passen schienen. Etwa die Forderung, dass die grünen MdBs sich einem Rauschgifttest unterstellen sollten oder dass deutsche Buben nicht mehr Kevin, sondern Klaus heißen sollten. So also entstehen die berüchtigten Fake News und irgendwann weiß keiner mehr, was Dichtung und was Wahrheit ist.
Weitere Themen im aktuellen Heft: Michael Frenzel beklagt die Bremsversuche seiner SPD-Parteifreunde und dass die Deutsche Bahn „In Richtung alte Staatsbahn unterwegs“ sei. Das Beispiel Bahn zeigt, dass Privatisierung sich vielleicht für die Shareholder auszahlt, nicht aber für Kunden. Mir gefiel die Bahn besser, als sie selbstbewusst tönte: Alle reden vom Wetter, wir nicht. Von dem Spot ist nur noch Spott übriggeblieben. Armin Mahler hat die Leitung des Wirtschaftsressorts – er hatte sie seit 1991 inne – an Susanne Amann und Markus Brauck abgegeben. Künftig wird er als Autor für das Magazin von der Ericusspitze verbunden sein. Jetzt darf er mit Ex-McKinsey-Chef Herbert Henzler über Trumps Zölle, Chinas Ziele und die Zukunftschancen der deutschen Wirtschaft plaudern („Am Ende werden wir alle ärmer“). Henzler sagt, dass er sich vor 18 Jahren mehr um die Automobilindustrie gesorgt habe und sieht die Chancen beim global tätigen Mittelstand, der seiner Einschätzung nach bei der Digitalisierung mithalten kann. Hotels, Ärzte, Händler und andere bekommen die digitale Welt nicht selten in Form von Bewertungsportalen zu spüren. Martin U. Müller und David Walden gehen Fake-Rezensionen und gefälschten Bewertungen nach, zeigen wie spezielle Anbieter unseriös, aber womöglich legal das Image von Dienstleistern auf Bewertungsplattformen beeinflussen („Betrug mit fünf Sternen“). Der Rat: Immer misstrauisch bleiben bei Bewertungen im Netz. Sie könnten manipuliert sein.
Alleine die Überschrift macht neugierig: „Schatzjagd in der Nase“. Jörg Blech, Autor für alles rund um das Thema Medizin, zeigt, wie zukünftig möglicherweise tausende Arten von Mikroben, die bereits unsere Körper bevölkern, zur Heilung derselben eingesetzt werden können. Die Vision: In Zukunft bekämpfen wir nicht Bakterien, sondern essen sie, um wieder gesund zu werden. Ein spannendes Kapitel Wissenschaft!