Während der Focus seine Leser in den grünen Wald und dessen Heilkräfte schickt, taucht der Spiegel ab in die Tiefen eines mit dunklen Wolken umhüllten Vatikans, über dem unheilvoll dunkle Vögel kreisen [bekannt aus den nordischen Erzählungen als Verkünder allen Unheils]. Unterschiedlicher kann die Weltsicht der Redaktionen kaum ausgedrückt werden. Es braucht keine Spione in der Spiegel-Redaktion, um zu wissen, dass pünktlich zu einem der großen christlichen Feiertage wieder einmal ein Schmutzkübel über das Christentum, vorzugsweise über den Katholizismus ausgegossen wird. Da das Interesse der Spiegelleser an christlicher Kirche und deren Inhalte inzwischen bis auf ein Restinteresse geschmolzen sein dürfte, stellt sich die Frage, wer das verquere Kirchenbild des Magazins überhaupt liest – vielleicht noch einige Altvordere, die sich ihre Weltsicht auf das Verachtenswerte von Religion alle paar Monate wieder bestätigen lassen müssen. Das, was Clemens Höges und Walter Mayr auf fünf Seiten Text (neun Seiten Bericht minus vier Seiten Bildmaterial) unter „Im Namen Gottes“ zusammenschreiben, ist ein eindimensionaler Ritt durch 2.000 Jahre Kirchengeschichte. Das Handeln jedweder Institution, die 2.000 Jahre ununterbrochener Historie auf dem Buckel hat, könnte man bei entsprechender Auslese der Fakten derart negativ darstellen.
Die Autoren plagt eigentlich nur ein gewaltiges Problem: Am aktuellen Kirchenoberhaupt der römisch-katholischen Kirche kann man eigentlich gar nicht wirklich rummäkeln. Der „arme“ Papst Franziskus gehört zu den Guten, leidet aber unter den drückenden Altlasten der fernen und jüngsten Vergangenheit und muss sich auch noch mit der immerwährenden Gegenwart des Altpapstes Benedikt XVI. – bis zu seiner Papstwahl für den Spiegel der Inbegriff des bösen Katholizismus, weil „Verwalter“ der Glaubenskongregation – abfinden. Da müssen dann wieder die bösen alten Seilschaften im Vatikan herhalten.
Und nun ist auch noch ein Film über Franziskus ins Kino gekommen. Eine Schande, dass sich Wim Wenders – so die ziemlich unverhohlene Meinung des Autors Martin Wolf von „Priester des Zelluloids“ – für diesen PR-Coup des Vatikans hat einspannen lassen. Wer nach 2.000 Jahren Kirchengeschichte immer noch 2,3 Milliarden Menschen mit ein und derselben Botschaft begeistern kann, kann nicht alles falsch gemacht haben. Ich frage mich gerade, ob da Neid aufkommt, dass nicht Spiegel-TV den Dokumentarfilm gedreht hat.
Hildegard von Bingen, Benediktinerin, Äbtissin, erste von vier weiblichen anerkannten Kirchenlehrerinnen der katholischen Kirche, hat einen großen Teil ihrer Forschung der Kraft der Natur gewidmet. Grünkraft nannte sie die allumfassende Kraft, oder auch Viriditas. Grünkraft ist für sie Lebenskraft, Gotteskraft, Schöpfungskraft, Heilkraft. In diesem Sinne steckt in einer einzigen Focus-Titelzeile mehr Christentum als in zehn Seiten Spiegel.
Statt Kraft: Sorgen über Sorgen in der Spiegel-Redaktion. Kann ausgerechnet der CSU-Mann Manfred Weber die EU führen?, fragt Peter Müller („Ein Bayer in Brüssel“). Und: Zwei Monate nach der Kanzlerwahl ist die SPD immer noch im Umfrage- und Identitätstief („Der Fehlstart“), konstatieren Christoph Hickmann, Veit Medick und Christian Teevs. Aha, der Spiegel treibt die SPD wieder vor sich her. Vorschlag: Macht doch die Spiegel-Redaktion zur Parteizentrale! Der Unternehmensberater Gerd Kerkhoff lädt Politiker zu sich zum exklusiven Kamingespräch ein. Nicht weiter schlimm für die Redaktion, wenn es sich um SPD- oder Grünen-Politiker handelt. Aber eine Connection zu Christian Lindner … Äußerst verdächtig. Vor allem, wo er als Redner Geld dafür bekommt („Feuer unterm Dach“). Und dann weist der das auch noch aus. Über die Nebeneinkünfte der Abgeordneten berichten Max Holscher und Marcel Pauly in „Das gewisse Extra“. Danach hat Christan Lindner für 13 Auftritte mindestens 77.000 EUR erhalten, macht pro Auftritt im Schnitt 5.923,08 EUR. Wenn es mehr wäre, dann sollte es der Spiegel-Redaktion zu denken geben.
Auf der Nachrichtenseite zum Wirtschaftsressort lese ich, dass die Bundesregierung bis 2022 für ihre immer noch ideen- und konzeptlose Flüchtlingspolitik 78 Milliarden Euro verbrennen will – inklusive der 8 Milliarden, die bis 2021 vom Bund an Länder und Kommunen als Entlastung für deren Kosten überwiesen werden sollen. Aufmerken lässt mich beim Lesen das Wording in der Unterlage aus dem Bundesfinanzministerium zur mittelfristigen Finanzplanung: Es wird unterschieden zwischen Migration und Asylmigration. Zu Letzterem sagt das Papier laut Spiegel: „Eine explizite Annahme zur Asylmigration wird nicht mehr getroffen.“ Wie soll man das interpretieren?
Simon Hage, Martin Hesse Alexander Jung, Peter Müller, Gerald Traufetter und Bernhard Zand berichten in „Aufholen und überholen“, dass die Deutschen es nicht China und den USA gleichzeitig recht machen könnten und deshalb eine neue Strategie brauchten. In dem Beitrag verkünden die Redakteure von den tollen Plänen, die die Chinesen haben und auf welche Wachstumsbranchen China setzen will: Informationstechnologie, Automatisierung und Robotik, Luft- und Raumfahrt, Schiffsausrüstung und Navigation, Hochgeschwindigkeitsbahnen, Elektrofahrzeuge, Energietechnik, landwirtschaftliche Geräte, neue Materialien, Pharmaindustrie und Medizingeräte. Das Ganze erinnert mich an die Ängste der Europäer in den 1980er und 1990er Jahren vor dem angeblich allmächtigen und allwissenden japanischen Ministry of Trade and Industry, kurz: MITI. Mit dem wollte Japan damals angeblich generalstabsmäßig Europa und die USA wirtschaftlich überrollen. Doch Innovationen sind nicht exakt prognostizierbar und bieten manch Überraschendes, was mitunter die tollsten Wirtschaftsprognosen wieder durcheinanderwirbelt. Ergänzt wird der Beitrag vom Leitartikel „Verhandeln mit dem Leviathan“ von Bernhard Zand. Da sich an diesem Wochenende die USA mit China über ein Handelsabkommen geeinigt haben, ist Deutschlands Position gegenüber China nicht die beste.
Mathieu von Rohr und Christoph Schult interviewten im Zürcher Nobel-Hotel Baur au Lac den früheren Bundesaußenminister Joschka Fischer, der den Spiegellesern mitteilt: „Der amerikanische Präsident zerstört die amerikanische Weltordnung“ und Europa müsse in seine Verteidigung investieren. Warum erzählt Fischer dies nicht seine Parteifreunden Karin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter? Das eine wird rauf und runter gebetet, die Konsequenz wollen die Grünen nicht wahr haben.
Wie weit die Spiegel-Redaktion vom wirklichen Leben entfernt ist, zeigt der Bericht „Digitale Inventur“. Ja, Datenschutz ist wichtig, sehr wichtig sogar. In welchem Maße aber mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde, kann ein Redakteur, für den eine Heerschar von IT-Kollegen arbeiten, nicht im Geringsten ermessen. Die Hydra-Köpfe von Google, Facebook und Co. werden damit nicht abgeschlagen. Die Nutzer müssen, ob sie wollen oder nicht, die Nutzungsbedingungen akzeptieren, die ihnen vorgesetzt werden – oder die Accounts stillegen. Im Gegenteil – Facebook nutzt die Situation, um vor Inkrafttreten der Regelung unbedarften Nutzern Dinge im Menü unterzujubeln, die die meisten sicherlich nicht wollen, z.B. die Gesichtserkennung.
Hier also alles wie gehabt. Denn merke: Es geht bei den Großen weniger um den Schutz, als darum zu erklären, was sie machen. Und genau diese Tür öffnet die DS-GVO. Und weiter: Wer liest sich 23 Seiten und mehr Datenschutzerklärungen mit Anhängen durch und ist zweitens dann noch in der Lage, als Nicht-Jurist zu verstehen, was man liest oder gegebenfalls unterschreibt, wenn man zum Beispiel eine Website bei einem etablierten Anbieter betreibt und dabei ein Statistiktool nutzt, das die Aufrufzahlen der einzelnen Seiten zeigt, aber keine weiteren Daten. Wer kennt die Konfigurationen, die im Hintergrund laufen? Wer kann adäquate Verträge für die Auftragsdatenverarbeitung einsetzen, die man für einen solchen Fall nach den neuen Richtlinien benötigt? Was Klärung und Klarheit beim Umgang mit den Großen bringen sollte, bringt Unklarheit bei jedem, der nicht über ein eigenes Justiziariat verfügt, etwa bei kleinen Vereinen, Einzelunternehmern und Kleinbetrieben. Die Folge: reihenweise inadäquate Datenschutzerklärungen, Datenschutzbeauftragte, wo es keine braucht, übermotivierte oder überforderte Verbandsjustiziare, je nach Bundesland übermotivierte Datenschutzbehörden und Anwaltskanzleien, die in den Startlöchern stehen, um zum 25. Mai bußgeldbewehrte Abmahnungen zu versenden. Misstrauen wird allerorten gesät. Etwa in tausenden von Sportvereinen, wo davor gewarnt wird, nach der neuen Verordnung vor einem Spiel die Mannschaftsaufstellung mit Vor- und Zunamen in Verbindung mit dem Geburtsjahrgang am Schwarzen Brett auszuhängen, ohne vorher eine entsprechende Genehmigung bei Beteiligten oder Eltern schriftlich eingeholt zu haben. Und das Tollste an der ganzen Sache: Jetzt stellt sich heraus, dass gerade öffentliche Verwaltungen und öffentlich-rechtliche Unternehmen das Schlusslicht in der Erfüllung der DS-GVO sind. Und: Sie sind von der Bußgeldbewehrung ausgenommen. Da kann man nur hoffen, dass mancherorts die Weisheit des Hessischen Datenschutzbeauftragten, Michael Ronellenfitsch, abfärbt, der deutlicher als seine Kollegen zur Mäßigung aufrief, auch was eine mögliche Verfolgung von Verstößen in den nächsten Wochen und Monaten anbetrifft.