Der Spiegel trifft mit dem Titel das Thema der Woche und regt sich mächtig auf: Trumps Bruch des Iran-Deals gefährde den Weltfrieden und lege die transatlantische Partnerschaft auf Eis. DER SPIEGEL sieht sich in seinem Antiamerikanismus bestätigt.
Die USA braucht Europa (auch) in diesen Zeiten nicht. Wie aber kann Europa ohne Trump zurechtkommen? Hier ist auch der Spiegel ratlos, wie Klaus Brinkbäumer im Leitartikel „Welt ohne Ordnung“ zugibt. Der große USA-Versteher und -Verächter versteht die transatlantische Welt nicht mehr. So geht es dann auch in der Abarbeitung des Titelversprechens ein wenig auch um die EU, aus deutscher und französischer Sicht. Aber vielmehr noch wieder einmal um einen unberechenbaren Donald Trump, von dem der Eindruck hergeschrieben wird, dass er seine Diplomatie an den Revolverhelden der alten Western orientiert: Jemand reitet in ein Städtchen, geht in den Saloon, sobald einer seltsam schaut, wird gekeilt; Schwächlinge und Zauderer ducken sich hinterm Tresen oder verlassen schnell den Ort des Geschehens, vom scheppernden Klavier kommt noch ein trotziger Gruß. Falls irgendwer den Colt zieht, gibt es eine Schießerei und binnen kürzester Zeit sind alle Probleme geklärt.
Da ist die Welt simpel in Gut und Böse aufgeteilt. Insofern ist Trump in seiner archaischen Art eben gerade berechenbar, auch, wenn es nicht in das ach so komplexe Spiegelbild passt. Ein Show-Down gibt es jedenfalls auch mit BILD-Chef Julian Reichelt, denn die alte Männerfreundschaft früherer Chefredakteure ist einem Dauerkonflikt gewichen und Reichelt greift den Spiegel per Twitter an – soziale Medien ersetzen eben zunehmend bedrucktes Papier.
Die zum Titel gehörenden Stücke „Die Demütigung“, ein Interview mit Michael Hayden „Trump feiert gerade“ und der Bericht „Als wäre es ein Donut“ vom neuen Israel-Korrespondenten Alexander Osang zum Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, sind gut lesbar. Trump hat sich zum Rächer der Enterbten aufgeschwungen. Er will die von ihm empfundene Demütigung durch einen aus seiner Sicht unfähigen Präsidenten Barack Obama, der die Interesse der USA verraten und verkauft habe, rückgängig machen – mit allen Mitteln. Weltmächte, die wie die USA wirtschaftlich und in der Produktentwicklung, abgesehen von der Digitalindustrie, in die zweite oder gar dritte Liga absteigen, gelten in solchen Phasen als besonders kriegsgefährlich. Solange das Land groß und stark war, war es egal, wie der Lebensstandard erzielt wurde. Der Protektionismus wird ihn spürbar senken. Nicht nur, weil die Amerikaner in manchen Branchen, Jahre des technologischen Rückstands aufzuholen haben, sondern auch, weil sich die Mentalität der Goldgräberstimmung fest in die DNA des Landes eingebrannt hat. Donald Trump ist das lebende Beispiel dafür.
Was mich wundert bei all der zugegebenen Ratlosigkeit von Chefredakteur Brinkbäumer: Dass – ich beklagte es schon häufiger – zu wenige Expertenmeinungen, andere Stimmen, andere Sichtweisen aus anderen europäischen Metropolen, als Berlin und Paris, zu Wort kommen. Wo steht EU-Europa? Das wäre die lohnende Antwort auf Trump. Auch auf die Gefahr hin, dass eine ehrliche Recherche zu erschreckenden Ergebnissen führt. Und wo steht man in Peking, Tokio und Neu Delhi?
EU-Europa sollte nicht still abwarten, sondern kann auf Gegenstrategien sinnen. Macron zum Wortführer der EU zu küren, ist eine stumpfe Waffe. Der kultiviert agierende Präsident Frankreichs glaubt immer noch, mit fast manischem Händeschütteln, Begrüßungsküsschen und wohlklingenden philosophischen Formulierungen die transatlantischen Beziehungen retten zu können.
Außenminister Heiko Maas kann ich mir nicht als denjenigen vorstellen, der Trump die Stirn bietet. Und seit seinem Auftritt in Moskau auch nicht als jemanden, der mit diplomatischem Geschick, EU-Außenpolitik mitbestimmen könnte. Allein, in der Nähe Frankreichs aufgewachsen zu sein, ist keine Qualifikation für eine außenpolitische Karriere. Moskau hat die Grenzen aufgezeigt. Angela Merkel bleibt kaum etwas anderes übrig, als in ihrer vierten Amtszeit die Außenpolitik aus dem Kanzleramt heraus zu betreiben, gegen alle Widerstände der SPD, die sich lieber in innerparteiliches Kleinklein verheddert, als das politisch beste Personal ins Außenministerium zu entsenden. Aber bis dahin gilt die Aussage von Norbert Röttgen im aktuellen Focus „Wir sind kein relevanter Faktor“.
Apropos Focus: Im Beitrag „Betr.: ‚Anti-Abschiebe-Industrie‘“ prüft die Redaktion den Vorwurf von CSU-Fraktionschef Alexander Dobrindt, dass in Deutschland eine regelrechte Anti-Abschiebe-Industrie systematisch Abschiebungen von Flüchtlingen verhindere. In dem Beitrag bieten die Autoren Faktenjournalismus und Leserservice und berufen sich auf Zeugen wie Rainer Wendt, den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, und Robert Seegmüller, den Vorsitzenden des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter. Der Flüchtlingsrat Bayern etwa steuere, so der Beitrag, mit Info-Bussen Erstaufnahmeeinrichtungen an, wo die Helfer „über die Brutalität und Missstände in den Abschiebelagern aufklären und dafür kämpfen, dies abzuschaffen.“ Dazu kämen Warnungen mit Terminangaben im Internet und mit Tipps wie „abtauchen und aus der eigenen Wohnung verschwinden“. Wobei die Unterstützer zuvor die Flugpläne ausforschen und sich informieren. Der CDU-Politiker Philipp Amthor fordert „ein Maßnahmenpaket gegen derlei organisierte Abschiebeverhinderung“.
Zurück zum Spiegel. Kann ich als Mann über #MeToo schreiben? Lange habe ich gezögert. Doch meine Frau hat mich ermutigt. Dass sie vor gut 30 Jahren aus dem Kulturbetrieb ausgestiegen ist, hatte viel mit der jetzt geführten Debatte zu tun. Das Vorgehen und die Argumentationen der Täter, die der Bericht „Sex im Präsidentenbüro“ beschreibt, sind ihr im Schema nur allzu bekannt. München ist nicht die einzige Musikhochschule, an der es so herging, möglicherweise immer noch geht. Unter dem Deckmäntelchen der außergewöhnlichen Begabung, des Kreativen, durch eine extreme Nähe zwischen Lehrenden und Lernenden mit einem großen Potenzial für Beeinflussbarkeit von Studenten beiderlei Geschlechts, aufgrund sehr unreifer Persönlichkeiten nicht nur unter den Studierenden, sondern auch unter Dozenten und Professoren, die ihre Unreife hinter dem alles tötenden Stichwort „Kunst“ versteckten, hat sie Mikrokosmen erlebt, die man sich als Außenstehender nicht vorstellen kann. In diesem Umfeld blühte sexuelle – und in hohem Maße auch – finanzielle Ausbeutung. Meine Frau wurde lange Zeit in der Szene als „Spinnerin“ abgetan, wenn sie versuchte zu erklären, warum sie dem Musikbetrieb den Rücken kehrte. Das war nicht so sehr der Reflex auf eine Nestbeschmutzerin, als vielmehr die Unvorstellbarkeit, dass an der sehr speziellen Symbiose von Mensch und Kunst so vieles falsch sein kann.
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