Nach einigen Wochen SPIEGEL-Abstinenz gefällt mir das Heft mit seiner bunten und breiten Themenmischung in dieser Woche recht gut.
Zu Ostern besinnt sich der von ihrem Gründer Rudolf Augstein auf Nihilismus getrimmte Spiegel auf die christlich-abendländische Tradition, widmet sich existenziellen Fragen und kündigt auf dem Cover an, ihre Leser darüber zu informieren, „wie der Mensch den Tod besiegen will“. Nun ja, das ist halt der Versuch, zu Ostern besinnlich daher zu kommen und sich beim letzten Leser einzuschmeicheln, für den solche Feste noch etwas bedeuten und bei den Ichs sowieso, die ihr Wellness-Programm schon durch haben.
Das Wollen ist die eine Sache, das Können die andere. Denn die meisten Menschen müssen sich vorerst wohl damit zufrieden geben, mit medizinischer Hilfe ihr Leben um einige Jährchen zu verlängern. In der Titelgeschichte berichtet Johann Grolle, wie Biologen das Leben von Menschen und anderen Lebewesen bereits verlängern.
Und ich freue mich natürlich mit den Fadenwürmern, dass die Wissenschaftler deren Lebensdauer gentechnisch bereits verzehnfachen konnten. Überrascht hat mich die Information, dass im Blutplasma junger Spender angeblich verjüngende und lebenserhaltende Substanzen enthalten sein sollen. Das erinnert doch fatal an Horrorfilme, in denen Graf Dracula und seine Vampirkollegen ständig nach jungen Frauen Ausschau halten müssen, um ihnen frisches Blut abzusaugen. Und ich Naivling dachte bisher, es handele sich dabei um puren Aberglauben. Nicht thematisiert wird die Frage, ob ewiges Leben überhaupt sinnvoll wäre und dadurch nicht mehr Schaden als Nutzen entstünde.
Im SPIEGEL-Gespräch „Wir dürfen nicht Gott spielen“ von Frank Hornig und Jörg Schindler mit Heinrich Bedford-Strohm pariert der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland die vordergründig so rationalen Spiegel-Sticheleien in beeindruckend theologischer Manier und holt die Allmachtsfantasien aus dem Silicon Valley auf den Boden menschlicher Bedürfnisse zurück, die weit über noch so variantenreiche Kombinationen von 0 und 1 hinausgehen.
Der feine Essay „Verdammte Ewigkeit“ von Nils Minkmar bietet philosophisch erfrischende Gedanken darüber „warum wir den Tod brauchen, um unser Leben gut zu leben.“
Rafael Buschmann und Tim Röhn bleiben in ihrem Beitrag „Weitermachen“ über den Sprengstoff-Anschlag auf die BVB-Mannschaft erfreulicherweise auf dem Boden und unterlassen jegliche Spekulation über mutmaßliche Hintergründe. Recht so! Besser unvollständig informiert als in die Irre geführt. Aber weiß er, wo er da anknüpft mit „Weitermachen“? Weitermachen ist ja eine deutsche Tugend. So haben unsere Vorfahren die Bombennächte überlebt und weitergemacht, als gäbe es keine Royal Airforce. Einfach weitermachen. Wir schaffen das – diese Formel erzeugt vergessen geglaubte Tugenden in den Deutschen für die Bewältigung des neuen Staatsziels Zuwanderung. Gelegentlich täte ein bisschen historisches Bewusstsein ganz gut.
Gut tut, wie sachlich Fidelius Schmidt im Beitrag „Haste Scheiße am Fuß“ mit NRW-Innenminister Ralf Jäger umgeht: Sein Name ist nicht Jäger, sondern Hase. Er ist es nicht gewesen, nie. Und Hannelore Kraft ist als Ministerpräsidentin auch nicht verantwortlich; das ist sie nur für die wenigen gelungenen Sachen, aus denen sich Wahlkampf machen läßt. Failed State, diese Formel von Stephan Paetow in der Blackbox verwendet: NRW ist auf dem „besten“ Wege dahin.
Melanie Amann, Martin Pfaffenzeller und Severin Weiland informieren in „Alternative für Petry“ ohne Schulmeisterei über die undurchsichtige Gemengelage in der AfD. Ein echter Dienst am Leser.
Ilse Aigner hat mich mit dem Interview „Das ist unterirdisch“ über starke Frauen und die Machokultur in der Politik nachhaltig beeindruckt.
René Pfister kommt mit seinem Kommentar „Die Unterwerfung“ über die Emanzipation der CDU von Angela Merkel viel zu spät. Die hat sich und ihre Partei in eine wahrhaft alternativlose Situation geführt: Ohne Angela Merkel ist die CDU nur noch Zählkandidat. Mit ihr hat sie keine Perspektive. Denn selbst wenn Merkel noch mal gewinnt, so werden es nur ein paar mehr verlorene Jahre für die CDU.