Ich weiss ja, es gibt viele vernünftige Gründe, es anders zu sehen, aber ich mag diesen Thomas de Maizière einfach als Typ. Also so postfaktisch betrachtet. Manchmal hat er direkt was Bübchenhaftes, aber so, als müsse der Bub in der Chemiefabrik arbeiten und wäre darob übel verbittert. Der Lottoladenmann schaut mich komisch an, als ich mal statt der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung die BamS auf den Tresen zu den Sonntagsbrötchen lege. Ich sag nix und spare fast drei Euro.
„Wir sind nicht Burka.“, verkündet der Innenminister auf dem Titel. Er will auf Seite 6 und 7 nicht weniger anstoßen, als „eine Debatte über eine neue Leitkultur für Deutschland.“ Nehmen wir gerne an. Aber vorher noch zu zwei weiteren Leitthemen dieser Bild am Sonntag. Zum einen haben die Unternehmensberater von McKinsey einen Praktikanten ausgerechnet mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu teuer abgerechnet und zum anderen weiß die BamS angeblich mehr über diesen ominösen Soldaten und Asylbewerber Franco A.
McKinsey scheint für die BamS-Reporter Lars Petersen und Jan C. Wehmeyer tatsächlich so etwas wie eine legale Art Mafia zu sein. Eine geheime Macht im Staat. Die mächtigste Beraterfirma der Welt gelte als extrem verschwiegen. McKinsey sei gefürchtet als Jobvernichtermaschine, die, wenn sie einmal engagiert worden wäre, „in eine Firma einmarschieren“. Dann bliebe keine Stein mehr auf dem anderen.
Die Agentur für Arbeit sei ebenso Kunde wie die genannte Bundesagentur. Und etliche Ex-McKinseys würden später an neuralgischen Punkten in Wirtschaft und Politik eingesetzt. Suggeriert wird hier ein geheimes Netzwerk. Schlimmer – McKinsey würde Behörden zunächst sogar kostenlose Leistungen anbieten, sich also unentberhlich machen, um dann in die Steuergelderkasse zu greifen, wenn man als Gegenleistung Aufträge auch mal ohne Ausschreibung erhielte. Ein Sumpf? Es scheint so, wenn stimmt, was die Kollegen aufschreiben. Aber es gibt nicht nur McKinsey, auch PwC und andere Globalplayer operieren am Markt.
Über Franco A., Soldat, Asylbewerber und Pistolensammler weiß man auch bei BamS nicht viel mehr, als eh schon in der Presse zu finden war. Aber man liefert neue Fotos mit, man hat mit dem Vermieter in der Asylunterkunft gesprochen und mit Hassan, der ebenfalls dort gemeldet ist und weiß: „…sein Bett blieb immer unbenutzt.“ Der Vermieter wunderte sich über die zu langen Haare von Franco A. Deshalb dachte er immer schon: „der kommt nicht aus einem arabischen Kulturkreis.“ BamS fand heraus, dass seine Abschlussarbeit an der Militärakademie ein zweites Mal gefertigt werden musste, weil „Der Schriftsatz von völkischem Denken“ gezeugt hätte. Konsequenzen gab es freilich nicht. Franco A. schrieb einfach eine neue, weniger völkische.
Bevor wir zu Thomas de Maiziére zweiseitiger Kick-Off-Veranstaltung in Sachen „Leitkultur“ kommen, schnell noch einmal druchgeblättert: angebliches Geheimtreffen von Dobrindt, Spahn und Lindner beim Italiener. Lindners Parteitagsabsage an einen Wunschkoalitionspartner also doch nur ein Windei? Ivanka Trump darf ihre Handtasche „Tribeca Solutions“ zeigen, die es bei United für 27800 Flugmeilen gibt. Dann haben wir noch die Erkenntnis, dass deutsche Eltern zu hohe Erwartungen an ihre Kinder haben. Als Trost gibt es Bilder aus der Rubrik „sagenhaft schönes Deutschland“: „Verwunschene Seen, bizarre Felsen und einsame Burgen“ – also die perfekte Kulisse für de de Maiziéres Leitkultur ? Oder doch eher Leidkultur? Mal schauen.
Der Bundesinnenminister klagte gerade erst über „eine Verrohung unserer Gesellschaft und warnte „da ist etwas ins Rutschen gekommen.“ Was also braucht Deutschland? Und will der Minister wirklich ausgerechnet in der BamS eine echte Debatte führen?
Ja …
Der Grundgedanke des Ministers geht so: Natürlich sei Verfassungspatriotismus eine gute Idee. Wo sich andere absichtsvoll darauf beschränken, möchte de Maiziére nun aber weiter gehen. Grundrechte und Grundgesetz, Menschenwürde, demokratischer Rechtstaat und Achtung der Verfassung reichen offensichtlich doch nicht mehr aus, zu definieren,was uns einmal als Deutsche im Innersten zusammengehalten hat oder in Zukunft zusammenhalten soll. Der Geist ist aus der Flasche und de Maiziére macht sich auf die geistreiche Suche nach einer Leitkultur, „um Regeln unseres Zusammenlebens (…) um eine Richtschnur des Zusammenlebens.“ Zumindest versucht er es auf dünnem Papier.
Aber nicht jeder gehöre dazu, der sich nur „für eine gewisse Zeit“ im Lande aufhält. Das „Wir“ sind doch die Staatsbürger. Der Minister fürchtet in dieser Debatte „die Bedenken einer undifferenzierten Verallgemeinerung.“ Darauf folgt seine Absage an eine undifferenzierte Form der „Vielfalt“: „Wer will bestreiten, dass es hier erprobte und weiterzugebende Lebensgewohnheiten gibt, die es wert sind erhalten zu werden?“, fragt er. Ach, da könnte man ihm einige aufzählen. Von seiner Kanzlerin bis hin zum gesamten links-grünen Spektrum im Bundestag.
… nein
Und leider ist es dann so: da, wo de Maiziére ausholt, zieht er gleich wieder zurück. Ein echter Krebsgang, je weiter man sich einliest: „Andere Länder, andere Sitten.“ Wenn eine Lebensgewohnheit im Ausland anders sei, sei sie nicht besser und nicht schlechter als in Deutschland. Das ist natürlich Unsinn. Denn wenn Länder es sich zur Gewohnheit gemacht haben, Schwule zu verfolgen, zu inhaftieren oder Frauen das Autofahren zu verbieten, dann hat das ja wohl eine andere, eine gewichtigere Qualität, als nur die Frage, ob ich mit Stäbchen oder Messer und Gabel essen will.
De Maiziére betont noch einmal, dass man in Deutschland sein Gesicht zeigen würde und sich die Hand gebe. „Wir sind nicht Burka“, hängt er flapsig und volksnah hintendran und schafft es damit auf den BamS-Titel. Ist das nun eine mildere Form von „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“? Man könnte es so lesen. Er würde es natürlich wieder sofort abstreiten, stellte man ihm die Ja-oder-Nein-Frage. Der Kitt unserer Gesellschaft wird bei de Maiziére zum christlichen Bekenntnis. Er entstehe in den Kirchen, in der Synagoge und in der Moschee. In der Moschee? Wirklich auch da? Da, wo die IS-Kämpfer rekrutiert wurden? Da, wo die Polizei Hausdurchsuchungen macht und kistenweise verfassungsfeindliches Material beschlagnahmt? Nein, so einfach kann man es sich nicht machen, wenn man wirklich eine Debatte führen will. Wenn man ergründen will, warum eine Mehrheit der gläubigen Muslime in Deutschland die Scharia im Zweifel über diese ganze deutsche Leitkultur, über den deutschen Verfassungspatriotismus stellt.
… vielleicht
„Wir sind Erben unser Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen.“ Auch hier schränkt sich das „Wir“ in Wahrheit schon deutlich ein, ohne dass de Maiziére unterscheiden würde. Denn welcher Migrant oder Nachfahre von Migranten würde ernsthaft die Erbschaft des Holocaust annehmen? Da sind die Herkunftsdeutschen unter sich. Verständlicherweise. Der Weg ist einfach zu lang, der geschichtliche Hintergrund der Volksgruppen in Deutschland zu verschieden.
Selbst da, wo de Maiziére befindet, dass „unsere Nationalfahne und unsere Nationalhymne (…) selbstverständlicher Teil unseres Patriotismus“ sind, geht er bereits mit Angela Merkels Haltung in die Kontroverse, die vor nicht allzulanger Zeit einem Parteifreund auf dem politischen Podium die Fahne aus der Hand nahm und nach hinten weiterreichte. Von der Lindner-Diskussion um Mesut Özil und Björn Höckes Fahneneid bei Günther Jauch ganz zu schweigen.
„Wir bleiben stolze Europäer und Patrioten“, endet de Maizière dann und umgeht damit natürlich, zu sagen: Wir dürfen stolz sein auf Deutschland. Ja doch, der Minister hat sich irgendwie bemüht. Aber ja: Was für ein unwürdiger Eiertanz auch hier wieder in der BamS. Selbst das zweiseitige Sudoku für „Superbrain“ dürfte da einfacher zu lösen sein, als dieses deutsche Problem.