Man muss wieder zwischen den Zeilen lesen in Deutschland. Die Deutsche Presse-Agentur, Leitmedium und Textlieferant, verbreitet heute in einer Meldung direkt hintereinander, nur durch einen Absatz getrennt, folgende beiden Sätze zum neuen ARD-Deutschlandtrend: „Gut zwei Drittel gaben an, weniger oder gar nicht zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung zu sein (67 Prozent). Das sind drei Prozentpunkte weniger als noch im Vormonat. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt auf einen Zufriedenheitswert von 56 Prozent (plus zwei).“
Screenshot: Tagesschau.de
Viele Medien verbreiteten diesen Text in dieser Form im Internet. Ohne auch nur ansatzweise auf den dahinter steckenden Widerspruch einzugehen: Wie kann es sein, dass mit der Chefin der Bundesregierung, die mit ihrer Richtlinienkompetenz die Verantwortung für deren Arbeit trägt, 56 Prozent der Deutschen zufrieden sind – mit ihrer Regierung aber nur 32 Prozent?
Das ist – wenn es denn so zutrifft – unlogisch. Böse könnte man auch sagen: schizophren. Oder unterstellen, dass sich die Meinungsforscher bei der „Gewichtung“, mit der sie die Rohdaten ihrer Umfragen „einordnen“, vielleicht etwas verkalkuliert haben. Zur Zerstreuung ketzerischer Zweifel wäre es wünschenswert, dass die ARD diese Rohdaten veröffentlicht – insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen, insbesondere den Rückkoppelungs-Effekt von solchen Umfragen, denn Mehrheiten erzeugen ja eine Sogwirkung (um das böse Wort Herdentrieb zu vermeiden).
Dennoch; Es wirkt durchaus plausibel, dass es eine massive Diskrepanz zwischen Zufriedenheit mit der Hauptverantwortlichen und ihrer Politik gibt. Diese ist ein Zeichen für eine politische Unreife, die sonst eher für Staaten ohne längere demokratische Tradition typisch ist: etwa für Russland. Dort unterscheiden viele zwischen dem „guten Zaren“ und seinen „bösen Bojaren“, also der Regierung, die aus ihrer Sicht den – guten – Willen des Herrschers nicht umsetzen kann.
Die Umfrage stellt den Deutschen ein demokratisches Unreifezeugnis aus. Und zwar nicht nur den Wählern, sondern auch vielen Journalisten, die diese massive Diskrepanz einfach ignorieren statt sie, wie es ihre Aufgabe wäre, deutlich zu machen und zu analysieren.
Die Diskrepanz ist ein Alarmzeichen in Sachen Demokratie. Und eine Folge von Angela Merkels monarchistischem Regierungsstil, ihrem Wegtauchen aus der Alltagspolitik, ihrer chamäleonartigen Konfliktvermeidung, für die etwa ihre Haltung zur „Ehe für alle“ typisch ist: Sie drückte sie zwar durch, stimmt aber persönlich im Bundestag dagegen.
Merkel hat es geschafft, sich von der Arbeit bzw. Nicht-Arbeit, vom „Erfolg“ bzw. Misserfolg ihrer eigenen Regierung so abzukoppeln, sich politisch derart bis ins Unerkennliche zu tarnen, wie dies sonst eher für nicht-demokratische Systeme üblich ist. Oder für Monarchen wie die Queen. De facto erinnert ihre gut inszenierte Rolle in der Öffentlichkeit eher an diejenige, die ursprünglich dem Bundespräsidenten zugedacht ist – während der sich umgekehrt in einem Maße (und mit einer – stramm linken – Agenda) in die Politik einmischt, die bei seinen Vorgängern noch als unanständig gegolten hätte.
Hinter der harmlos wirkenden Tarnung steckt allerdings ihr genaues Gegenteil: De facto steht das System Merkel für massive staatliche Eingriffe auch in Lebensbereiche, aus denen sich der Staat früher heraushielt, bei massiver Verschleierung dieser Eingriffe durch „Outsorcing“ und maximaler Verantwortungslosigkeit derselben. Ein Beispiel sind zahlreiche Nicht-Regierungsorganisationen wie etwa die Amadeu-Antonio-Stiftung unter der früher mit der Stasi zusammenarbeitenden Anetta Kahane, die formell nicht staatlich und damit demokratischer Kontrolle entzogen sind, aber stark die politische Agenda mitbestimmen, die massiv vom Staat unterstützt werden – und umgekehrt.
Ein weiteres Beispiel für diese Politik der Verantwortungslosigkeit ist auch, dass selbst in Fällen schlimmen Versagens das Übernehmen politischer Verantwortung etwa in Form von Rücktritten fast schon undenkbar scheint – der Berliner Flughafen lässt grüßen.
Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Das Fazit: Wir haben es hier mit einer massiven Demokratie-Verwahrlosung zu tun – und die widersprüchlichen Zahlen aus dem ARD-Deutschland-Trend sind nur einer von vielen Beweisen.
Darüber hinaus belegt die Umfrage auch eine erschreckende Realitäts-Resistenz, wohl auch in Folge sehr tendenziöser Berichterstattung: zu sehen bei der Frage nach Sorgen wegen des „Flüchtlingszuzugs”. Dass 44 Prozent nicht glauben, dass er zu einem wachsenden Einfluss des Islams führt und 72 Prozent ihn nicht als Grund für einen Anstieg der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sehen, ist zwar erstaunlich, aber kann durchaus rational erklärt werden. Dass der massive Zuzug allerdings zu mehr Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt führen wird – das wirkt unwiderlegbar. 51 Prozent der Deutschen sehen das aber nicht so, wenn man dem dem ARD-Deutschlandtrend Glauben schenkt. Eine Frage nach Sorgen in Sachen Kriminalität ist in dem Schaubild auf der tagesschau-Seite erst gar nicht zu finden. Was angesichts der (Nicht-)Berichterstattung zu dem Thema auch nicht wirklich verwundert.
Screenshot: Tagesschau.de
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