Tichys Einblick
Frontbericht aus Charlottengrad

„De deutsch sprache ist e engeheuer“ – Neudeutsch für alle

Der Deutsch-Iraker Abbas Khider fordert in seinem Bestseller ein radikale Vereinfachung der deutschen Sprache – bis hin zur Aufnahme arabischer Elemente. Viele deutsche Medien zeigen sich angetan, manche nehmen das Werk ernst. Bei anderen Migranten löst das Kopfschütteln aus – hier eine ironische Gegen-Offensive.

imago images / Manfred Segerer

„Ich möchte das Beschwerdebuch!“ – dieser alte Satz aus ihrer Kindheit in der Sowjetunion entfuhr Lena wie ein Stoßseufzer, als sie von Abbas Khider las und seinem Bestseller „Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch“. Zuerst war Lena, die vor sieben Jahren aus Moskau nach Charlottengrad – bürgerlich Berlin-Charlottenburg – zog, noch felsenfest überzeugt, es müsse ein Witz des Deutsch-Irakers sein, der nach eigenen Aussagen wegen „der alltäglichen Polizeikontrollen“ aus Bayern nach Berlin gezogen, wenn nicht gar geflohen ist. „Natürlich war es ironisch gemeint, auch wenn in jedem Witz ein Funke Wahrheit steckt, aber erschreckend finde ich die begeisterten Reaktionen in deutschen Medien, und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele das Buch recht ernst nehmen“, klagt die Russin mit jüdischen und ukrainischen Vorfahren.

Sie komme sich jetzt für dumm verkauft vor, klagt sie: „Viele Jahre habe ich intensiv Deutsch gelernt, schon vor der Ausreise, ich habe gebüffelt wie verrückt, und dann das“, sagt sie mit gespielter Empörung: „Da kommen andere und sagen, die deutsche Sprache ist zu schwer für Ausländer, ihr habt sie gefälligst zu ändern – und dafür gibt es dann verzückten Applaus. Ich komme mir vor wie eine Idiotin“. Augenzwinkernd fügt sie hinzu: „Ich überlege mir, ob ich mich jetzt an die Diskriminierungsbeauftragte wende, als Frau, mit Migrationshintergrund, und jüdischen Vorfahren. Ich will die ins Deutsch-Lernen investierte Zeit zurück!“

Dabei hat sich Lena auch ohne das neue Werk nach ihrem Umzug nach Berlin 2012 schon oft gefragt, ob es wirklich Sinn machte, die Sprache ihrer neuen Heimat so fleißig und gut zu lernen: „Hier in Charlottenburg braucht man eigentlich kaum Deutsch, vom Arzt über das Restaurant bis hin zum Einkaufen und Paketversand, alles kann man auf Russisch erledigen, viele von meinen neuen Freunden, die erst später hierher zogen, können so gut wie kein Deutsch, und sehen auch keinen richtigen Grund, es zu lernen. Manchmal denke ich mir, türkisch oder arabisch würden mehr Sinn machen“. Eine russische Freundin habe ihren Sohn in einen deutschen Kindergarten geschickt, erzählt die jung gebliebene Frau in den besten Jahren: „Deutsch spricht er bis heute kaum, dafür etwas arabisch“.

„De deutsch sprache ist e engeheuer“ (die deutsche Sprache ist ein Ungeheuer), schreibt der Deutsch-Iraker Khider in dem Werk in seinem „Neudeutsch“, wie er seine neue Sprache nennt (der Ähnlichkeit mit George Orwells Horrorversion vom „Neusprech“ offenbar nicht gewahrt oder gezielt damit kokettierend). „Goethe und Schiller drehen sich da doch im Grab um“, klagt Lena, die gelernte Lehrerin, die Ausländer in Deutsch unterrichtet.

Khider sagt weiter, er sehe Handlungsbedarf. Dazu Lena: „Ich auch, aber bei Khider. Der soll sich mal auf den Hintern setzen und lernen, so wie ich es getan habe!“

Khider fordert: „Die Umlaute müssen weg.“ Lena fordert: „Khider soll sie lernen“.

Von 200 Präpositionen im Deutschen lässt Khider nur 50 gelten, anstatt zu deklinieren sollen Töne variiert werden, wie im Arabischen. Lena schüttelt den Kopf: „Was ist dann der nächste Schritt? Dass nur noch gesungen statt gesprochen werden darf? Und wer kontrolliert, dass die 150 gestrichenen Präpositionen nicht mehr verwendet werden? Brauchen wir eine Sprachpolizei?“

Khider beklagt, wie schwer es ihm fällt, Worte wie „Mönch“ auszusprechen. Lena antwortet: „Mir fällt auch die Aussprache von vielen Worten schwer. Im Deutschen, im Englischen, im Polnischen, manchmal sogar im Ukrainischen und Russischen, vor allem, wenn ich etwas getrunken habe. Mir fällt vieles schwer im Leben. Auch putzen und bügeln. Aber das Leben ist kein All-Inclusive-Hotel. Und Fremdsprachen keine Belustigungsveranstaltung.“

Den Ansatz von Bestseller-Autor Abbas Khider stößt nicht nur bei Lena auf Ablehnung: „Ich habe mit vielen russischen und ukrainischen Freunden darüber gesprochen, auch mit meinen Deutsch-Schülern, die Reaktionen sind die gleichen, alle schütteln nur den Kopf und sagen – selbst als Witz ist das in dieser Form nicht komisch.“

Eine Russin schrieb Lena: „Ich bin für Hochdeutsch. In ein fremdes Kloster geht man nicht mit seiner eigenen Klosterordnung“. Eine andere Reaktion: „Die sind völlig durchgedreht. Armes, altes Europa“. Oder: „Zur Verteidigung der deutschen Sprache sage ich – wenn sie für jemand zu schwer ist zum Erlernen, soll er nach Hause fahren und dort in seiner leichten Sprache sprechen. Das mag jetzt grob klingen, dafür ist es ehrlich. Sonst müsste man doch alle Sprachen vereinfachen“.

Wobei Lena – selbst dem legendären jüdischen Witz ihrer Vorfahren alles andere als abgeneigt – immer wieder betont, dass sie das Buch selbst durchaus als Satire durchgehen lässt (Zitat: „Auch wenn ich selbst diese Art von Satire, also das Lustigmachen über die Sprache, meinem Gastland gegenüber als anmaßend werten würde, aber da hat jeder andere Maßstäbe“). Wirklich schlimm findet Lena die Reaktion von vielen Deutschen, vor allem in den Medien: „Da überschlagen sich viele vor Begeisterung. Das hat fast was Masochistisches.“ Man habe fast den Eindruck, mancher deutsche Journalist freue sich klammheimlich, unterbewusst, jetzt noch einen neuen Beleg dafür gefunden zu haben, dass seine Landsleute per se böse seien und rund um die Uhr arme Muslime zu diskriminieren, sagt Lena schmunzelnd: „Nichts ist denen zu heilig, nicht mal die Sprache, um armen Muslimen das Leben schwer zu machen! Achtung, das war Ironie, ich füge das jetzt sicherheitshalber hinzu! Was Khider darf, werde ich doch auch noch dürfen, oder?“

Und sofort lässt Lena eine Warnung folgen: „Nachdem ich in sieben Jahren Deutschland hautnah erlebt habe, wie vorauseilend unterwürfig Teile von Medien und Politik sind, mache ich mir ernste Sorgen, dass sie aus Angst, irgend jemand zu diskriminieren, ihre eigene Sprache nach der Genderisierung noch weiter deformieren, ja gar kastrieren – wenn sich Migranten durch ihre Grammatik benachteiligt fühlen.“ Sie untermalt ihre Worte mit einem Augenzwinkern und Lippenspitzen, so das – wie bei Khider in seinem Buch – unklar bleibt, wie hoch der Anteil an Ernst und Ironie ist.

Betont unironisch fügt Lena dann hinzu: „Dass inzwischen an den Grundschulen ,schreiben nach hören´ immer weiter verbreitet wird und beim letzten bundesweiten VERA-Vergleichstest in Berlin 2018 die Hälfte der Drittklässler nicht mal die Minimalforderungen im Bereich Rechtschreibung erreichten, bestätigt leider meine Befürchtungen. Und statt besser zu lehren und zu lernen werden die Anforderungen immer weiter heruntergeschraubt. Eine Verkümmerung der Sprache wie sie Khider vorschlägt bekommen wir deshalb langsam auch ohne sein Buch!“

Kann man Lenas Warnungen so leicht von der Hand weisen, wenn man etwa liest, wie ernst selbst der früher mal konservative Bayerische Rundfunk (BR) in einer Buchbesprechung Khiders Werk nimmt und darüber regelrecht ins Frohlocken kommt: „Dieses vergnügliche Lehrbuch ist ein Angriff auf die ,Leitkultur´ und erst recht auf alle nationalistischen Phrasen.“ Der Deutschlandfunk Kultur betrachtet das Buch als „Liebeserklärung an die deutsche Sprache.“ In dem BR-Beitrag berichtet Khider von Ängsten, „Rechtsradikale“ würden ihn „wegen des Buches beschimpfen und bedrohen“. Und weiter: „Ich habe manchmal tatsächlich den Eindruck, vielleicht habe ich dieses Buch geschrieben, um solche Menschen zu ärgern“.

Lena, deren beide jüdische Großväter ihr Land gegen den Überfall Hitlers verteidigt hatten, ärgern solche Aussagen: „Ich liebe die deutsche Sprache auch, und ich ärgere mich auch, wenn man so mit ihr umgeht. Bin ich jetzt nach Khiders Logik auch Rechtsradikale? Jüdischer Nazi gar?“ Sie schüttelt den Kopf, und auf einmal verschwindet das breite Dauerlächeln von ihren Lippen: „Die Entwicklung hierzulande macht mir immer öfter Angst. Vor allem als Jüdin.“

Khider klagt in dem Buch: „In der deutschen Sprache gibt es Deklination und Verbflektion zugleich. Das heißt, ein deutscher Satz wird geknetet, geboxt – und geballert. Bis man einen deutschen Satz aussprechen kann, dafür braucht man drei Jahre!“ Lena sagt: „Ich brauchte viel weniger, aber jeder hat sein eigenes Tempo. Sollten wir jetzt vielleicht auch die Schach- oder Fußball-Regeln völlig umschreiben, weil beides so schwer zu spielen ist? Die Schachfiguren zum schmeißen verwenden statt zu ziehen? Und im Fußball jedem Spieler einen eigenen Ball geben, damit keiner diskriminiert wird? Oder das Medizinstudium so vereinfachen, dass es auch für minder talentierte und Analphabeten machbar ist?“

„Khider macht in „Deutsch für alle“ Verbesserungsvorschläge, um in drei Wochen kommunizieren zu können“, heißt es im Deutschlandfunk: „Denn: ,Es gibt Menschen, die gezwungen sind, irgendwo in der Fremde zu leben, und dann müssen sie auch mit den Menschen kommunizieren. Ohne Sprachkenntnisse verpasst man das Leben, die Kultur und Mitmenschen.´ Dazu Lena: „Das ist eine Absage an Kultur und Zivilisation. Dann müssten alle Sprachen so weit vereinfacht werden, dass sie irgendwann in letzter Instanz zu einer Art von Grunzen degradieren“.

Abseits der Details erschreckt Lena vor allem eins: „Bei uns in Russland waren es die Kommunisten, die unsere Sprache von oben herab, per Dekret, regeln wollten. De facto haben sie sie vergewaltigt. Wenn ich mir jetzt diese Genderisierung ansehe, wenn jetzt noch solche Forderungen nach weiteren Eingriffen in die Sprache aufkommen, und viele das wohlwollend aufnehmen, ist das für mich ein Deja-Vu und macht mir große Angst. Noch vor fünf Jahren hätte ich über ein Buch wie das von Khider nur gelacht – aber inzwischen tue ich mir in Deutschland immer öfter schwer, in den Nachrichten Realität und Satire zu unterscheiden. So leid es mir tut, ich traue der deutschen Politik inzwischen viel Irrsinn zu. Und viel Sozialismus. Von dem habe ich lange genug gelitten! Ich will den nie mehr. Auch nicht in der Sprache.“


In seiner Kolumne «Berlin extrem – Frontberichte aus Charlottengrad» lüftet Boris Reitschuster ironisch den Blick hinter die Kulissen der russisch-ukrainischen Diaspora an der Spree, deren Außeneinsichten oft ungewöhnliche Perspektiven eröffnen. Darüber hinaus spießt der Autor den Alltags-Wahnsinn in der Hauptstadt auf – ebenso wie die Absurditäten in der Parallelwelt des Berliner Politikbetriebs und deren Auswirkungen auf den bodenhaftenden Rest der Republik. Weitere Beiträge aus der Kolumne finden sie hier. Sie können dem Autor auch auf twitter oder facebook folgen.

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