Wie brechen autoritäre oder erstarrte Systeme zusammen? Die Geschichte zeigt: Eine der tieferen Ursache ist meistens eine Abgehobenheit der Herrschaften (m/w/d) in den oberen Etagen. Je strammer die Hierarchien, je strenger die ideologische Auslese und je allgegenwärtiger die Bauchpinseler, umso mehr entfremden sich die Menschen an der Spitze mangels Rückkoppelung von der Wirklichkeit, leben in einer eigenen Welt. Der Elfenbeinturm-Effekt. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern scheint er weit fortgeschritten.
Kürzlich saß ich mit drei Urgesteinen aus solchen Anstalten im feinen Wilmersdorf in Berlin zum Abendessen zusammen – altgediente Schwergewichte mit so großem Bekanntheitsgrat, dass an den Nachbartischen manches Gespräch verstummte, weil man uns zuhörte.
Das Fazit der öffentlich-rechtlichen Troika: „Wir erreichen die jungen Menschen nicht mehr. Das ist ein Tsunami, der da auf unsere Sender zuläuft, das droht uns alle wegzufegen“. Die Sender-Oberen, so der Tenor, wollten die Entwicklung nicht wahrhaben. Generell herrsche bei ihnen die Tendenz, sich in den bestens gepolsterten Chefetagen von den Unannehmlichkeiten der Realität unten im Alltag abzuschotten – so sehen das zumindest zwei der drei altgedienten TV-Männer (wobei der dritte auch nicht widersprach, aber das mag an der Gruppendynamik liegen).
Wenige Tage nach diesem Gespräch flatterte mir die Zeitschrift „Journalist“ ins Haus. Ein Medienmagazin, dessen Zwangsabonnent ich als Mitglied des „Deutschen Journalisten-Verbandes“ (DJV) bin. Die Lektüre erfordert einiges an Toleranz – ist die Ausrichtung des Heftes doch tendenziell stramm links.
Auf dem Titel: Der Intendant des Bayerischen Rundfunks und ARD-Chef Ulrich Wilhelm – vormals Regierungssprecher von Angela Merkel (allein die Tatsache, dass der frühere Sprecher der Kanzlerin Vorsitzender des größten öffentlich-rechtlichen Sender-Zusammenschlusses ist, besagt einiges über den Zustand von Demokratie und Journalismus im Lande). Als Überschrift prangt auf dem Heft ein Zitat des mächtigen Senderchefs mit dem Hollywood-Charme: „Es gibt da keinen Generationsabriss“. Und weiter: „ARD-Vorsitzender Ulrich Wilhelm widerspricht dem Eindruck, die ARD erreiche die jungen Menschen nicht mehr.“
Das saß.
Wenn ich den „Journalist“ in die Hand nehme, bin ich schweren Tobak gewöhnt. Der Tenor der Zeitschrift Monat für Monat ließe sich polemisch überspitzt so zusammenfassen: „Wir haben den besten Journalismus aller Zeiten, nur leider auch die blödesten Leser, die nicht schätzen, wie toll wir für sie arbeiten und ihnen die richtige Haltung beibringen“.
Aber zugegeben – ich bin nicht ganz objektiv. Stehe ich mit dem Heft doch innerlich auf Kriegsfuß, seit die Macher dort ihren Fragebogen, den sie immer auf der letzten Seite abdruckten, an Roland Tichy schickten – den Herausgeber und Gründer von Tichys Einblick. Die Fragen waren derart manipulativ und aggressiv, dass ich mich fremdschämte. Tichy selbst hatte sie deshalb nicht beantwortet – und so wurden sie ohne Antworten abgedruckt.
Beim Lesen fühlte ich mich an die Propaganda aus finsteren Zeiten erinnert.
Beispiel:
„Bitte beginnen Sie diesen Satz
….und deshalb haben wir es ,liberal-konservatives Meinungsmagazin´ genannt und nicht ,Das Blatt für einen Nationalsozialismus mit menschlichem Antlitz´.
Übelste Verunglimpfung und billige Stimmungsmache statt Journalismus – und das im Branchenheft des Journalistenverbandes.
Verärgert bin ich indes, dass der Verband kaum noch zu versuchen scheint, dem auf seiner Homepage gesteckten Anspruch selbst gerecht zu werden. Dort heißt es: „Der DJV vertritt die berufs- und medienpolitischen Ziele und Forderungen der hauptberuflichen Journalistinnen und Journalisten aller Medien. Er ist politisch wie finanziell unabhängig und handelt ohne sachfremde Rücksichtnahmen. Der DJV achtet und fördert die publizistische Unabhängigkeit seiner Mitglieder“.
Demnach sollte der DJV etwa auch Journalisten vor Diffamierung schützen. Stattdessen betreibt er diese Diffamierung selbst auf seiner Internetseite. „In Zeiten von Populismus und AfD haben die Tichys Hochkonjunktur“, hieß es etwa in einem Blog auf der Seite des DJV. Tichy reize „die Meinungsfreiheit nach Ansicht seiner Kritiker bis über die Grenzen des Erlaubten aus“ – als ob in Deutschland nicht (Grund-)Gesetz und Gerichte die Grenzen des Erlaubten feststellen würde, sondern Journalistenverbände. In dem gleichen Blogbeitrag vom Juli 2018 ist auch zu lesen, Tichy würde „immer weiter in Richtung Rechtspopulismus“ driften. Subjektiv mögen sich die Verbandsfunktionäre damit durchaus im Recht fühlen – aus ihrer vorwiegend sehr linken Haltung fühlt sich die Mitte wohl als „rechtspopulistisch“ an – genauso wie bei den Autoren der kürzlich veröffentlichten Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung.
Als die Zeit-Korrespondentin Mariam Lau sich in einem Pro-und-Contra-Beitrag mit dem Titel „Oder soll man es besser lassen?“ kritisch mit den negativen Folgen der privaten Seenotrettung auseinandersetzte, und sich nach einem darauf folgenden Shitstorm die Chefredaktion verdruckst vor den Lesern für die inkorrekte Meinung entschuldigte, statt Lau zu unterstützten, lobte der DJV die ZEIT-Chefetage auf twitter dafür den Tritt gegen die eigene Redakteurin: „Überzeugende Erklärung und Entschuldigung von Die ZEIT-Chefredaktion“.
Im Januar 2016 startete der DJV den Blog „Augenzeugen.info“ zu politischer Gewalt gegen Journalisten. Während dort von Übergriffen auf rechtsradikalen Demos die Rede war, ließ sich nichts von Angriffen durch Linksradikale oder Übergriffe durch Islamisten finden, wie Ben Krischke schrieb: „Wer die Beschreibung des Blogs las, konnte meinen, Gewalt gegen Journalisten gäbe es ausschließlich von Rechtsradikalen, was selbstredend grober Unsinn ist.“ Krischkes Fazit: „Der Verband fällt immer wieder mit einer politischen Einseitigkeit auf, die an die einschlägigen linken Gewerkschaften erinnert. Anstatt die Interessen aller Journalisten zu vertreten, verfolgt der DJV dabei eine klare politische Agenda.“
Auch während der Hetzjagd-Debatte um Chemnitz fasste der Journalistenverband seinen Aufgabenbereich sehr weit auf – er kritisierte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen für seine Äußerungen zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen und dafür, dass er Zweifel an der Aussage von Journalisten geübt habe. So erklärte er unseren Berufsstand also als die letzte Wahrheits-Instanz und Zweifel daran als verwerflich.
Wie weit der DJV von politischer Neutralität entfernt ist und wie stark sein Kompass in eine Richtung verstellt ist, zeigen Schlagzeilen auf der DJV-Internetseite wie diese: „Eine umfassende Untersuchung zeigt – wenig überraschend-, dass rechte Themen den Diskurs im Netz dominieren. Journalisten müssen diese Verzerrung verinnerlichen.“ Zuweilen scheinen die Grenzen zwischen dem Berufsverband und einer der zahlreichen „Initiativen gegen rechts“ fließend.
So forderte der DJV-Vorsitzende Frank Überall öffentlich die Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz. Der Verband machte auch von sich reden mit der Absichtserklärung, er wolle keine AfD-Mitglieder mehr in seinen Reihen dulden. Das wurde nach massiver Kritik zwar abgemildert dahingehend, dass der DJV nun „alle Formen von politischem Extremismus gleich welcher Ausrichtung strikt ablehnt“. Aber es ist nichts bekannt von ähnlich rigiden Vorbehalten gegenüber der „Linken“, die laut eidesstattlicher Erklärung ihres Bundesschatzmeisters rechtsidentisch ist mit der unter Stalins Ägide gegründeten Diktatur-Partei SED und sich nie glaubwürdig von ihrer DDR-Vergangenheit distanzierte.
Alexander Fritsch, 52, der bei der Wahl zum DJV-Vorsitzenden 2015 knapp unterlag, schrieb dazu im Oktober 2018 auf Tichys Einblick: „Bei den Debatten, die meine Selbstbeherrschung mittlerweile arg strapazieren, geht es eigentlich immer um dieselbe Sache: den „Umgang mit Rechts“ von Journalisten. Dabei erlebe ich, dass meine Zunft – mindestens teilweise, in meiner Wahrnehmung tatsächlich überwiegend – Grundsätze über Bord wirft, die unseren Beruf ausmachen.“
Fritsch zitiert als Beispiel dafür, wie Journalisten in Bezug auf alles auf der rechten Seite ticken, aus einem Facebook-Thread mit DJV-Kollegen zur Bayern-Wahl 2017:
„Jeder 10. Wähler ist ein AfD-Nazi.“
„Und hört mir bloß auf, von Enttäuschten zu sprechen, wer eine solch radikale Partei wählt, der macht das nicht aus Enttäuschung, sondern weil er die bewusst wählt. Von daher, 11 Prozent Rechtsradikale in Bayern.“
Hinter der Ausgrenzung könne, so vermutete Fritsch, stecken, dass man beim DJV „tatsächlich verhindern möchte, sich in absehbarer Zukunft verbandsintern mit unliebsamen Ansichten und Argumenten ernsthafter als bisher auseinandersetzen zu müssen.“
So massiv der Verband Journalisten mit „falschen Ansichten“ attackiert, so zahm ist er gegenüber denjenigen, die die richtige Haltung mitbringen. Das Interview mit dem ARD-Chef im „Journalist“ ist ein Musterbeispiel für Wohlfühl-Journalismus. Allenfalls mäßig kritische Stichworte, kein Auf-den-Zahn-Fühlen. Streicheln statt Boxen.
Mit Fragen wie dieser: „Was macht der Bayerische Rundfunk besser als andere Anstalten? Woran können sich die anderen ein Beispiel nehmen?“
Antwort Wilhelm: „Jeder macht etwas gut in der Gemeinschaft“.
Nachfrage: „Aber Sie machen doch irgend etwas besser?“
Als Wilhelm etwa von der Abstimmung zum öffentlichen Rundfunk in der Schweiz berichtet, die zu dessen Gunsten ausfiel, fragt der Autor: „Bräuchten wir so eine Abstimmung nicht auch in Deutschland, damit die Menschen Position beziehen und die Fans der ARD lauter werden?“
Keine einzige Frage dagegen zu den Vorwürfen politischer Einseitigkeit, Abgehobenheit vom Zuschauer, oder zu dem Skandal um das Framing-Manual der ARD. Wirklich heikle Themen werden weiträumig umschifft – im Blatt des Journalisten-Berufsverbands. Nicht einmal der Name des Autors und Fragestellers ist richtig geschrieben – aus Hans Hoff wurde Han Hoff. Ein Flüchtigkeitsfehler. Aber auch ein Schutz gegen schnelles googeln. Denn tut man das, liest man bei Wikipedia, dass der Autor „für das WDR-5-Magazin Politikum regelmäßig Medienkolumnen spricht“. Der WDR ist Teil der ARD. Würden die Wikipedia-Angaben zutreffen, würde der Fragesteller für eine Anstalt arbeiten, deren Verbund der Befragte leitet. Aufgrund der Unzuverlässigkeit von Wikipedia und mangels anderweitiger Bestätigungen muss hier aber sowohl für Hans Hoff als auch den DJV die journalistische Unschuldsvermutung gelten.
Beim Lesen des Interviews (zu finden hier) musste ich immer wieder den Kopf schütteln. Das, was Wilhelm erzählt, und was mir die TV-Kollegen zuvor beim Abendessen berichtet hatten, klang, als stamme es aus zwei Parallel-Universen. Ach, hätte ich doch nur die Klagen der drei als Interviewfragen an Wilhelm weiterleiten können. Ich hätte ihn dann etwa konfrontiert mit deren Aussage, dass in den meisten Redaktionen eine stramme linke Haltung vorherrsche. Wobei hier noch anzumerken sei, dass die drei sich durchaus selbst als links sehen – aber aus ihrer Perspektive die Redaktionen eben noch deutlicher links bzw. zu links sind. Zitat: „Jeder weiß, wenn er von der vorherrschenden Linie abweicht, wirkt sich das eklatant bei den Karrierechancen aus. Und im sozialen Umgang. Schon in den Vorstellungsgesprächen würde aussortiert, wer mit seinen Aussagen nicht zum Weltbild der Chefs passt.“
Eine Folge dieser Homogenität ist wohl auch die Illusion von Meinungsvielfalt: Mehrmals habe ich jüngere Journalisten vom öffentlich-rechtlichen getroffen, die überzeugt und aufrichtig beteuerten, es herrsche völlige Pluralität und Meinungsfreiheit in ihren Redaktionen – schließlich könnten sie ja sagen, was sie wollten. Können sie sicher auch – weil ihre Grundüberzeugung eben zu der dort vorherrschenden passt. Wie wäre es aber, wenn sie Anhänger der AfD wären? Oder auch nur der CSU? Wenn sie skeptisch in Sachen Einwanderung wären oder massive Probleme mit dem Islam hätten? Würden sie das dann auch frei sagen können, ohne Sorge um die Karriere? Die Antwort ist immer ein „theoretisch ja, natürlich“. Blöd ist nur, dass es praktisch in den Programmen genau umgekehrt aussieht.
Einen möglichen Ausweg aus der Blase habe ich vor kurzem auf twitter skizziert – ironisch gemeint, aber leider gar nicht so abwegig:
Ein ARD-Kollege antwortete:
Das ist ziemlich wortkarg. Ich kann den Gegenbeweis nicht antreten, und der Kollege mag Recht haben. Aber selbst wenn es solche „Rechte“ in den Redaktionen gibt – ob sie sich wirklich trauen, sich zu Wort zu melden? Auf dem Bildschirm jedenfalls offensichtlich kaum.
In einem waren sich die drei TV-Männer bei dem Abendessen einig: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei eigentlich ein sehr gutes System – nur habe er sich stark verkrustet, sei mit den Jahrzehnten zum Opfer von Bürokratie und Hierarchie geworden. Eine der Folgen sei die Quotenhörigkeit.
Statt auf journalistische Schwerpunkte werde immer mehr auf Sport und Unterhaltung gesetzt – obwohl das mit der Idee der Gebührenfinanzierung kaum vereinbar sei. Teilweise werden die Anstalten im Kasernenhofstil geführt – es werde stramm von oben durchkommandiert, was dem Entstehen von kritischem Journalismus mit Querdenken und Hinterfragen nicht unbedingt dienlich ist.
Zweifel herrschte in der Runde auch darüber, ob von den Sendern selbst in Auftrag gegebene Umfragen, in denen sie sich quasi ein hohes Vertrauen zu ihnen selbst bestätigen lassen, allzu ernst zu nehmen sind – oder ob es sich um ebenso teuren wie gefährlichen Selbstbetrug handelt.
Hätte man noch Hoffnung, dass die Männer und Frauen an der Spitze der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf Stimmen von außen hörten, müsste man ihnen den berühmten Satz von Michail Gorbatschow zurufen: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Vielleich ist es schon zu spät.
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In seiner Kolumne «Berlin extrem – Frontberichte aus Charlottengrad» lüftet Boris Reitschuster ironisch den Blick hinter die Kulissen der russisch-ukrainisch-jüdischen Diaspora an der Spree, deren Außeneinsichten oft ungewöhnliche Perspektiven eröffnen. Darüber hinaus spießt der Autor den Alltags-Wahnsinn in der Hauptstadt auf – ebenso wie die Absurditäten in der Parallelwelt des Berliner Politikbetriebs und deren Auswirkungen auf den bodenhaftenden Rest der Republik. Weitere Beiträge aus der Kolumne finden sie hier.