Der grüne Baustadtrat im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (44) will dafür sorgen, dass die Welt besser wird. Zumindest in seinem Kiez. Zu einer besseren Welt gehört es für ihn, dass mehr Leute mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren und auf das Auto verzichten. Bis hierhin kann man dem gebürtigen Kölner Schmidt logiktechnisch noch folgen.
Und man würde erwarten, dass sich der studierte Soziologe jetzt dafür einsetzt, dass die chronisch überforderten Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) endlich kundenfreundlicher werden. Bisher veräppelt die „Anstalt des öffentlichen Rechts“ ihre Kunden nämlich eher, etwa mit Werbespots, in denen die BVG zeigt, wie sie die Verspätungen plant die Ansagen absichtlich so nuschelig machen, dass sie nicht mehr zu verstehen sind, die Fahrer „beim Brems-Bowling“ üben lässt, wie man möglichst viele Fahrgäste umkegelt und die Mitarbeiter einstudieren lässt, wie man die Türen direkt vor der Nase des Kunden schließt. Kurzum – was den Fahrgästen gewaltig auf die Nerven geht, wird einfach zu Humor umdefiniert. (Video hier)
Im funktionierenden Teil Deutschlands mag man über solche vermeintliche Ironie lächeln – als Kunde der BVG eher nicht. Deren Motto aus einem anderen Werbesong „Ist mir egal“ (Video hier) scheint ihre Arbeitsauffassung wiederzuspiegeln, und das zweite Motto – „weil wir Dich lieben“ wirkt so glaubwürdig wie das „D“ für Demokratie in der „DDR“. Die Liebeserklärung klingt wie Hohn, etwa für die vielen Bürger, die sich bei einem der zahlreichen BVG-Streiks ohne Ersatzverkehr kürzlich vom Flughafen Tegel mit ihren Koffern kilometerweit bis zum nächsten S-Bahn-Halt durchkämpfen mussten – denn die Bahn fuhr noch.
Kürzlich wurde ich in der U-Bahn kontrolliert von jungen Männern, die ein Outfit und Auftreten hatten, wie man es aus US-Fernsehsehserien von kriminellen Jugendbands kennt: Jede Menge Testosteron und Aggression, und Gossensprache. Als ich mein Handy hochhielt, schrie mich einer an und stürzte sich einer um ein Haar auf mich, um es mir aus der Hand zu reißen: „Nix fotografieren hier! Gib her, löschen!“ Mein Hinweis, dass wir noch in einem Rechtsstaat leben und nicht in der DDR, führte dazu, dass die Mitfahrer in der gut gefüllten U-Bahn alle wegsahen und kollektiv schwiegen. Erst als ich weiter auf mein Recht pochte, zog einer der Mitkontrolleure seinen Kumpel weg: „Lass, Alter!“
Es gäbe also viel zu tun für den linken Baustadtrat Schmidt, um die Leute zum Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr zu bewegen – man könnte versuchen, die BVG, ein öffentlich-rechtliches Unternehmen, wieder kundenfreundlich zu machen. Denn so richtig Freude macht der Betrieb im Moment wohl nur seinem Vorstand, der sich fürstliche Gehälter genehmigt (BVG-Chefin Sigrid Nikutta kam 2017 auf 496.900 Euro im Jahr, Finanzvorstand Henrik Haenecke auf 332.700 und Personalvorstand Dirk Schulte auf 367.200 Euro, zuzüglich 1,179 Millionen Euro für ausgeschiedenes Führungspersonal im Jahr 2017; dazu kommen 14,868 Millionen Rückstellungen für Pensionen für dieselben).
Neu-Berliner und Gäste der Hauptstadt wundern sich immer wieder, wie stoisch Alteingesessene und vor langem Zugereiste das Chaos und die Unfreundlichkeit bei der BVG ertragen. Sogar von Masochismus ist bei Spöttern die Rede, und vom ÖPNV-Stockholm-Syndrom. Auch der grüne Baustadtrat scheint sich an den Widrigkeiten des ÖPNV-Alltags in Berlin nicht zu stoßen: Er besitzt kein Auto und fährt mit den Öffentlichen zur Arbeit.
Jetzt hatte er ein Erweckungserlebnis: Ausnahmsweise nahm er einen Mietwagen auf dem Weg zum Regieren ins Kreuzberger Rathaus. Dabei muss eine Welt für ihn zusammengebrochen sein. „Was Schmidt dabei erlebte, fand er erschreckend“, berichtet der Berliner Kurier: „Plötzlich war ich doppelt so schnell im Büro wie sonst mit öffentlichen Verkehrsmitteln.“ Und das, so Schmidt, dürfe ja wohl nicht wahr sein: „Was ist denn das für eine Verkehrsplanung, wo ich innerhalb der Stadt, um neun Uhr morgens, doppelt so schnell mit dem Auto bin? Da läuft was falsch.“
Nun könnte man hämisch anmerken, dass es offenbar nicht ins Weltbild eines Grünen in Berlin passt, wenn irgend etwas gut oder gar reibungslos funktioniert. Würde man als normale Reaktion doch eher annehmen, dass sich jemand, der auch in Regierungsverantwortung für den Verkehr zuständig ist, darüber freut, dass in seinem Aufgabengebiet zumindest irgend etwas funktioniert. Viel Grund zu solcher Freude hat man als Regierender in Berlin ja leider nicht.
Ich habe versucht, nicht-deutschen Freunden zu erklären, dass es ein Politiker in Regierungsverantwortung erschreckend findet, wenn etwas funktioniert, wofür er verantwortlich ist! Sie sahen mich so an, dass ich fürchtete, sie würden gleich den Notruf betätigen und einen Psychiater anfordern.
Aber es kommt noch dicker. Schmidt fordert jetzt, den funktionierenden Verkehr zu einem nicht mehr funktionierenden zu machen. Das Autofahren müsse künstlich verlangsamt werden, fordert der Soziologe und „Bezirks-Minister“. Seine ersten Ideen: Autofahrer ausbremsen und gängeln. Und weitere Schikanen: Hohe Parkgebühren und Maut, auch innerhalb der City, quasi eine Eintrittskarte fürs Auto. Am wirksamsten sei es, „das individuelle Autofahren unbequem zu machen, so hart das klingt.“ Wer sein eigenes Auto behalten wolle, müsse es dann eben “ein Stück vor der Stadt“ abstellen und dann zum eigenen Auto pendeln mit Bus oder Bahn.
Eine Logik wie aus dem Tollhaus. Man kann sich nun trösten, dass Schmidt sein Erweckungserlebnis mit dem Autoverkehr hatte und nicht etwa eine Brille. Wäre er sein ganzes Leben lang kurzsichtig gewesen und hätte dann plötzlich die passende Brille eines Freundes aufgesetzt, wäre nach seinem Denkmuster der nötige Schritt gewesen, Brillen zu demolieren oder sie unbrauchbar zu machen. Motto: Nur noch die halbe Fehlsichtigkeit darf ausgeglichen werden.
Schmidts Logik reizt zu absurden Gedankenspielen: Man könnte dann auch, wenn etwa städtische Krankenhäuser nicht mehr gut funktionieren, die privaten dazu zwingen, ebenfalls ihre Patienten schlecht zu behandeln. Oder man könnte, weil Mieten für heruntergekommene Wohnungen billiger sind als für Neubauten, diese zwangsweise demolieren, damit auch dort die Mieten sinken. Wie wäre es mit einem neuen Gesetz, zumindest in Kreuzberg, dass Fleisch- und Fisch-Gerichte zwangsweise etwas vergammelt verkauft und serviert werden müssen – damit mehr Menschen auf vegetarisches Essen umsteigen? Auch das Heiratsalter könnte man auf 50 Jahre heraufsetzen, oder ein Verschleierungs-Gebot erlassen, damit ältere Frauen nicht dadurch diskriminiert werden, dass Männer jüngere bevorzugen. Oder man könnte die Straßen mit riesigen Felsbrocken blockieren – das, wogegen in bergigen Gebieten die Rettungsdienste ankämpfen?
Stopp, stopp, hier holt die Realität die Ironie ein: In Schmidts Kiez und unter seiner Verantwortung wurde gerade die Bergmannstraße mit riesigen Felsbrocken blockiert. 2.175 Euro hätte das verkehrspolitische Experiment gekostet, verkündete der Soziologe stolz auf twitter. „Die Bergmannstraße war zuletzt immer wieder in den Schlagzeilen, nachdem die Verwaltung dort diverse Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung ausprobiert hatte“, meldet der RBB: So wurden mehrere Parklets als „Begegnungszonen“ auf die Fahrbahn gestellt und grüne Punkte in den Asphalt eingelassen.
Die „melonengelben Aufenthaltsmodule“ sollten das „verträgliche Miteinander Aller im Straßenverkehr fördern“. Es kam jedoch schnell zu heftigen Protesten von Anwohnern, von Auto- und Radfahrern. Sie sahen in den teuren Sitzgruppen eine Behinderung. Das Experiment wird nun vorzeitig beendet, so der RBB. Schmidt räumte laut RBB inzwischen Fehler bei der Umsetzung ein. „Es ist nicht gut gelaufen, wirklich.“
Die Kosten für das Projekt in der Bergmannstraße, das „nicht gut gelaufen“ ist und jetzt vorzeitig angebrochen werden wird: 1.121.753 Euro.
Aber der Länderfinanzausgleich wird es schon richten, und die Steuerzahler aus den anderen Bundesländern müssen ja die Zeche für die hochverschuldete Hauptstadt bezahlen und das Politik-Tollhaus jedes Jahr mit Milliarden vor der logischen Folge unverantwortlichen Geldausgebens – dem Bankrott – retten.
Und Baustadtrat Schmidt hat sich in Berlin sicher für höhere Ausgaben qualifiziert mit so viel strammer Ideologie und Geld-Verpulvern. Schade, dass der Posten des Kommissionspräsidenten der EU schon vergeben scheint …
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Lesen Sie auch Reitschusters Kolumne «Berlin extrem – Frontberichte aus Charlottengrad»: Darin lüftet der Autor ironisch den Blick hinter die Kulissen der russisch-ukrainisch-jüdischen Diaspora an der Spree, deren Außeneinsichten oft ungewöhnliche Perspektiven eröffnen. Darüber hinaus spießt der Autor den Alltags-Wahnsinn in der Hauptstadt auf – ebenso wie die Absurditäten in der Parallelwelt des Berliner Politikbetriebs und deren Auswirkungen auf den bodenhaftenden Rest der Republik. Alltagsgeschichten aus Moskau von ihm sind auch in Buchform erhältlich: „Russki extrem im Quadrat“.