Früher, in der bösen, reaktionären Zeit, war Deutschland zwar schon einmal bekannt für Erfindungen und Innovationen – aber vor allem aus so umweltschädlichen und kapitalistischen Bereichen wie Technik, Chemie und Physik. Jetzt, im besten Deutschland aller Zeiten, sind die Erfindungen aus dem Volk der „Dichter und Denker“ von ganz anderem Kaliber. Fortschrittlich. Moralisch. Gut. Vor allem die Hauptstadt Berlin ist ein Vorreiter bei Innovationen, auf die die Welt gewartet hat und mit Neid zu uns aufblickt.
Wieder gibt es eine Neuerung, die weltweit für Furore sorgen könnte. Ist es doch immer noch so, dass reaktionäre Staaten wie die USA, Großbritannien, Frankreich und viele andere rückständige staatliche Gebilde im Kampf gegen Drogen auf die Polizei und Justiz setzen – wenn man einmal von bescheidenen, fortschrittlichen Versuchen der Legalisierung absieht.
Polizei und Justiz, das klingt nach Handschellen und Gefängnis, das ist bedrohlich, und bedrohlich ist nicht gut, sondern böse. Aber Berlin will gut sein. Deshalb wollen die Grünen, die im besonders progressiven Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg regieren, jetzt auf ganz neue Art auf den dort seit vielen Jahren im Görlitzer Park weitgehend unbeeinträchtigt von bösen Polizisten und Behörden in erfreulicher multikultureller Vielfalt blühenden Drogenhandel reagieren: Mit, so wörtlich, «menschlicher Interaktion».
Was das konkret bedeutet, werden Sie nun sicher fragen, voller Vorfreude auf einen neuen Geistesblitz aus der Rubrik „Mad in Germany“ (früher stand hinter den ersten drei Buchstaben noch ein „e“, aber diese Zeiten sind längst überholt): Nein, damit ist kein „Ringelpiez mit Anfassen“ gemeint, wie jetzt Ewiggestrige und böse Rechte defätistisch anmerken könnten. Die Idee ist weit raffinierter. Konkret ist beabsichtigt, „an den Eingängen zum Görlitzer Park mobile Imbisswagen aufzustellen, an denen sich Parkbesucher Falafel, Kaffee und Eis kaufen können“, so berichtet der Berliner Kurier.
„Wir gestalten den Park für die Nutzer, Mütter mit Kindern, Familien, Spaziergänger, Menschen, die ihre Hunde ausführen“, sagte die Sprecherin des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg, Sara Lühmann. Ob die Mehrdeutigkeit des Wortes „Nutzer“ im Zusammenhang mit Berlin bekanntesten Drogenumschlagplatz ihr dabei bewusst war, sei dahingestellt. Multikulturell bedeutet eben auch multiple Sprache mit multiplen Interpretationsmöglichkeiten.
Vor Monaten hatte bereits ein Initative des örtlichen Parkmanagers über die Grenzen Deutschlands hinaus für Schlagzeilen gesorgt. Der Mann hatte mit rosa Farbe Stehplätze für Dealer markiert. Das erklärte Ziel: Die nicht auf Drogensuche kommenden Park-Besucher sollten weniger gestört werden und nicht mehr durch ein Spalier laufen müssen.
Diese Idee war dem grün regierten Bezirk dann aber doch zu suspekt, man erteilte ihr eine Absage. Vielleicht, weil eine Beschränkung auf Zonen zu viel Beschneidung der Individualität und Bewegungsfreiheit der Drogenhändler bedeutet hätte – jeder Mensch soll sich schließlich entfalten können, und viele der Männer haben ohnehin ein hartes Schicksal hinter sich und müssen besonders geschont werden (Imbissstände dagegen sind auch für Traumatisierte weitaus leichter zu verkraften). Vielleicht war auch die rosa Farbe als nicht gendergerecht Stein des Anstoßes. Zuzutrauen ist den stets das Gute anstrebenden grünen Bezirksregierenden alles, was man sich an fortschrittlichem und progressivem Gedankengut und Motiven vorstellen kann. Schließlich ist Deutschland nicht umsonst Moral-Weltmeister.
Warum auch immer – der gute Bezirk ließ jedenfalls verlautbaren, die Zonen seien obsolet – mit dem Hinweis, die „Bekämpfung der Kriminalität“ sei Aufgabe der Polizei. Aus dem politisch korrekten Deutsch in die einfache Sprache des Pöbels übersetzt, damit es sich auch rechte (igitt!) hinter ihre verdorbenen Ohren schreiben können: Da in Berlin schon die Polizei human ist und arme Drogenkriminelle nicht diskriminiert, warum sollte dann die Bezirksregierung derart reaktionär und gemein sein?
Und so kommt jetzt eben etwas neues, besonders Fortschrittliches – die «menschliche Interaktion» mit Drogenhändlern. Falafel fürs Canabis, Kaffee und Eis fürs Kokain, und auch Heroin flutscht mit Döner sicher besser. Mit der Gastronomie wolle man „die Dominanz der Dealer abschwächen“, meint Stadtrat Florian Schmidt von den Grünen. Übersetzt heißt das wohl: Die armen Männer sollen auch gepflegt speisen und abschalten können, denn es ist anstrengend, den ganzen Tag männliche Dominanz zu zeigen. Vielleicht kommen ja noch neue Ideen: Etwa Tanzen für Drogen? Oder – wie auf dem evangelischen Kirchentag – zur Entspannung Vulven malen?
In Schmidts Kiez und unter seiner Verantwortung wurde schon eine Straße mit riesigen Felsbrocken blockiert – eine zwar teure, aber ökologisch ideale Methode der Verkehrsberuhigung – schließlich ohne Plastik. Es wurden mehrere Parklets als „Begegnungszonen“ auf die Fahrbahn gestellt und grüne Punkte in den Asphalt eingelassen. – auch das kostet, aber dafür wird der Verkehr zum Stocken gebracht und so Umwelt und Klima gerettet. Wenigstens war das Projekt, das dann leider doch „nicht gut gelaufen“ ist und vorzeitig angebrochen wurde, nicht teuer: Nur 1,1 Millionen Euro. Dank Länderfinanzausgleich aus Bayern ein Klacks. Dass muss den Bajuwaren das Klima schon wert sein.
Ebenso Modellcharakter hat der Flughafen der Hauptstadt: Obwohl dieses milliardenteure Projekt eigentlich extremen Umweltschaden angerichtet hätte, würde es jetzt ökologisch umgewidmet – dadurch, dass auf absehbarer Zeit kein Flieger starten können. Dafür konzentriert sich das Management jetzt auf das wirklich Wichtige – den (Nicht-)Flughafen klimaneutral zu machen (siehe hier). Nur einige böse Klimaleugner verstehen den Sinn der Sache nicht und machen sich lustig – böse Klimalästerei.
Imbiss statt Polizei gegen Drogen, Felsbrocken zur Verkehrsberuhigung, Schikanieren von Autofahrern, Begegnungszonen auf der Fahrbahn, rosa Dealer-Zonen in den Parks und Flughäfen, von denen kein Flugzeug starten kann, und die deshalb garantiert klimaneutral und umweltfreundlich sind: Die Innovationskraft, die von der deutschen Hauptstadt ausgeht, ist weltweit einmalig und viel beneidet. „Mad in Germany“ wird zu einem neuen Markenzeichen für unser Land. Statt mit Stahlhelmen kämen die deutschen jetzt mit Moral, schrieb kürzlich die Zürcher Zeitung – und viele merkten gar nicht, dass es anerkennend und neidisch gemeint war.
Auch im Umgang mit Realität setzt Berlin Welt-Maßstäbe: In Berlin wird Polizisten gesagt, dass die Realität, die sie täglich erleben, »verzerrt« sei, und mit Psychologen will man ihnen eine politisch korrekte Realität antrainieren. Damit sind wir sogar weiter als George Orwell – so etwas Fortschrittliches konnte sich nicht einmal der vorstellen (Details hier).
Auch im Setzen von Prioritäten können sich andere, Deutschland moralisch unterlegene Länder (also eigentlich alle), ein Beispiel nehmen an Berlin, insbesondere an der grünen Bezirksregierung von Kreuzberg. Die weiß eben, was wirklich wichtig ist: Den Drogenverkauf im Görlitzer Park toleriert sie de facto, weil sie eben tolerant ist. Nicht tolerant ist da, wo es nötig ist: „„Kaffee in Einwegbechern wird es nicht geben“, kündigte die Bezirksregierung an. Wer Berlin kennt, weiß – man kann sich darauf verlassen: Gegen Verstöße gegen das Plastik-Verbot wird mit aller Härte des Gesetzes vorgegangen werden.
P.S.: Mein Galgenhumor sei mir bitte verziehen – aber er ist in Berlin intellektuelle Notwehr und unerlässlich für die Geistes-Hygiene.
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