Tichys Einblick
Bettina Röhl direkt: Der Besuch ist ein bitterer Tag für den Euro und für Griechenland

Tsipras bei Merkel: Griechischer Wein vom Spree-Ufer

Das Gipfelduett Merkel/ Tsipras am gestrigen Tag in Berlin war eine Komiker-Nummer. Beide Politiker wissen, dass der fällige Grexit von den Führungen der Euroländer ausgeschlossen wird und dass die Reformversprechungen vor allem der Publikumsbesänftigung dienen. Dabei ist der versäumte Grexit das Gegenteil von beruhigend. Ein bitterer Tag für den Euro und für Griechenland, das gescheiterte „Weiter so“ geht weiter.




Griechischer Wein… ist so wie das Blut der Erde! Komm schenk mir ein! Das war 1974. Und der Sänger, der mit diesem „Gastarbeiterlied“, (wie man damals gesagt hätte), an seinem eigenen neuen Image, nämlich als Revoluzzer (light) arbeitete, war Udo Jürgens. Sein Lied transportierte zugleich auch den großen Urlaubstraum von 100.000enden deutschen Touristen, die an den schönen und unendlichen Küsten Griechenlands preiswert die Sonne und das mediterrane Leben genossen haben. 1974 endete die Militärdiktatur in Griechenland und das Land erlebte seine demokratische Befreiung.

Wie der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble kürzlich in einer Rede vor der Konrad Adenauerstiftung feststellte, gibt es eine lange Tradition eines großen Versagens der griechischen Eliten, die ihr Land in mehr oder weniger ruinöser Form gelenkt und geleitet haben. Diese Tradition wurde in Griechenland nach 1974 wieder aufgenommen. In der Zeit der antikommunistischen Militärdiktatur, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, die bis heute historisch nicht aufgearbeitet ist, gab es die gegenläufigsten Entwicklungen, die per Saldo im ökonomischen Bereich mit einer gewissen Reformaffinität (Steuern einziehen, Investoren locken) beschrieben werden kann. Franz Josef Strauß bezeichnete, laut Spiegelbericht von 1976, die Drachme im Jahr 1967 gar als „heute stabilste Währung der Welt“.

Wer sich anschaut, wie nach dem zweiten Weltkrieg die (im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland) pro Kopf höhere Marschallhilfe in einem großen schwarzen Loch versenkt wurde, fragt sich, wie das passieren konnte.

Wieso hat vor allem die US-Regierung damals die Verwendung der Marschallgelder in Griechenland offensichtlich nicht im Mindesten kontrolliert? Es wird sicher irgendwelche griechischen Zusagen gegeben haben die Marschallhilfe wirtschaftsfördernd, sozial gerecht, korruptionsabbauend, strukturreformierend, Arbeitslosigkeit beseitigend usw. usw. zu verwenden. Wenn diese Zusagen nicht expressis verbis festgelegt wurden, so war es doch der Geist, die Geschäftsgrundlage der Marschallhilfe, dass Griechenland Zug um Zug gegen cash eine effektive und moderne Selbsthilfe aufbaut.

Damit ist man dann auch schon unmittelbar im Bundeskanzleramt am 23. März 2015 gelandet. Wieder und immer noch geht es um unendlich viele und immer dieselben Reformversprechen, die jetzt Alexis Tsipras, dem aktuellen und neuen griechischen Regierungschef, abgerungen werden sollen und die dieser zugleich antechambrierend zu apportieren hätte. Und Tsipras apportiert jetzt auch diese „Reformen“, weil er frisches Geld für sein überschuldetes Land bei den Europartnern herausholen will.

Reformversprechen Griechenlands haben eine lange Tradition

Den Ruf nach Reformen, Reformversprechen gibt es nicht erst seit fünf Jahren, seit dem Ausbruch der jüngsten Griechenlandkrise. Schon als Griechenland 1981 der EU beitrat und fortan von unterschiedlichsten Strukturhilfen in cash profitierte, gab es in Griechenland Reformdruck. Und nicht zu vergessen: Letzten Endes waren es getürkte Reformversprechen, mit denen Griechenland seinen Eurobeitritt unter Inanspruchnahme fremder Hilfe gefingert hat. Gemeinhin spricht man von gefälschten Staatsbilanzen, auf deren Basis Griechenland Euroland wurde, aber was ist eine gefälschte Staatsbilanz anderes als eben die Aussage, seht her, wir arbeiten profitabel, wettbewerbsfähig und sind ein bereits reformiertes modernes Land!

Fünf Jahre lang haben die griechischen Regierungen vor allem eines leisten müssen, nämlich ihren privaten und öffentlichen Geldgebern Reformen zu versprechen. Und die Geldgeber haben verbissen bis an die Grenze der Selbstverleugnung auch immer wieder Reformen angemahnt. Allerdings setzen seriöse Reformversprechen und setzt auch ein seriöses Anmahnen von Reformen unabdingbar voraus, dass die Entscheider wissen, wovon sie reden, wenn sie das Wort Reform in den Mund nehmen, nämlich davon, dass es einen bilanzwahren und einen bilanzklaren Kassensturz gibt, dass die Fakten auf dem Tisch liegen und dass die gigantische Fehlkonstruktion des griechischen Staates und der griechischen Wirtschaft erkannt und benannt wird. Zu allem gehört auch eine realistische Einschätzung der Reformierbarkeit Griechenlands in einem überschaubaren Zeitraum. Das ist der entscheidende Kasus Knacktus neben der Reformwilligkeit und der Reformfähigkeit.
Statt die Konzepte aus der Schublade heraus zu ziehen, heißt es jetzt, dass Tsipras zusammen mit Varoufakis und anderen Ministern an der 97. Reformvariante noch gar am letzten Wochenende bis spät in die Nächte gearbeitet hätte, die Details wollte man dann noch in den nächsten Wochen nachliefern. In einer dpa-Meldung hieß es am gestrigen Montag:

„Tsipras, Vizeregierungschef Giannis Dragasakis und Finanzminister Gianis Varoufakis hatten am Wochenende intensiv an der Reformliste gearbeitet. Das endgültige Dokument und die Details würden noch ausgearbeitet, hieß es aus Regierungskreisen in Athen.“

Tsipras und sein famoser Finanzminister Varoufakis, die als fachkundige Oppositionspolitiker die griechische Misere seit Jahren verfolgen und die mit gigantischen Wahlversprechen, bei denen sie sich hoffentlich etwas gedacht haben, die Wähler geködert haben und sich dabei als die bessere Alternative gegenüber den Vorgängerregierungen ausgaben, nehmen offenbar permanent für sich in Anspruch die griechische Realität erst noch studieren zu müssen.

Das Duett aus Merkel und Tsipras, am gestrigen Tag in Berlin war eine Komikernummer. Beide Politiker wissen, dass letzten Endes, egal was Griechenland tut oder unterlässt, der fällige Grexit von den Führungen der Euroländer ausgeschlossen wird und dass die Stereotype von den Reformerwartungen und den Reformversprechungen vor allem der Publikumsbesänftigung dient. Dabei ist der versäumte Grexit das Gegenteil von beruhigend.

Systeme zu ändern ist qualitativ etwas völlig anderes als partielle Fehlentwicklungen zu korrigieren

Noch einmal ein Blick in die Geschichte: Bis 1981 lebte Griechenland auf wirtschaftlich niedrigem Niveau und mit einem grotesken Staatssystem, in dem die Uhren völlig anders tickten als im Rest Europas, gleichwohl vergleichsweise glückselig vor sich hin. Junge Griechen verdienten mehr oder weniger gern den Familienunterhalt im Ausland, die griechische Touristenindustrie „exportierten“ die Sonne, die sich die Urlauber, die die Devisen brachten, selbst abholten. Unter dem Dach verfassungsrangiger Privilegien für griechische Reeder entwickelten sich die Niarchos-und Onassisdynastien prächtig. Die Korruption blühte, Steuern gab es kaum, eine Staatsverwaltung auch nicht, eine effiziente schon gar nicht, soziale Gerechtigkeit auch nicht, ein Katasterverwaltung schien überflüssig und niemand rief damals nach den Reformen, die jetzt seit einer halben Dekade gefordert , gar verlangt und widerwillig versprochen werden. Aber den meisten Griechen gefiel ihr Leben und sie richteten sich erfinderisch und geduldig ein. Und beinahe jeder Grieche war Profiteur irgendeines oder mehrerer Erbhöfe, so eben wie das seltsame System die Erbhöfe zur Verfügung stellte.




Und jetzt kommen seit fünf Jahren irgendwelche Technokraten daher und wollen das überschuldete griechische Staatssystem möglichst mit einem Paukenschlag reformieren, damit sofort neues fremdes Geld nach Griechenland geschickt wird. Mit dem neuen geliehenen Geld sollen Altschulden, so sie nicht ohnehin erlassen oder gestundet wurden, aber auch der aktuelle, der operative Finanzbedarf Griechenlands bezahlt werden. Beamte , die nicht verwaltet, sondern Däumchen gedreht haben, wurden von den „Reform“-Regierungen der letzten fünf Jahre aus den Behörden entfernt und frühverrentet, und, wie die Öffentlichkeit jetzt erfährt, wurden die früh verrenteten Beamten, einem der luxuriösesten und relativ gesehen teuersten Altersversorgungssysteme Europas auf die Tasche gelegt. Aber richtig ist auch: Was sollen entlassene Staatsdiener, für die es im Staatsapparat nichts Adäquates zu tun gibt, auch sonst machen, wenn nicht auf Rentenbasis zu privatisieren, wenn es in dem Land alternativ keine realen Arbeitsplätze gibt?




Aktuell wird die Öffentlichkeit damit geködert, dass griechische Unternehmen und reiche Griechen dem Land 76 Milliarden Euro Steuern (Laut Finanzminister Gianis Varoufakis schulden rund 3,7 Millionen Griechen und 447 000 Unternehmen dem Staat diese Summe) zahlen müssten und dass man diese Steuern jetzt mit einem neuen Gesetz, der Gesetzesentwurf ist bereits auf den Weg gebracht, auch eintreiben würde.

Wer es glaubt, hat eine gute Chance selig zu werden. Aber ok: Einmal blindwütig angenommen der griechische Staat hätte fällige Steueransprüche in der genannten Höhe und, grenzenlos naiv unterstellt, er könnte die offenen Steuerforderungen auch beitreiben, was geschähe dann? Fakt ist, dass die 76 Milliarden Euro Hinterziehungsbeträge, die ja nicht über Nacht entstanden sind, in die Unternehmen und deren Bücher längst eingepreist sind. Sie dienen als Sicherheit, auch wenn sie ins Ausland verschoben sein sollten und sie arbeiten für die Steuerschuldner. Würden alle angeblichen Steuerschuldner des griechischen Staates ihre fälligen Steuern auf einmal oder auf gesetzlich gestundeter Basis kurzfristig in Raten zahlen, hätte der griechische Staat zwar 76 Milliarden Euro mehr und könnte hoffentlich ein paar seiner 320 Milliarden Euro Schulden abbauen, aber dafür würde die griechische Wirtschaft, die traditionell mit dem Schwarzgeld arbeitet, implodieren: Der Wirtschaft würden die 76 Milliarden Euro schlicht fehlen. So gesehen liegt das Schwarzgeld nicht einfach überflüssig, sinnlos in irgendwelchen Tresoren herum und wartet auf seinen schleichenden Wertverlust.

Statt zu erkennen, dass die Steuerhinterziehungsbeträge zu einem guten Teil ein weiterer Beleg für die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft sind, die nämlich auf der Basis normaler Kapitalmarktbedingungen und eines normalen Steuersystems nicht profitabel arbeitet, wird der Spieß umgedreht und für das öffentliche Publikum, gerade auch für das linke Publikum, wird mit der ganz hoch gehängten Wurst griechischer Steueransprüche herumgefuhrwerkt. Nach der einfachen Devise: Wir müssen einfach die Steuern bei den Reichen abkassieren und schon funktionierte der griechische Staat und liefe die Wirtschaft. Klar, soll der griechische Staat möglichst schnell beginnen für ihn auskömmliche Steuern gesetzlich festzuschreiben und einzuziehen. Natürlich wäre der griechische Staat mit sprudelnden Steuereinnahmen, die er ja in die Wirtschaft wieder einspeist, ein wirtschaftlicher Impulsgeber. Aber der Einmaleffekt jahrelang hinterzogene Steuern beizutreiben, hat noch zu wenig mit dem Aufbau einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft zu tun und auch zu wenig mit der Implementierung eines neuen griechischen Staates, der eine solche Bezeichnung verdient. Publikumsveralberung könnte man die Show also auch nennen, die Merkel und Tsipras am Montag als eine weitere Stereotype, wie sie in den vergangenen fünf Jahren inflationär vorgekommen sind, abgeliefert haben.

Es gilt die Schornsteintheorie

Dreht man bei einem Staatsapparat nicht an den dafür vorgesehenen Justierschrauben, sondern verschiebt man die Fundamente, gerät die ganze Statik aus den Fugen. Die vergangenen fünf Jahre haben bewiesen, dass die mandatierten Krisenmanager die Aufgabenstellung nicht begriffen haben und die Rettung Griechenlands im Euro als kaum lösbare Aufgabe vollkommen unterschätzen. Ob die Gläubiger Griechenlands durch eine Schenkung, einen Schuldenerlass oder einen Schuldenschnitt ihr Geld zum einen Schornstein rausjagen oder ob sie die griechischen Schulden durch einen großen administrativ teuren Ringelpitz beitreiben, in dem sie mit neuen Krediten in gleicher Höhe Griechenland fiktiv zahlungsfähig machen und das Geld de facto zum anderen Schornstein raushauen, ist wirklich herrlich egal. Griechenland wird seine bestehenden Schulden nach menschlichem Ermessen nie abtragen und es macht keinen Sinn, wenn die Gläubiger faule Forderungen durch besagten Ringelpitz immer weiter perpetuieren. Alles steht und fällt mir der viel besungenen Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft, die mit Staats-und Systemreformen allein nicht über Nacht aus dem Boden gestampft werden kann.

Die Griechenlandrettung bleibt mit dem Euro, anders als mit dem Grexit, der teuer genug wäre, ein weithin ungedeckter Wechsel auf die Zukunft. Merkels immer wieder neues Anbeten des Prinzip Hoffnung, auf das sich alle Partner des Eurovertrages eingeschworen haben, ist eine unnötige Belastung der Eurozone und des Euro selber. Die historisch gesehen in kürzester Zeit angehäuften Schulden Griechenlands von derzeit mutmaßlich 320 Mio. Euro, sind in ein unangemessenes Konsumverhalten der griechischen Bevölkerung geflossen, die mit oder ohne Euro den Gürtel vorübergehend wird enger schnallen müssen. Zu solchen Agenda 2010-Maßnahmen ist eine sich kommunistisch-sozialistisch gebende Regierung am ehesten in der Lage – siehe hier der Artikel zum „Glücksfall Tsipras“.

Aber die alten ideologischen Begrenztheiten lassen die Regierung Tsipras als wenig geeignet erscheinen den Reformbedarf zu qualifizieren und zu quantifizieren und die Reformen tatsächlich umzusetzen. Die Regierung Tsipras bietet bisher nichts für eine seriöse Bejahung eines echten Reformwillens und die von den Geldgebern erwarteten Reformen lassen sich auch objektiv nicht in den Zeiträumen verwirklichen, die den notorischen Rettern sinnvollerweise vorschweben. Fest steht: Egal, wieviel Geld die EZB für Anleihekäufe jedweder Art aus dem Nichts schöpfen wird, mit immer neuen Krediten und immer neuen Umschuldungen, wird nicht zu erreichen sein, dass griechische Waren und Dienstleistungen die Weltmärkte alsbald überschwemmen werden. Dagegen gäbe der Grexit Griechenland nicht nur seine Souveränität wieder, sondern die Möglichkeit mittels einfacher, primitiver Währungsanpassungen das System, das es zu reformieren gilt, soweit aus eigener Kraft aufrecht zu erhalten, dass sich die besagten Reformen entwickeln können, wofür allerdings ein Zeitraum von zehn oder auch zwanzig Jahren realistisch anzusetzen ist. Mit der Möglichkeit der laufend angepassten dosierten Abwertung einer eigenen griechischen Währung würde der Grexit bekanntlich die griechische Wirtschaft am ehesten in die Lage versetzen wettbewerbsfähige Produkte und Dienstleistungen zu produzieren.

Merkels jüngste Äußerungen nach dem ersten offiziösen Berlin-Besuch von Alexander Tsipras zeigen, dass das bloße „weiter so“ weitergeht. Dieses „weiter so“ ist die Garantie dafür, dass die notwendigen Reformen, derer es in großer Zahl und gleichzeitig bedarf, allenfalls auf kleinstem Niveau auch tatsächlich durchgezogen werden.

Ein bitterer Tag für den Euro und für Griechenland in Berlin.




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