Die Spritpreise sinken unter einen Euro je Liter. Die fallenden Ölpreise sind Konjunkturspritze pur und dies nicht nur für den Westen, sondern vor allem auch für die Entwicklungsländer. Die Mahner und Warner, die in billigem Öl eine neue Gefahr für die Weltwirtschaft sehen wollen, warnen an der Realität vorbei.
Man stelle sich vor, der Ölpreis wäre in den letzten zehn Jahren auf früherem niedrigerem Niveau geblieben und in diesen Tagen wäre er auf auf 100 plus X Dollar pro Barrel hochgeschnellt. Das Geschrei, auch in den Medien, wäre riesig und die realen Gefahren für die Wirtschaft würden durch das veröffentlichte Getöse noch wesentlich vergrößert.
Es liegt in der Natur der Sache, dass jede schockartige Preisbewegung auf den Märkten der wichtigen Rohstoffe, besonders auf dem Ölmarkt, punktuell Gewinner und Verlierer erzeugt und systemische Anpassungsvorgänge in Gang setzt. So gesehen ist die per Saldo ausschließlich zu begrüßende Bewegung des Ölpreises nach unten, wie sie derzeit zu beobachten ist, mit notwendigen Marktanpassungen für einige Marktteilnehmer keine gute Entwicklung.
Es kommt aber auf die gesamtwirtschaftliche Schau an und die soll sich niemand durch die üblichen Jereminaden, die auch positive Marktentwicklungen routinemäßig begleiten, vermiesen lassen. Niedrige Rohstoffpreise, und dazu gehört auch ein niedriger Ölpreis, sind gut für die Volkswirtschaften des Westens und besonders gut für die exportorientierten Volkswirtschaften. Da beißt die Maus keinem Faden etwas ab. Und: Eine stabile Konjunktur der Wirtschaft der ersten Welt ist das Beste, was den Ländern der zweiten und dritten Welt passieren kann.
Der Kapitalismus ist die alternativlos beste Organisationsform staatlichen und privaten Wirtschaftens. Alle ideologischen Ansätze wegen zu beklagender, teils auch krasser Verfehlungen, die im Kapitalismus immer wieder vorgekommen sind, diesen Kapitalismus und damit den Markt abschaffen zu wollen, sind gescheitert und waren auch von vorne herein erkennbar zum Scheitern verurteilt.
Warum waren alle ideologischen Ansätze den Kapitalismus und damit den freien Markt abzuschaffen auf einen Flop angelegt? Weil jeder sozialistischen Planwirtschaft das im Westen oft und gerne süffisant bemäkelte „Regulativ des Marktes“ zum Nachteil des wirtschaftlichen Geschehens fehlte.
Das soziale Korrektiv (soziale Marktwirtschaft) des Kapitalismus ist in der Bundesrepublik seit ihrem Bestehen und im angelsächsischen Bereich vielleicht etwas später, längst Standard.
Die Preisbildung auf den Rohstoffmärkten richtet sich vergleichsweise urtypisch nach hammerharten Regeln von Angebot und Nachfrage. Der Wert eines Rohstoffes ist zwingend auch fiktiv. Und gezahlt wird eben – auch sehr weit abgekoppelt von dem Aufwand, der getrieben werden muss, um der Erde einen Rohstoff abzuringen – was ein Kunde an einem bestimmten Ort (Spotmarkt) zu einer bestimmten Zeit bereit ist zu zahlen. Die Rohstoffproduzenten verlangen, was sie kriegen können.
Rohstoffmärkte das schlechthinige Dorado für Spekulanten
Klar, dass Rohstoffmärkte das buchstäbliche Dorado für Spekulanten sind, die die Preise, wie man es auch nennen will, verfälschen und regelmäßig in die Höhe treiben. Daneben waren die Rohstoffmärkte in der dualen Welt des Kalten Krieges bis 1990 enormen politischen Einflüssen unterworfen und die Preise waren immer höher, als sie hätten sein müssen, weil sie durch einen ganz unangemessenen Angstfaktor vor Versorgungs-Engpässen in den Verbraucherländern angeheizt wurden.
Der sogenannte Ölschock 1972/1973 hat das Marktgeschehen nachhaltig bis heute in die falsche Richtung entwickelt. Die Marktmacht der Produzenten ist ins Unermessliche gestiegen und die Marktmacht der Nachfrager ist ins Bodenlose gesunken. Und das alles war nichts als bloße Psychologie, die zudem auf einem großen Irrtum beruhte.
Dass die Ölproduzenten einfach nur den berühmten Ölhahn abzudrehen jeder Zeit in der Lage gewesen wären, ist Unsinn. Dieser Unsinn ist sicher von den berühmten Ölmultis beflügelt worden. Die westlichen Öl-Oligopole handeln natürlich lieber mit einer für knapp geglaubten Ware, weil das die Handelsspannen, also den Gewinn, naturgemäß mehr vergrößert, als mit einem Rohstoff, der überall zu haben ist.
Auch die Ölproduzenten haben ihre Lobbyarbeit im Westen sicher nach bestem Wissen und Können betrieben. In den siebziger und achtziger Jahren gab es das Phänomen der Petrodollars. Die damals so genannten Ölscheichs, die gerade die Förderanlagen der Ölmultis in ihren Ländern enteignet und angstbasiert die Preise für heutige Verhältnisse noch auf niedrigem Niveau erhöht hatten, schwammen im Geld und wussten nicht wohin damit. Sie beließen das Geld in Europa, gern auch in Luxemburg und verliehen es an Banken gegen Null Zins: Hauptsache sicher gebunkert. Was die westlichen Volkswirtschaften für das eingekaufte Öl abdrücken mussten, floss in den siebziger und achtziger Jahren in Form von Zinserlass sofort in die westlichen Volkswirtschaften zurück.
Ölpreise waren zu allen Zeiten überzogen
Was zeigt diese historische Phase des Ölmarktes? Sie bestätigt, dass der Ölpreis latent zu allen Zeiten seit der Ölkrise deutlich überzogen war. Die Suezkrise hatte den Preis in den fünfziger Jahren nach oben getrieben, weil die Durchfahrt durch den Suezkanal langfristig gefährdet schien und sich niemand die alsbald um Afrika herumfahrenden Riesentanker vorstellen konnte.
Der politische Einfluss dessen, was damals der „Ostblock“ hieß, wirkte preistreibend. Damals wurden nicht islamistische Einflüsse in den Produzentenländern befürchtet, sondern kommunistische Einflüsse spielten eine Rolle. Letzten Endes waren es westkommunistische Einflüsse, die den stark westlich orientierten Schah von Persien, zum Sturz brachten, der schließlich von einem gewissen Ayatollah Khomeini endgültig vollstreckt wurde.
Wie man es dreht und wendet, der Ölpreis war immer latent ungesund zu hoch, ungesund gemessen an dem, was für die Konjunktur im Westen und für die Weltkonjunktur gut gewesen wäre. Seit langem gibt es das Phänomen, dass ein unangemessen hoher Ölpreis unangemessene Ideen finanziert. Der angeblich allseits beklagte Islamismus, der durch die katastrophale Interventionspolitik des Westens samt militärischer Eingriffe im Maghreb, im Nahen und Mittleren Osten erst möglich gemacht wurde, wäre ohne Finanzierung letzten Endes aus Ölquellen, so wie er abläuft, undenkbar.
Viele Investitionsentscheidungen in den westlichen Volkswirtschaften wurden nicht autonom vor Ort entschieden, sondern von Ölgeld-Gebern in deren Sinn beeinflusst.
Jede Hausse ist meistens auch ein dynamisches Ergebnis ihrer immanenten Kräfte, ihrer selbst. Nimmt der Markt erst einmal Witterung auf, dass der Ölpreis steigt, gibt es einen Hysterisierungseffekt der angeblich so rational und cool handelnden Börsen, der die Dynamik des Preisanstieges weitertreibt. Den gleichen Effekt gibt es auch in umgekehrter Richtung. Ist die Angst einen Rohstoff zu besitzen, dessen Preisentwicklung nach unten zeigt, erst einmal virulent, jiepern schnell allzu viele danach ihre wertlos geglaubte Ware sofort abzustoßen.
Besonders die USA in der Zeit Obamas sind mit der Frackingtechnik selber zu einem der wichtigsten Ölproduzenten geworden, nachdem sie klassisch nur der größte Ölverbraucher waren. Damit haben sie die Marktmacht der Ölstaaten empfindlich gestört und ein Preiszerfallsszenario auf den Ölweltmärkten eingeleitet, von dem zum Beispiel Kanzlerin Merkel profitiert, in dem sie ihre politischen Ideen, zumindest ihre kostspieligen politischen Ideen, zumindest aktuell finanzieren kann.
Gold, nichts als Gold
Für die Konjunktur ist der deutlich gesunkene Ölpreis, über den sich die Autofahrer an den Tankstellen freuen, Gold, nichts als Gold. Da sollte niemand Zweifel säen, wie es die Tagesthemen oder die WELT versuchen.
Klar, der Ölmarkt ist außerordentlich komplex und es gibt viele Unbekannte. Eine der weltgrößten Ölkonzerne, BP, lässt sich durchaus auch als Rentenkasse Englands begreifen, beinahe als ein privater Schattenhaushalt des Reiches der Queen. So gibt es viele bekannte und wahrscheinlich noch viel mehr unbekannte Sondereffekte auf das Marktgeschehen und entsprechend viele Interessenten, die am großen Ölrad mitdrehen.
Die Investmentbanker Goldman Sachs, die auch gern supranationale Politik betreiben, sehen den Goldpreis gar auf 20 Dollar je Fass der US-Ölsorte WTI 2016 absinken. Andere sich für Prognosen kompetent fühlende Fachleute gehen eher von einem mittelfristigen Preisniveau von 50-60 Dollar je Barrel aus.
Richtig ist, dass das Fracken in den USA mit hohen Einstandskosten verbunden ist, weshalb das Anbohren neuer Schieferölquellen in den USA bei dem derzeitgen Weltmarktpreisen bereits eingefroren wird. In diesem Zusammenhang starren die meisten Analysten auf die unermesslichen Devisenreserven Saudi-Arabiens mit dem Argument, die Saudis würden mit großen Fördermengen und niedrigem Preis die Frackingindustrie der USA vernichten, um dann zu ungeahnten Ölpreisen zurück kehren zu können.
Der Schieferölschock sitzt bei den Saudis ziemlich tief
Tatsächlich sitzt der umgekehrte Preisschock, nämlich der Schieferölschock bei den Saudis ziemlich tief. Die wissen, dass die USA über reale Frackingkapazitäten verfügen, die sie jeder Zeit wieder aktivieren können.
Tatsächlich haben die Saudis in ihrer stark wachsenden, sehr jungen Bevölkerung ein derartig anspruchsvolles Konsumverhalten entstehen lassen, Tendenz steigend, dass sie auf Öleinnahmen sehr langfristig und kontinuierlich angewiesen sind und gar nicht an tagespolitisches Herumgepoker denken.
Die saudische Wirtschaft ist keine Leistungsgesellschaft, sondern eine ölbasierte Verbrauchsgesellschaft. Wie das Kaninchen auf die Schlange starrt, so starren manche Analysten offenbar im großen Zukunftspoker um das Öl auf die saudische Devisen, die das Ölland jahrzehntelang mit unbegrenzter Marktmacht ausstatteten. Und natürlich wissen die strategisch denkenden Saudis auch, dass die Nachfrage nach dem Klimakiller Öl einen Dämpfer bereits erlitten hat. Die Ölbäume wachsen nicht mehr in den Himmel.
Die saudische Wirtschaft ist keine Leistungsgesellschaft
Es gibt immer zyklische Entwicklungen, auch auf dem Ölmarkt, aber die Tendenz ist klar, der Ölmarkt ist von einem Anbietermarkt zu einem Nachfragermarkt geworden. Die Nachfrager sitzen am längeren Hebel. Deswegen scheint die Prognose von Goldman Sachs nicht aus der Luft gegriffen, dass der von über 100 Dollar je Fass derzeit auf unter 40 Dollar gesunkene Preis durchaus auch noch weiter fallen könnte und das wäre auch gut so.
Teileffekte, die der Beurteilung des Ganzen allerdings nicht zu widersprechen in der Lage sind, zeichnen ein anderes Bild: Weniger Liquidität in den Ölländern heißt vor allem weniger Luxusnachfrage aus diesen Ländern, was auf die Bilanz mancher betroffener Hersteller und Lieferanten drücken könnte. Zu bedenken ist allerdings, dass diese spezielle Nachfrage über einen höheren Ölpreis von den exportierenden Volkswirtschaften selber finanziert wurde. Das gesparte Geld für den Ölimport steht in den exportierenden Volkswirtschaften plötzlich wirtschaftlich frei zur Verfügung.
So gibt es innerhalb der mit den Ölstaaten Handel treibenden Volkswirtschaften Verschiebungen mit kleineren Verlierern und größeren Gewinnern. Per Saldo überwiegt der Nutzen eines niedrigeren Ölpreises.
Die Ölproduzenten insgesamt haben sich und ihren Konsum auf unerarbeitete, aus der Erde sprudelnde Geldquellen eingestellt und können nur frustriert sein, wenn sie plötzlich Konsumeinschränkungen hinnehmen müssen. Das kann allerdings keine Verpflichtung von Ölverbraucherländern begründen einen artifiziell erhöhten Ölpreis zu bezahlen.
Wenn Volkswirtschaften Hilfe brauchen und sei es, um ihren erhöhten Konsum zu finanzieren, dann muss nicht der Ölpreis angehoben werden, sondern dann muss man über Entwicklungs- oder sonstige Hilfe nachdenken. Richtig gruselig absurd ist ein Argument, das soeben in der WELT in einem dortigen Plädoyer für einen hohen Ölpreis vorgetragen wurde.
Ein niedriger Ölpreis würde demnach ansteigende Auswanderung, also ansteigende Flüchtlingsströme erzeugen. Erst einmal hat ein über Jahrzehnte überhöhter Ölpreis dazu beigetragen, das dortige Bevölkerungswachstum zu dynamisieren und zweitens gilt auch hier, dass den Menschen vor Ort nicht über einen überhöhten Ölpreis geholfen werden sollte. Vielmehr muss über staatliche Unterstützung für arme und auswanderungswillige Menschen entschieden werden.
Ein niedriger Ölpreis fördert die Weltkonjunktur
Auch das schon pervers zu nennende Gejammer, dass ein hoher Ölpreis her müsste, um einen Ölausstieg zu beschleunigen, in dem nur über zu teures Öl Spardruck und Innovationsdruck bezüglich alternativer Energien erzeugt werden könnte, ist Unsinn.
Erst einmal gilt, je profitabler die westlichen Volkswirtschaften arbeiten, desto autodynamischer ist auch die technische Entwicklung. Wer kann Forschung besser finanzieren, als eine wohlhabende Volkswirtschaft?
Wo immer die Reise des Ölpreises hingeht, je niedriger der Spritpreis desto besser. Ein niedriger Ölpreis würde auch die Öleinnahmen des mit Bomben bekämpften Isis senken. Kein Abnehmer zahlt mehr als er muss – wer immer mit Isis Ölgeschäfte macht.
Auch die Sorge, dass Putins Russland unter einem sinkenden Ölpreis litte, zieht nicht. Wer Russland helfen will, muss über entsprechende Finanzhilfen entscheiden und sich nicht an einem hohen Ölpreis klammern.
Einen hohen Ölpreis als globalen mildtätigen Heilsbringer herbeizusehnen, ist reiner Tüddelkram, wie man in Hamburg sagt. Nur die Länder der zweiten und dritten Welt, die kein Öl haben und die unter hohen Ölpreisen besonders leiden, so zu missachten, ist schon bodenlos. Ein niedriger Ölpreis treibt Weltkonjunktur und ist das Gegenteil einer „Gefahr“.
Last but not least: Niedrige Ölpreise dämpfen die Verschwendung in den Öl produzierenden Ländern und sind ergo dort ein Beitrag zum Umweltschutz. Die Ölproduzenten müssen nämlich plötzlich Steuern auf Treibstoff erheben. Der damit verbundene Preisanstieg sorgt für einen sparsameren Umgang mit dem schwarzen Gold.