Es geht uns gut: Der Ölpreis sinkt; damit kann die Wirtschaft wachsen und den privaten Haushalten bleibt mehr Geld in der Tasche. Aber geht es uns wirklich gut? Die Bedenken an der weltweiten Ölschwemme und dem Preisverfall ließ nicht lange auf sich warten: Kritische Kommentatoren warnen, diese ganze Frackingkonkurrenz sei nur ökologisch bedenklich. Die niedrigen Ölpreise seien kein Segen, sondern vielmehr eine Bedrohung für die Weltwirtschaft und schließlich: die USA könnten den Preiskampf mit Saudi-Arabien sowieso nur verlieren. „Dieser Ölpreis ist gefährlich“, warnte etwa der „Freitag“, das Blatt des SPIEGEL-Erben Jakob Augstein.
Geht es uns also tatsächlich schlecht? Lassen Sie sich nicht beirren. Tatsächlich ist der weltwirtschaftliche Nutzen sinkender Ölpreise überragend. Die Bedenken daran folgen nur einer alten Bauernregel die da lautet: „Wat de Buer nich kennt, fret he nich“, so die alte plattdütsche Weisheit. Alles was neu ist, ist erst einmal suspekt. Da haben sich nun die Menschen seit dem Ende des zweiten Weltkrieges vor siebzig Jahren daran gewöhnt, dass das schwarze Gold permanent teurer wird und immer einen Tick zu teuer ist. Es scheint, als sei die Gewissheit vom unbezahlbaren Öl schon in den Gencode der Menschen eingebrannt. Die gesamte deutsche Teuer-Energiewende ist auf dieser Prämisse aufgebaut. Mit billiger Energie aber wird jedes Solardach zur Geldverbrennungsmaschine.
Dabei zeigt die Geschichte: Erdöl ist seit siebzig Jahren die Geschichte von diskontinuierlich immer wiederkehrenden Preissprüngen beim Rohöl. Jedes Mal, wenn’s etwas heftiger kam, kam Krisenstimmung auf. In den Medien führten die sogenannten Experten dann ihren ganz speziellen Tanz auf, dass sie zwar auch nichts Genaues wüssten, aber dass es noch dicker käme. Viel dicker. Bis hin zur Energiewende.
Der Ölschock von 1972 ist den meisten Menschen zwar nicht mehr bewusst, aber er hat den Markt nachhaltig beeinflusst. Es wurde „Naturgesetz“ erfunden, dass das Rohöl immer knapper und immer teurer würde. Diese Regel wurde nicht mehr hinterfragt, sondern geradezu in Beton gegossen. Und lange Zeit stimmte das auch im Großen und Ganzen. Auch weil lange Zeit der Spotmarkt der Spekulanten in Rotterdam die Ölpreise in Europa bestimmte. Es ist dies auch heute noch ein Spekulantenverein, der der Preisentwicklung des Rohöls nur eine Richtung ermöglicht, nämlich steil nach oben. Es sind nicht nur die jetzt ins Gerede gekommenen Saudis und ihre Freunde rund am persischen Golf, die den Preis nach oben getrieben haben, sondern eben auch die Spekulanten im Verbund mit den westlichen Mineralölkonzerne, die den Preis hoch drehen.
Denn jeder Bundesbürger von der Wiege bis zur Bahre ist Mineralölkunde und -Verbraucher. Es ist fast ein Viertel des verfügbaren Einkommens, den jeder Bundesbürger für den Kauf von Rohölbasierten Treibstoffen, Heizmitteln und sonstigen Produkten ausgibt; bezieht man auf Öl basierte Kunststoffe und andere Vorprodukte mit ein, kann es auch mehr sein. Da am Rohölpreis auch der Preis aller fossilen Energieträger wie etwa russisches Gas hängt, ist der aktuelle Ölpreis ein ganz entscheidendes Datum für das gesamtwirtschaftliche Geschehen. Umgekehrt betrachtet: Je weniger vom Besten, das eine solide Volkswirtschaft zu bieten hat, nämlich von ihrem stabilen Geld, für den Import von Öl in die Produzentenländer exportiert wird, desto besser ist es für diese Volkswirtschaft. Dieses Geld bleibt bei Verbrauchern und der heimischen Industrie.
Rolex, Rolls Royce und Rentenkapitalismus
Man lasse sich daher nicht von den Profiteuren eines hohen Rohölpreises in die Irre führen: Deren Macht geht zu Ende. Denn die Rohöl produzierenden Länder sind nicht nur auf nimmersatte Nachfrage aus den Verbraucherländern angewiesen. Sie sind auf die Industrieländer des Westens auch als Abnehmer ihrer Billionen schweren Geldfässer angewiesen, denn die Ölländer wollen und müssen ihr Geld im Westen zinsbringend anlegen. Jahrzehntelang wussten die Saudis, um bei dem Beispiel zu bleiben, im wahrsten Sinne des Wortes nicht wohin mit ihrem Geld. Sie verliehen es als fast zinslose Darlehen unter dem Namen Pedrodollar an fast jede Bank im Westen. Von wegen Niedrigzins! Das ist keine Erfindung der heutigen Finanzkrisenmanager. Es waren die Ölproduzenten, die mit ihrem Reichtum nichts anzufangen wussten. Sie verfügten nicht einmal über die Managementqualitäten, um aus Geld Geld zu machen. Sie hatten einfach nur das Geld und lebten im Rausch des Rolex, Rolls Royce und Rentenkapitalismus. Dabei haben sie die ungeheure und im eigentlichen Sinne unverdiente Liquiditätszufuhr nicht für den Aufbau eigener Volkswirtschaften verwandt – ein Fehler, der sich jetzt bitter rächt: In den Petroländern läuft nichts außer Öl.
Aber die Petrodollar wirkten auch im Westen wie ein Droge – die Petrodollars waren fast zins-und tilgungsfrei, und am Fälligkeitstag trug der Darlehensnehmer nur das Währungsrisiko des Dollarkurses. Daher sind die sprichwörtlichen Öl-Scheichs heute bei vielen Top-Managern gern gesehene Investoren. Man geht diskret miteinander um, und die Spuren der Petrodollar laufen oft sehr verschachtelt – auch über die berühmten Steuerparadiese dieser Welt. Aber wirklich wichtig ist: da wächst anständig Kapital rüber. Wie viele deutsche Unternehmen von den Saudis und Co. kontrolliert oder mit kontrolliert werden, ist kaum bekannt. Es dürfte sich aber über einen Umfang handeln, der viele in Erstaunen versetzen würde. Insofern ist auch der politische Einfluss der Ölproduzenten im Westen nicht zu unterschätzen. Von den entsprechenden Investments sind ja auch Medienbetriebe betroffen, so dass auch ein Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung, in welchem Umfang auch immer, stattfindet. Und dann sind da noch die Lieferanten, die die Luxusgüter an die Scheichs liefern, und die ohne diese besondere Nachfrage den Gürtel enger schnallen müssten.
Es gibt also in den Verbraucherländern viele, die von einem fallenden Ölpreis profitieren. Aber es gibt auch allzuviele Profiteure, die ein vehementes Interesse an einem steigenden Ölpreis haben und ihn verteidigen, koste es, was es wolle. Und jetzt, nachdem der Ölpreis gerade seit Sommer erstmalig signifikant gefallen ist, kommen diese Bedenkenträger auf den Plan. Klar ist, dass die von Obama forcierte Frackingindustrie mit ihren steigenden Ölfördermengen der eigentliche Anlass für den fallenden Preis am globalen Rohölmarkt ist. Statt diese Konkurrenz des Opec-Kartells wenigstens nach dem Motto zu begrüßen, dass Konkurrenz das Geschäft belebt und die Preise reguliert, schießen kleinkarierte Mäkeleien und negative Prophezeiungen wie Pilze aus dem Boden.
Kleinkarierte Mäkeleien und negative Prophezeiungen
Fracking wäre giftig, umweltschädlich und viel zu teuer. Die immer wieder geäußerte Hoffnung der Teuer-Öl-Fraktion: Dass die Frackingindustrie bei einem Barrelpreis von weniger als 70 Dollar, sukzessive ohnehin unrentabel und damit eingestellt werde. Warum also nicht gleich? Das Allerschärfte: Erste linke Stimmen, die sich früher um die Kaffeebauern in Nicaragua „gekümmert“ haben, sorgen sich jetzt um das Wohl und Weh der Ölscheiches und um die Staatshaushalte der Ölproduzenten, die ihre üppigen Sozialsysteme nicht mehr finanzieren könnten. Nun sind die Öleinnahmen in den Produzentenländern nicht gerade gerecht und demokratisch verteilt. Es gibt wenige Habende und die geben nur zähneknirschend einen Bruchteil von ihrem märchenhaften Reichtum ab, um das Volk ruhig zu stellen. Unsere Anteilnahme verdienen sie nicht.
Es ist schon einigermaßen komisch, wer sich nun ausgerechnet um das tägliche Brot der Scheichs meint kümmern zu müssen. Wer zufällig auf einem Grundstück wohnt, unter dem in tausenden Meter Tiefe sich Öl befindet, müsste doch eigentlich teilen, und zwar gerne. Denn das linke Idol Jean-Jacques Rousseau formulierte doch vorausschauend: „Die Früchte gehören euch allen, aber der Boden gehört Niemandem“. Die Saudis und ihre Freunde lassen Öl zu einem Einstandspreis von im Schnitt deutlich unter zehn Euro pro Fass fördern. Das ist die wahre Sollgröße, die Maßzahl, an der alles hängt. Ein angemessener Aufschlag von 30 % und die Richtung würde stimmen – Luft nach unten. Und alle, die sich jetzt vernehmen lassen, mit dem einen Zweck den Preisverfall beim Öl moralisch zu kritisieren oder als ökonomisch äußerst bedenklich zu dramatisieren, sollten sich von ihren Hirngespinsten schnellstens trennen und auf den Boden der Realität kommen.
Denn das gesamte Gefüge des Weltrohölmarktes ist bereits zerbrochen und das ist gut so. Damit bestätigt sich eine alte Weisheit der Volkswirtschaftslehre, wonach Kartelle wie jetzt das Opec-Kartell, an ihren inneren Widersprüchen zerbrechen: Denn während die Saudis mit ihrer 10-Dollar-je-Barrel-Regel schon ab 11 Dollar bereits Profit scheffeln, geht an anderen, den teuren Förderorten bereits bei 70 Dollar das Licht aus.
Man muss den Paradigmenwechsel nur erkennen und die Chancen ergreifen. Es mag sein, dass die saudi-arabische Strategie derzeit von der Hoffnung getragen ist, durch vorübergehende Preisnachlässe die Frackingkonkurrenz zu ruinieren Tatsächlich ist die Kriegskasse der Saudis mit beinahe unerschöpflichen Devisenreserven gut gefüllt.
Dagegen hilft nur: Der Westen muss seine Marktmacht erkennen. Es ist ausschließlich seine Nachfrage, die aus den armen Wüsten-Scheichs unermesslich reiche Öl-Scheichs gemacht hat. Seit China und Indien als große Nachfrager auf dem Weltmarkt hinzugetreten sind, hatte der Preisanstieg vorübergehend sogar zusätzliche Argumente. Nur – trotz der enorm gestiegenen Nachfrage ist der Preis des Rohöls nicht entsprechend explodiert.Dies hat einen guten Grund: Es gibt in Wahrheit auch ohne Fracking bereits auf absehbare Zeit genug Öl. Die Angstkomponente, die die Ölverbraucher zu stets zahlungswilligen Kunden degradiert hat, hat durch das Aufkommen der Frackingindustrie nur noch weiter an Boden verloren. Die Konsumenten haben jeden Grund, selbstbewusster aufzutreten.
Den Preiskampf, den die Saudis jetzt führen, ist zum Scheitern verurteilt. Jetzt die Öffentlichkeit gegen Fracking einschwören zu wollen, ist zweifellos von einer gewissen Niedertracht. Für die Ölproduzenten am persischen Golf ist es ein heilsamer Schock, wenn der Ölpreis nicht in den Himmel wächst und sie endlich etwas dafür tun müssen, dass die Menschen in ihren Ländern solide Arbeitsplätze in profitablen Unternehmen bekommen, statt sich als Kapitalrentner aushalten zu lassen.
Und für die Verbraucherländer im Westen ist ein radikal gekürzter Ölpreis ein wirtschaftlicher Segen, weil die Produkte und die Dienstleistungen günstiger werden und wirtschaftliches Wachstum massiv gestützt wird. Der Westen soll überall auf der Welt, vor allem mit seinem Geld helfen und dafür ist es nützlich, wenn er über die entsprechenden Mittel verfügt. Die Verfügungsgewalt über große Geldmengen, die in den Öl produzierenden Ländern viel zu sehr verpulvert werden und deren Lenkung nach wenig sinnvollen Gesichtspunkten geschieht, ist nicht erstrebenswert. Einfach nur Geld kassieren und sonst nichts und den Rest der Welt zahlen lassen, schafft Verwerfungen, die dem Weltwirtschaftswachstum kontraproduktiv entgegen stehen.
Der radikal gekürzte Ölpreis ist ein wirtschaftlicher Segen
Im Westen werden die Chancen, die sich auf dem Energiemarkt auftun, nicht annähernd richtig erkannt und entsprechend auch nicht wahrgenommen. Die Energie-und Rohstoffkosten sind in einem energiearmen Land wie der Bundesrepublik ein ganz wesentlicher Faktor. Alle Welt schreit, dass bei der Vergabe der Fussball-WM nach Katar Bestechung im Spiel gewesen wäre. Aber man sollte auch die Frage stellen dürfen: Was soll man denn mit nutzlos herum liegendem Geld denn sonst anfangen, wenn man die Fussball-WM gern hätte?
Umweltbelastend herunter gekühlte Fussballstadien für ganze drei Wochen sind sicher keine weltökonomische Errungenschaft. Die Denkschemata, in denen die westliche Welt in Sachen Erdöl eingeklemmt ist, müssen aufgebrochen, sie müssen „gefrackt“ werden.
Lassen Sie sich als nicht beirren: Nur ein niedriger Benzinpreis ist ein guter Benzinpreis. Vertrauen Sie ihrem spontanen Gefühl an der Tankstelle.