Tichys Einblick
Bettina Röhl direkt über die falschen Schwerpunkte des Weltwirtschaftsgipfels und den falschen Umgang mit Putin

G7: Wie Obama die Gipfelteilnehmer mit seiner Putin-Phobie ansteckte

Obama war in Elmau viel zu sehr darauf fixiert Putin zum Weltfeind Nr.1 zu stilisieren, der Putin mit weitem Abstand nicht ist. Auch der Klimawandel ist aktuell nicht das wichtigste Weltthema. Konzertierte Terrorismusbekämpfung lief schlaff und konzeptionslos nebenbei mit und ohne konkretes Ergebnis.

In den Zeiten des Kalten Krieges war es zu dem Essential der „politischen Korrektheit“ geworden, die neue „Ostpolitik“ des Außenministers Willi Brandt und der dann von ihm geführten Bundesregierung Brandt/Scheel zu einer Art alternativlosen Überfliegerpolitik zu halten – einfach nur genial, wie das gelang. Die Parole der späten sechziger/Anfang 70er Jahre lautete: Wandel durch Annäherung. Wer miteinander spricht, schösse nicht aufeinander. Der Anti-Amerikanismus, der auch eine Art Anti-Westianismus zeitigte, stammte ursprünglich aus den USA selbst, erreichte aber schnell Europa und die Bundesrepublik.




Die Neue Westlinke, die hierzulande auch als Apo-und später als 68er-Bewegung bekannt wurde und sich schließlich in der Partei der Grünen manifestierte, baute schnell einen erhöhten Mainstreamdruck auf. Der ist bis heute wirksam und läßt sich schnell als eine tief gründelnde, permanente Selbstkritik am Westen und seiner sogenannten Werte begreifen –  bei gleichzeitiger absolut realitätsferner Schönrederei der damaligen Sowjetunion und der damaligen DDR.

Der wohl effektivste Mörder der Menschheitsgeschichte, Mao Tse Tung hatte Konjunktur bei den Fanatikern der Neuen Linken (das Wort „Neue Linke“ bezog sich ja gerade auf den „Neuen“ Kommunismus, den Mao im Gegensatz zum Sowjetkommunismus eingeführt hatte). Dieser Mao Tse Tung war bekanntlich ein geradezu pathologisch zu nennender Amerika- und Europahasser. Mao Tse Tung, der niemals im Westen gewesen war, sah im Westen das Schlechthin Böse und er war auch noch ein Hasser des Kommunismus ala Moskau (und Ostberlin). Nicht nur das Weltbild des Halbgottes der Westlinken namens Mao Tse Tung, sondern eben auch dessen verquere und verquaste und, um es zu wiederholen, völkermörderische Aktivitäten, haben das Koordinatenkreuz im Westen selber nachhaltig verdreht.
Welches Politikfeld auch immer man beliebig herausgreift, die Selbstbemakelung, die Selbstinzweifelziehung oder derber, das Einkoten ins eigene Nest, sind fast seit einem halben Jahrhundert Mainstream. Diese auf Mao Tse Tungs Mist gewachsene ungeistige Haltung, die für intellektuell und moralisch überlegen erklärt wird, ist konstitutives Element für den linken Mainstream geworden, der heute nicht mehr links sein will.

Das ist ein historisches Faktum, das die angeblich so „autonom“ Denkenden und die Westlinken, die in ihrer Selbsteinschätzung die Freiheit lieben, keinesfalls hören wollen. Bis heute reagieren sie blindwütig aggressiv mit den Mitteln ihrer Deutungshoheit, wenn, wer auch immer, darauf hinweist, dass sie in ihrem speziellen Hass auf den Westen bis heute nichts anderes als dumpfe Mao-Plagiatoren sind.

Die frühere Moskaupolitik war eine Philo-Moskaupolitik

Zur Erinnerung: Bis zur großen weltpolitischen Wende 1989 und dem Untergang der sowjetischen Diktatur, die mit Völkermord und Massenterror kontaminiert, aber mit Atomwaffen bewehrt war und mit den goldenen Ideen von Karl Marx und Wladimir Iljitsch Lenin gerade Schiffbruch erlitten hatte, war es in diesem unseren schönen Lande üblich geworden die mörderischen Diktaturen des Ostens für vergleichsweise friedliebende, nur auf westliche Aggression reagierende holde Gemeinwesen zu erklären.

Auf diese, nur leicht aus dem Ruder laufenden Engelsstaaten des Ostblocks, wo alles viel besser sei, müsse man zugehen. Man müsse mit ihnen reden, man müsste einseitig abrüsten, man müsste einseitig die Nato auflösen. Man müsste die westlichen Werte, die sich als korruptes Gedankengebilde zum Schutze des bösen Kapitalismus und dessen noch böseren Imperialismus entpuppt hätten, bloß stellen. Der Westen wäre oberflächlich, materialistisch, menschenverachtend, konsumsüchtig und kulturlos. All dem Gegenüber stellte der Ostblock ein System dar, das vom Grunde her auf das richtige Ziel ausgerichtet wäre und durch Reformen mit dem allerdings doch noch vielerorts fehlenden menschlichen Antlitz versehen werden müsste.

Die Bundeswehr geriet in Misskredit. Laut der großen Friedensbewegung im Westen, die von den meisten Medien, den Gewerkschaften, vielen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und von der damals noch großen und mächtigen SPD unterstützt wurde, sollte die Nato nicht einmal einer auf dem Gebiet der DDR bereits existierenden atomaren Bewaffnung durch Nachrüstung im Westen begegnen.
Wer in jenen Jahren, wie vor allem von konservativer Seite geschehen, auf die Wertegemeinschaft des Westens, auf Demokratie, Meinungsfreiheit, Rechtsstaat, Sozialstaat hinwies, wurde unter Generalverdacht gestellt. Wer auf die menschenverachtenden tatsächlichen und staatlichen Strukturen im Osten hinwies, wurde von dem sich formierenden, politisch korrekten Mainstream als ewig gestrig, latent kriegsschürend, und als ein rundum aggressiver kalter Krieger bezeichnet, beschimpft. Die heilige Ostpolitik Willi Brandts und seines Adlatus Egon Bahr hat Bundestagswahlen entschieden und historische Weichenstellungen gesetzt. Es handelte sich um eine Philo-Moskaupolitik.

Der westlichen Politik fehlt Rückgrat

Solange das Koordinatenkreuz des Westens nicht an Lot und Waage orientiert ist und solange die historische Realität unterdrückt bleibt und die Politik im Westen nicht wieder auf ihre Füße gestellt ist,( die, wie gesagt, von einem Völkermörder wesentlich mit verdreht wurde, der nämlich die Köpfe der hierzulande dann siegreichen Westlinken erfolgreich verdreht hat, während er gleichzeitig in China und in Tibet dutzendmillionenfach Köpfe rollen ließ), muss zur Erklärung aktueller politischer Großentscheidungen der historische Hintergrund immer wieder neu hervorgehoben und ins Bewusstsein gerückt werden.

Der westlichen Politik fehlt Selbstbewusstsein, fehlt Rückgrat, der Führungswille und die moralische Selbstgewissheit, die wesentlich, regelrecht konstitutiv, zu einem demokratischen Rechtsstaat dazugehört. Der Westen fabuliert gern von seinen Werten. Aktuell wurde auf dem Schlosshof in Elmau von Obama, Merkel und den anderen die westliche Wertegemeinschaft angerufen und strapaziert. Mit der Vokabel „Wertegemeinschaft“ ist realpolitisch allerdings nichts bewegt und eine Wertegemeinschaft wird durch das Mantra „Wertegemeinschaft“ auch nicht begründet, sie muss es sein.

Mit der bis an die Zähne bewaffneten Sowjetunion, die so viel Geld in ihre Overkillkapazitäten (nukleare Mehrfachvernichtung der gesamten Erde) steckte, bis die eigene Bevölkerung nichts mehr zu fressen hatte, zu verhandeln und herumzuturteln, das war jahrzehntelang der Lieblingssport nicht nur der ausgewiesenen Westlinken, sondern der Politiker – und Medienmacherklasse, die seit spätestens Anfang der siebziger Jahre im westlinken Geist rotierte.
Die Sowjetunion machte Krieg in Afghanistan, belieferte Nordvietnam im berühmt-berüchtigten Vietnamkrieg mit Waffen, sie war die Garantiemacht des kommunistisch-palästinensischen Terrors, für den sie die berühmte „Kalaschnikow“ lieferte. Die Sowjetunion hatte die Staaten Osteuropas nach dem Krieg quasi annektiert und knechtete sie vierzig Jahre lang. Die Sowjetunion schürte und unterstützte terroristische Mordkommandos als Keimzellen für klassenkämpferische Revolutionen überall auf der Welt von Kuba, Nordkorea bis hin zu terroristischen Organisationen im Westen selber, jenen Lieblingsbrigaden der Westlinken, die den Westen von innen heraus destabilisieren sollten.




Krim und Ostukraine muss man mit der Lupe suchen

Die Sowjetunion, das war rund siebzig Jahre lang eine menschenrechtsverletztende Diktatur – und zwar keineswegs nur während der  Zeit des Völkermörders Stalin, des Gründers der SED/PDS/Linkspartei. Die Sowjetunion, das war ein Kolonialstaat, positiv Vielvölkerstaat genannt, in dem die Moskauer Diktatur mit ihrem Kernland Russland das Territorium des halben Globus beherrschte. An dieser Stelle eine Zwischenbemerkung: Das Territorium der Krim oder auch selbst der Ostukraine ist auf der Landkarte des russischen Weltreiches sowjetischer Prägung nur mit der Lupe auszumachen.




Das kommunistisch-sozialistische Sowjetreich implodierte 1989 ökonomisch und in Folge auch politisch. Die Sowjetunion, die zwischen Russland und beispielsweise der Ukraine und Weißrussland keinen wesentlichen Unterschied gemacht hatte, weil für sie alles ein Sowjetreich war, was von den Bürgern in der Endphase auch weitestgehend akzeptiert wurde, hat dank historischer Glücksfälle, wie sie etwa in der Person von Michael Gorbatschow zu sehen sind, eine sehr friedliche Dekonstruktion des sowjetischen Ungetüms zustande gebracht.

Wer hätte bis dahin geglaubt, dass die Auflösung der Sowjetunion ohne Krieg und Weltkriegsgefahr je vonstattengehen könnte? Fakt ist: Sie ging tatsächlich vergleichsweise elegant über die Bühne. Auch die konservativen Kräfte im Westen waren zuletzt auf den Moskauzug „Wandel durch Annäherung“ der Westlinken aufgesprungen und es war schließlich auch CDU-Kanzler Helmut Kohl, der zu seinem Teil an der Abwicklung des Konkurses der Sowjetunion beteiligt war, der auch zur deutschen Einheit führte.

Moskaurausch

Überspitzt könnte man behaupten, dass der gesamte Westen während des Kalten Krieges geradezu in einer Art Moskaurausch taumelte, von einzelnen gehassten Führungspersonen wie etwa Ronald Reagan abgesehen. Offenkundig war eine Bedingung für diesen Taumel und die überbordende Sympathie (Nobelpreisträger Günter Grass, den man wohl als notorischen Kritiker der BRD und des Kapitalismus bezeichnen darf, hatte die DDR eine kommode Diktatur genannt) gerade das Faktum, dass es in Moskau einen krassen Unrechtsstaat gab.

Im Vergleich zu diesem Unrechtstaat ist das Putin-Russland in der Tat eine „kommode“ Variante von stark eingeschränktem Rechtsstaat, auf der moralischen Skala weit über der alten Sowjetunion stehend. Die Tatsache, dass Putin auch nach seiner Aktion Krim und seiner Ostukrainepolitik und seinen vorangegangenen Intermezzi etwa in Georgien noch einige moralische Lichtjahre von Lenin, Stalin, Breschnew und dessen letzten Kurzzeitnachfolgern entfernt ist, ficht den westlichen Mainstream heute nicht an. Man hat hier auf eine Art Moskau- oder Putin-Phobie umgeschaltet.

Eine blinde Putinhasserei ist derzeit „korrekt“ und jede differenzierte Bestandsaufnahme, die allerdings für jedes aktuelle politische Konzept unerlässlich ist, wird diskreditiert. Mit Putin sprechen, um „Wandel durch Annäherung“ zu erzeugen und Putin den Rechtsstaat schmackhaft zu machen, scheint ein Ansatz zu sein, der US-Präsident Barack Obama zuwider ist. Er, der lange schon blasse Superstern des westlinken Mainstreams und seiner politischen Korrektheit, wirkt wie ein Getriebener, wie ein beinahe besessener Putinhasser, ohne, dass es irgendeine politisch vernünftige Begründung dafür gibt.

In Elmau hat Obama bei einem Bier und Weißwurst in Krün, noch bevor die Konferenz begonnen hat, seine aversive Haltung gegenüber Russland und dessen Präsidenten Putin als Handlungsmaxime für die G7-Veranstaltung öffentlich formuliert.

Was soll Obamas Konzentration auf Putin?

Nachdem Obama bisher eine katastrophale außenpolitische Bilanz vorzuweisen hat, insbesondere den Maghreb, den nahen und den mittleren Osten betreffend, wo er alles falsch und nichts richtig gemacht hat, könnte der Verdacht aufkommen, dass er den Westen mit seiner moralinen westlichen Wertepolitik vorwiegend deswegen in eine Putin-Phobie treibt, die in der westlichen Welt auch artig kommuniziert wird, um davon abzulenken, dass er in seiner Politik, die er sonst nolens volens auch gemeinsam mit Schurkenstaaten treibt, bisher keinen Blumentopf gewinnen konnte?
Russland ist nach wie vor die zweite Atommacht. Deswegen haben diejenigen recht, die heute lieber mit Russland und seinem Präsidenten Putin im Dialog bleiben wollen, als durch Ausgrenzung eher eskalierend zu wirken. Wie wenig Angst die G7-Staaten tatsächlich vor Putin haben, beweisen sie durch ihr aggressiv schroffes, auf Sanktionen ausgerichtetes Verhalten gegenüber Putin, den sie aus ihrer Wertegemeinschaft ausgrenzen, ganz so, als wäre die Einhaltung westlicher Werteordnungen Gesprächsvoraussetzung für den Westen und speziell auch für die G7-Staaten, was mitnichten der Fall ist.

Wo kauft der Westen gleich noch mal sein Öl? Mit wem treibt der Westen gleich noch mal Handel? Wer sind gleich noch mal die großen Geldgeber des Westens? Ist die Erdogansche Türkei, die vom Westen gehätschelt und eingeladen wird (und die durch eine erhebliche Wahlniederlage in der Türkei gerade abgewatscht wurde) der Wertegarant der Nato oder gegebenenfalls der EU?

Ist eine Syrienpolitik gegen Russland möglich? Wird Putin auf dem bevorstehenden G20-Gipfel dabei sein? Was soll Obamas Konzentration auf Putin? Wer, wie der US-Präsident Putin zuerst und vorrangig als Weltproblem Nr.1 beim Namen nennt und erst danach unspezifisch auf gewalttätige Extremisten und andere Probleme zu sprechen kommt, beweist, dass er ein provinzieller Global Player ist.
Man muss der deutschen Kanzlerin zu Gute halten, dass sie dem Obiter Dictum aus Washington, welches vorgibt wo die westliche Weltpolitik längs zu gehen hätte, auf ihre aussitzende Art etwas entgegensetzt. Ihre Russlandpolitik ist weniger ultimativ und sicher der deutlich bessere Weg.

Der Westen verliert sich selbst aus dem Blick

Wenn der G7-Gipfel primär schon ein Weltwirtschaftsgipfel ist, dann sollte der in Elmau versammelte Sachverstand auch wissen, dass Wirtschaftssanktionen gegen Russland eine sehr unelegante und die Weltwirtschaft störende Aktion darstellen. Klar, die territoriale Unantastbarkeit ist ein hohes Gut und Putin hat sich nicht wie ein Musterknabe verhalten. Staatsgrenzen sind an vielen Orten der Welt umstritten und willkürlich gezogene Staatsgrenzen gegen ethnische Gegebenheiten sind, das weiß man seit langem, in Syrien und im Irak und letzten Endes auch im von der Weltgemeinschaft verweigerten Kurdenstaat Anlässe für Kriege und Vorwände für Terror.

Ein bisschen cooler und ein bisschen über den Tag hinaus dürfte die Weltpolitik des Westens schon gestaltet werden. Die Fixierung der G7-Staaten auf Schloss Elmau zuvörderst auf Putin und nachrangig auf den nur gelegentlich beim Namen genannten IS und andere Terrororganisationen, die gar nicht erst näher benannt werden, zeigt ein großes Versagen Obamas und in Konsequenz auch das Versagen der westlichen Wertegemeinschaft.

Showveranstaltungen wie Elmau haben ihren Sinn. Wenig Sinn macht es, wenn die westlichen Leitmedien ein paar armselige Häuflein von Sinnlos-Protestierern, die außer uralten Stereotypen („Revolution“, „Antikapitalismus“, eben all die Parolen, die Mao vorgebetet hat) nichts zu sagen hatten, beinahe dieselbe Aufmerksamkeit geben, wie dem G7-Gipfel. Das nervt, aber es zeigt eben auch, dass das Koordinatenkreuz des Westens rotiert. Auch die mediale Süffisanz, mit der Sendezeiten gefüllt wurden, in dem die schöne Kulisse hinter dem Schloss Elmau als deutscher Heimatfilm bekrittelt wurde, ist ein Beleg für massenmediale Inkompetenz, was das Thema G7 anbelangt.

Auf der Liste der politischen Probleme im Weltmaßstab, steht Russland abgeschlagen auf hinteren Rängen, soweit es um die Realität gehen soll. Der Westen verliert sich selbst aus dem Blick.




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