Tichys Einblick
Wann ist ein Opfer es wert, dass man sich darüber politisch-korrekt aufregt?

Flug U49525 – Die pervertierte Moral des Mainstream

Während Medien und Politik die Opfer politischer Gewalt in der Welt weitgehend beschweigen, gibt es für die 150 Opfer der Flugkatastrophe einen Tsunami der Aufmerksamkeit und der Fürsorge. Gibt es eine willkürliche Selektion in politisch genehme und weniger genehme Opfer?

Wissen Sie, wieviele Menschen gestern eines unnatürlichen Todes gestorben sind? Wissen Sie, wieviele Menschen heute auf dieser Erde eines unnatürlichen Todes gestorben sein werden?
Wenn Sie nicht erleuchtet sind, wissen Sie es nicht. Niemand weiß es und niemand schert sich darum, dass er es nicht weiß. Insbesondere dem Mainstream, um dieses verpönte Wort hier zu gebrauchen, ist es schnurzpiepegal, wieviele Menschen durch Mord, durch Krieg, durch Unfall jeden Tag aufs Neue zu Tode kommen. Und dem politisch korrekten Mainstream, um ein zweites verpöntes Wort zu verwenden, ist es noch gleichgültiger, welches menschliche Leid aktuell auf „unserem“ Globus gerade passiert.




In einem ganz nebensächlichen Punkt ist der politisch korrekte Mainstream allerdings sehr penibel. Die Selektion von Menschen in lebenswert und nicht lebenswert ist eine moralfeindliche Kategorie, die der politisch korrekte Mainstream weit von sich schiebt und seinen Feinden zuschreibt. Dabei ist es der politisch korrekte Mainstream höchst selber, der eine menschenverachtende, ja eine gegen die Menschlichkeit verstoßende ekelerregende Selektion permanent und immer wieder vornimmt. Es ist regelrecht eine Dauerbeschäftigung dieses politisch korrekten Mainstreams und ein Essential, über das sich der politisch korrekte Mainstream wahrscheinlich am besten definieren lässt.

So gibt es die politisch korrekten Mordopfer und die politisch unkorrekten Mordopfer. Mit Ersteren wird die Öffentlichkeit überschäumend beschäftigt, mit letzteren, die gute Chancen haben überhaupt nicht in der Öffentlichkeit vorzukommen, gibt es einen recht rüden Umgang bis hin zum Verschweigen oder gar einem menschenverachtenden Bemakeln.

Die 40 oder 140 Millionen Opfer – auch selbst diese Zahlen interessieren Niemanden wirklich – der Völker-und Massenmorde Stalins, Lenins, Mao Tse Tungs, Pol Pots, Ho Tschi Minhs und anderer kommunistisch-sozialistischer Übermenschen sind tabu. Wer den Opfern dieser grauenhaften Diktatoren die Ehre erweisen will, wird wie ein Stänkerer ins Aus gedrängt, der die doch nun wirklich alten Kamellen nicht immer wieder hochholen sollte. Ganz anders sieht es mit den Opfern des nationalsozialistischen Völkermordes aus. Sie sind ein Lieblingsthema des politisch korrekten Mainstream, der sich gar nicht sattfressen kann unter seinem großen moralischen Anspruch „Nie wieder“ und „Wehret den Anfängen“.

Adolf Hitler ist dabei das massenhaft vorgeführte Maß des Bösen, welches das Böse in Gestalt der kommunistisch-sozialistischen Völkermörder in den Hintergrund drängt. In kommunistisch-sozialistischem Namen sind unbestreitbar deutlich mehr Menschen zu Tode gebracht worden als in den 12 Jahren der nationalsozialistischen Barbarei, aber dafür gibt es den Spruch „Aufrechnung wäre verwerflich und ist verboten“. Aufrechnung ist in der Tat pervers, aber diejenigen, die in Opfer selektieren, die sich heute politisch instrumentalisieren lassen und jene, die einer Instrumentalisierung entgegenstehen, gelangen zu dem von ihnen im Munde geführten taktisch-strategischen Aufrechnungsverbot auf der Basis einer pervertierten Moral. Wer selektiert, betätigt sich gerade selber als Aufrechner, in dem er die politisch unkorrekten Opfer quasi auf Null herunter rechnet oder die Zahlen jahrzehntelang bestritt und also zu Petitessen der Geschichte herunterwürdigt.

Die etablierte Selektion in gute und schlechte Opfer

Der wahrscheinlich effektivste Völkermörder der Menschheitsgeschichte, Mao Tse Tung, war ein identitätsstiftendes Idol und ein moralisch-politisch und strategischer Aufrüstungsfaktor der Westlinken, der berühmten APO-Bewegung, die später 68er-Bewegung genannt wurde, also der Bewegung, die später die Grünen hervorbrachten, die Jusos durchdrang, aber auch die Linksterroristen und die K-Gruppen-Bewegung, deren Mitglieder bis über die Grenze der Schuldunfähigkeit hinaus mit Hass und Fanatismus die Bundesrepublik und den ganzen Westen vernichten wollten und bis heute jede seriöse Aufarbeitung ihrer Irrtümer und Destruktionen verweigern.

Bis heute wirkt die vom lieben Mao! Mao! Mao! und von dem lieben Ho-Ho-Ho-Tschi- Minh initiierte Zerstörungswut in den Köpfen der befallenen Ideologen, die heutzutage als Besserwisser und als Verwalter der höheren Moral auftreten, und ihre antikapitalistischen Hirngespinste perfekt mit ihrem eigenen kleinen Kapitalistenleben zu verbinden wissen, nach. Es ist mehr Mao Tse Tung und Ho Tschi Minh im Westen drin, als gemeinhin angenommen wird und als die 68er-und Neo-68er es gern hätten. Die Hass-Sekte 68 hat den Westen porös gemacht und es ist eine tragische Komödie des Westens, dass die lebenslangen Den-Westen-Basher ihre sachlichen und moralischen Irrtümer dadurch perpetuieren, dass sie die kaum existente Kritik mit gespielter Süffisanz und geheuchelter Lässigkeit als 68er-Bashing verteufeln.
Selber aus moralischen Gründen das allgegenwärtige Kritikmonopol reklamieren, gehört zur Hybris der extremen und der fanatischen, aber herrschenden Hass-Sekte 68pp, der soviele nachgeborene Menschen unreflektiert und den historischen Kontext nicht mehr kennend oder diesen negierend artig hinterherlaufen. Die Indoktrination sitzt tief. Der politisch korrekte Mainstream ist für allzuviele Menschen alternativlos: „Querdenker“ sind das geschmacksverstärkende Salz in der Suppe des Mainstreams und sie sind auch Verstärker der etablierten Selektion in gute und in schlechte Opfer. Die vom Mainstream gefeierten Querdenker und Provokateure sind meistens das genaue Gegenteil.

Und noch ein Blick in die Geschichte bringt einen erheblichen Mehrwert. Die Völkermörder Hitler, Mao, Stalin pp. waren keine Einzeltäter. Diese Inkarnationen des Bösen hatten sehr viele Mittäter, die makabererweise millionenhaft davon ausgingen, dass sie in ihrer konkreten Situation in einem von ihnen für politisch korrekt gehaltenden Mainstream nichts besseres tun könnten als perfekt mitzuschwimmen. Manch einer mag nun geneigt sein zu sagen: das waren ja Diktaturen. Da kann es gar keinen „Mainstream“ geben, da wird ja alles von oben angeordnet und du wirst gezwungen Verwerfliches zu tun, wenn du deine eigene Haut retten willst. Aber genau das trifft eben historisch nicht zu.

Ein Diktator, der alle Menschen zwingt (zwingen muss) etwas Perverses, Menschenverachtendes zu tun, wäre ineffizient. Seine Diktatur würde alsbald implodieren. Jede Diktatur ist auf selbsttätige Werkzeuge, auf echte Mittäter angewiesen und zwar in Wahrheit auf eine große Zahl von Mittätern und jede Diktatur ist darauf angewiesen, dass ein entsprechender politisch korrekter Mainstream entsteht, eine spezielle Denkart, die die Empfindungslage der Menschen so umpolt, dass sie das diktatorische System akzeptieren und mindestens passiv unterstützen. Keine Diktatur kann sich nur auf skrupellose Karrieristen verlassen, schon gar nicht Diktaturen, die ihren Machtanspruch ideell verbrämen. Eine solche Verbrämung muss eigentlich jede Diktatur leisten, da sonst die Bindungswirkung an sie alsbald entfällt.





Die politisch korrekte Jasminrevolution von 2011

Das gewaltsame Sterben seit der politisch korrekten Jasminrevolution in Maghreb im Nahen und Mittleren Osten findet auf eine gespenstische Art in der westlichen Öffentlichkeit nur randständig und ungeliebt statt. Die Uno brauchte eine quälende Ewigkeit bis sie jetzt durch einige Experten verlautbaren ließ, dass es sich bei den Morden durch Isis-Gruppierungen an den Jesiden und anderen ethnischen Gruppen wie den Kurden oder Christen „wahrscheinlich“ um Völkermorde handelt. Aber auch das kratzte die Meinungsmultiplikatoren in der Bundesrepublik, aber auch die Bundesregierung und den Bundespräsidenten und die Öffentlichkeit bestenfalls peripher.




Die Taten, auf die sich die informelle Uno-Äußerung bezieht, sind ein Politikum. Es ist auch ein Politikum, dass die Weltorganisation keine förmliche Entschließung zustande bringt; und es ist auch ein Politikum, dass die Bundesregierung und der Bundespräsident die Uno-Qualifikation „Völkermord“ öffentlich totschweigen. Der Flugzeugabsturz in den Alpen ist kein Politikum. Kann man die wiederholten Trauerbekundungen der Staatsspitze in der Bundesrepublik zum Absturz der Germanwingsmaschine unter diesen Umständen ernst nehmen? Eine seriöse Antwort kann nur nein heißen.

Enthauptungswellen oder spektakulär gefilmte Einzelenthauptungen oder Verbrennungen durch die Isis-Organisationen locken inzwischen niemanden (mehr) hinter dem Ofen hervor. Im Gegenteil, der politisch korrekte Mainstream, auch in den Medien, fährt diese Realität unisono herunter. Shit happens. Das müssen die Menschen in der heutigen Zeit eben aushalten. Es herrscht Krieg auf den Gebieten Syriens, des Irak, Libyens und anderen Orts in der Region. Und in allen Ländern, in denen der Yasmin blühen sollte, ist auch, was die Gefährdung von Menschenleben anbelangt, im Jahr 2015 nichts in Ordnung.

Aber nicht nur die Dimension des menschlichen Leids und der Verwerfungen werden in den deutschen Medien und in den Medien des Westens aktiv heruntergespielt und dies in moralisch und auch medienethisch verwerflichster Weise. Vielmehr wird alles, was der extrem gefährlichen Alternativlosigkeit des politisch korrekten Mainstream widerspricht, bis hin zur Benennung der Tatsache des politisch korrekten Mainstream in der Öffentlichkeit wüst attackiert oder aktiv beschwiegen.

Und was hat das alles mit dem Flug Nr. U49525 zu tun?

Mit dem Todessturz des Flugzeuges, mit dem Absturz selber, haben die fatalen Missstände der Meinungsdiktatur des politisch korrekten Mainstream nichts zu tun. Aber mit der explosionsartigen Medialisierung und der Politisierung des Absturzes und mit der Instrumentalisierung des Todes von 150 Passagieren alles. Gott sei Dank leben wir in einer Demokratie und nicht in einer Diktatur, aber wenn die Demokratie pervertiert und allzuviele Menschen sich vom Grunde her freiwillig ganz aktiv und meist ganz eigennützig an ihre Karriere denkend einer sehr eindimensionalen Meinungslinie anschließen und zu Repetitoren und Vorbetern einer immer alternativloser werdenden Denkschule werden, dann entsteht sehr leicht eine Diktatur, die keines Diktatoren mehr bedarf. Dann wächst diese Diktatur von unten sich täglich neu selbsterfüllend immer weiter.

Natürlich haben all die Psycho-Spekulations-und Moralexperten, die sich seit einer Woche gierig auf das Thema stürzen, ein unterhalb des schlechten Gewissens verdrängtes Gefühl von Selbstekel und auch Selbstzweifel, dass sie soviele Mord-und Kriegsopfer, die täglich aus den Medien ins Off gepresst werden, posthum misshandeln, indem sie sie so gut wie nicht und am liebsten gar nicht beachten. Da bieten Katastrophen wie ein Amoklauf in Winnenden oder ein Zugunglück in Eschede oder jetzt der Flugzeugabsturz in den französischen Alpen offenbar ein willkommenes Ventil zu einer Art moralischen „Katharsis“. Ohne Rücksicht auf Verluste, wird der Flugzeugabsturz und werden die 150 Opfer dieser Katastrophe durch den Fleischwolf der Presse gejagt.

Die allzu oft irrende Chefredakteurin der taz, Ines Pohl, hat 16 Stunden nach dem Absturz Nächtens auf den zu dieser Zeit erst angelaufenen Medien-und Politiktsunami getwittert : „fast scheint es,als könnte Deutschland endlich die dringende Sehnsucht erfüllen, auch mal eine Katastrophe für sich zu beanspruchen #U49525

Von ihrem durch und durch teutonischen Anti-Teutonismus abgesehen, in dem sie verkannte, dass auch die Medien in Frankreich und Spanien und anderen Ländern ziemlich kohärent im neuen U49525-Fieber mitschwingen, drückte Pohl, die auf ihren Tweet einen Shitstorm erntete, ihr Unbehagen an der unerträglichen Heuchelei und Instrumentalisierung des Schicksals von 150 ums Leben gekommenen Menschen im öffentlichen Raum aus und insoweit vollkommen zu Recht:
Eurokrise, Griechenlandkrise, Blockupy, Pegida, Antipegida gibt’s nicht mehr. Und: Völkermord im mittleren Osten, Massenmord, Mord und Vertreibung in Nigeria, zigtausendfache Massenvergewaltigungen Tag für Tag, Zwangsschwängerungen, das Auslöschen von kleinen und großen Dorfgemeinschaften – dies alles, das tagtägliche Geschehen, das real auf dieser Welt passiert, wird beiseite gewischt: Es scheint als könnte man endlich einmal wieder in Ruhe unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchregieren, während man oben drüber einen unangenehmen und verwerflichen Zirkus geheuchelter Mitmenschlichkeit veranstaltet.

Jeder Mensch verdient Respekt vor seinem Tod

Die Medien könnten wesentliche Teile ihrer Redaktionen in unbezahlten Urlaub schicken. Sie brauchen kein Thema zu suchen. Sie können sich einfach an dem Spekulationsschaum mit seinen unendlich vielen kleinen Bläschen sattfressen und ihn selber weiter aufblasen und sich dabei auch noch auf die Schulter klopfen, dass sie den betroffenen Menschen die Ehre erwiesen und allen nicht betroffenen Menschen die Informationen böten, die für die allgemeine öffentliche Trauer notwendig wären.

Das große Leid, das dieser Flugzeugabsturz bei allen Betroffenen auslöste, wird allerdings nicht durch einen öffentlichen Medien-und Politzirkus gelindert. Im Gegenteil, diese Art von Sensations-Blockbuster, der viele Fakten, viel Wissen, viele Erkenntnisse über den Tathergang und die technische Seite verdrängt/ verdreht/in den Hintergrund drückt, bürdet dem Leid ein regelrecht schrilles Moment auf. Wenn die Staatsspitzen von Spanien, Frankreich und Deutschland, also von 200 Millionen Einwohnern, in deren Ländern täglich Dutzende Menschen ermordet werden oder verunfallen, am 17. April zu einem Zentralgottesdienst im Kölner Dom zusammen kommen, dann stellt sich die Frage, welcher Tod, welches tödliche Unglück, welches Sterben aufgrund menschlichen Fehlens routinemäßig auf das Konto unwichtig gebucht wird und welches die Kriterien für eine öffentliche Veranstaltung der zu besichtigenden Art sind.

Trauer und Mitgefühl, das sind die menschlichen Reaktionen auf jedes Leid und jeden Tod. Und jeder Mensch hat auch das Recht auf Respekt vor seinem Tod. Die Angehörigen und Freunde der ums Leben gekommenen Passagiere haben jeden Respekt und jedes Mitgefühl verdient. Respekt und Mitgefühl gehen anders, als es die Medien-und die Politiker vorführen.

Gerade die politisch korrekten Mainstreamer belehren die Gesellschaft gern, als brächten sie irgendeine bis dahin unbekannte Neuheit, dass die Welt globalisiert ist. Jeder kleine Rucksacktourist auf Selbstfindungstour ist schon das zehnte oder zwanzigste Mal ans andere Ende der Welt gejettet. Und die 68er haben schon vor knapp einem halben Jahrhundert erklärt, dass Vietnam „überall“ sei. Deswegen ist die gelegentlich in den Medien zu findende Erklärung, dass dieser Flugzeugabsturz uns eben näher wäre, als Enthauptungen und Massenvergewaltigungen im Irak, in Libyen oder Nigeria einigermaßen perfide.

Das Leid überall auf der Welt geht jeden Menschen etwas an. So gesehen müssten die Flaggen an öffentlichen Gebäuden in Deutschland permanent auf Halbmast stehen.




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