Ganz unanständig wird es, wenn Kinder ins Spiel kommen. Das ist das untrügliche Zeichen, dass der Baum brennt, dass die Kontrahenten alle Rücksichtnahme fahren lassen, dass Stil und Anstand die ersten Verlierer sind.
Die Tochter Marie des Noch-Außenministers Sigmar Gabriel hat das nun erfahren und mit ihr eine staunende Öffentlichkeit. Sie habe ihm gesagt: „Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast Du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“ Der Vater publizierte das Zitat in einem Interview, nachdem er, einen Tag post festum, sich erstmals zur Abkörung als Außenminister durch das Stil-Wunder Martin Schulz äußerte.
Ach Siggi Pop, Sie Kurz-Zeit-Staatsmann, ganz im Ernst: wer will wissen, was Ihre Tochter sagt? Und wenn es ein paar Zeitgenossen gibt, die das interessieren könnte, so gehört es sich dennoch nicht, Kinder in eine (partei)politische Auseinandersetzung hineinzuziehen. Ganz schlechter Stil! Es mag schon sein, dass die Umstände seiner Degradierung für Gabriel, wenn überhaupt, nur sehr schwer zu (er)tragen sind. Aber vielleicht möge sich der darin durchaus talentierte Politik-Raubauz erinnern, wen er schon alles mehr oder weniger stilvoll aus Ämtern entfernt hat. Auch an seinem stillen See ist die eine oder andere (politische) Leiche vorbeigeschwommen. Das politische Leben ist kein Mädchen-Pensionat, die Umgangsformen nicht aus einem Nonnenkloster adaptiert. Wer, wenn nicht uns Siggi sollte das wissen.
Aber er stampft wie ein kleines Kind wütend auf den Boden. Er setzt dem schlechten Stil auch noch die Krone auf, indem er nun schwerst beleidigt Termine absagt, so etwa den nicht unbedeutenden Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar oder zwei Außenministertreffen in Kuwait und Sofia. Siggi schmollt und alle sollen es sehen. Wenn wir von dem unterirdischen Benehmen einmal absehen (was schwerfällt), dann zeigt sich hier das wahre Gesicht des Sigmar Gabriel, das für ein Jahr hinter der gnädigen Maske des Chefdiplomaten im Auswärtigen Amt versteckt war. Er stellt sein eigenes politisches Schicksal über die Belange des Landes, hält sich für bedeutender als die Sache. „Ohne mich kann keiner“, scheint ihm aus jedem Knopfloch zu dringen.
Und das ist nicht banal nach so einer Woche! Stil und Anstand kamen ja nicht nur durch Sigmar Gabriel unter die Räder. Vor einiger Zeit hat sich der Autor erlaubt, an dieser Stelle den Ausgang der Koalitionsverhandlungen vorherzusagen mit dem Statement: „Liebe Bürgerinnen und Bürger, selbstverständlich haben wir uns bereits über Personalien verständigt, wir wissen sehr genau, wer was wird. In den jetzt anstehenden Verhandlungen müssen wir nur noch die Inhalte den jeweiligen Personen zuordnen.“ Ja, zugegeben: sich selbst seiner Prophetie zu rühmen, ist kein besonderer Ausweis von Bescheidenheit und also eigentlich schlechter Stil. Nur: was damals eine journalistisch zulässige Übertreibung und auch ein wenig Sarkasmus war, ist eben genau so Wirklichkeit geworden. „Fassungslos“ (der neue Juso-Stern Kevin Kühnert) stehen wir vor einem unwürdigen und unanständigem Schauspiel: die Blinden und Lahmen zocken eine ganze Nacht vor allem um ihre eigene Zukunft, die doch für alle anderen sichtbar längst hinter ihnen liegt.
An dieser Stelle wird sich der geneigte Kolumnen-Konsument vielleicht fragen, warum hier nicht das Benehmen des Martin Schulz der vergangenen Woche einer besonderen „Würdigung“ zu Teil wird. Dazu nur so viel: man bekommt eine Ahnung, wie fürchterlich der arme Ort Würselen wohl sein muss. Und ein Versprechen: niemals mehr soll an dieser Stelle im Zusammenhang mit Stil, Anstand und Benehmen von Martin Schulz die Rede gehen! Haltbarkeit: jedenfalls länger als die Versprechen des in jeder Weise abgestürzten Heilsbringers der SPD.